Der Fall Alberto Nisman und der Versuch, Bundesrichter Daniel Rafecas aus dem Amt zu entheben

10. Oktober 2016 | Von | Kategorie: Aktuelles, Amerika

Von Roberto Frankenthal

Am 18.07.1994 wurde ein Gebäude in der Straße Pasteur 633 im Zentrum von Buenos Aires durch ein Bombenattentat zerstört. 85 Menschen wurden dabei getötet, mehrere Hunderte verletzt. In diesem Gebäude befanden sich die Büros von AMIA und DAIA – zwei wichtigen jüdischen Institutionen Argentiniens. AMIA ist die Asociacion Mutual Israelita, der Wohlfahrtsverband der jüdischen Gemeinde Argentiniens, DAIA ist die Delegacion de Asociaciones Israelitas de la Argentina, die politische Vertretung der jüdischen Verbände Argentiniens. Ca. 200.000 Juden leben in Argentinien, allerdings sind nur ca. 30.000 bis 40.000 Mitglieder von jüdischen Institutionen.

Dieses Bombenattentat konnte nur mit der Komplizenschaft von Teilen der arg. Sicherheitskräfte durchgeführt werden. Diese Verstrickungen haben zur Folge, dass es bis heute, September 2016, über die wahren Täter und den Tathergang noch keine definitiven Erkenntnisse gibt.

Im Verlauf der Jahre ist aber offensichtlich geworden, dass die Menem-Regierung der 1990er Jahre aktiv die Arbeit der Justiz bei der Untersuchung dieses Attentats behindert hat. Deswegen müssen sich derzeit Menem, der frühere Geheimdienstchef Anzorreguy, der Untersuchungsrichter Galeano, die Staatsanwälte Müller und Barbaccia u.a. vor einem argentinischen Bundesgericht verantworten. Dieser Prozess wird von den Massenmedien fast vollständig ignoriert. Angestoßen wurde der Prozess durch eine Entscheidung eines Gerichtes im Jahre 2003, welche die damaligen Angeklagten freigesprochen hatte.

Zu der Gruppe um die Staatsanwälte Muller und Barbaccia gehörte auch der Staatsanwalt Natalio Alberto Nisman. Nisman wurde 2003 vom damaligen Präsidenten Kirchner zum Sonderstaatsanwalt zur Untersuchung des AMIA-Attentats ernannt. Fast ein Jahrzehnt lang hat Nisman keine relevanten Erkenntnisse geliefert. Er beschuldigte zwar einen Libanesen, die Bombe gelegt zu haben, lieferte dafür aber keine gerichtsverwertbaren Beweise. Er beschuldigte die iranische Regierung der damaligen Zeit als Anstifterin des Attentates. Das führte zwar zu Haftbefehlen durch Interpol gegen ehemalige iranische Würdenträger, die aber erfolglos blieben. Die dafür vorgelegten „Beweise“ stammten mehrheitlich von “befreundeten Geheimdiensten”.

Zur Arbeitsweise Nismans vielleicht zwei Beispiele: A) Seit Wikileaks wissen wir, dass Nisman seine Schriftsätze der US-Botschaft in B.A. vorgelegt hat, bevor er sie vor dem zuständigen Gericht eingereicht hat. B) Seine Vergnügungsreisen nach Cancún und anderswo rechnete er als Dienstreisen ab.

Nisman arbeitete sehr eng zusammen mit Antonio Stiuso, einem hochrangigen Offizier des argentinischen Geheimdienstes SIDE. Stiuso galt als Kontaktoffizier des US-Dienstes CIA und des israelischen Mossad in Argentinien. Die sehr selbständige (und fast ein Jahrzehnt lang tolerierte) Praxis von Stiuso führte zu seiner Entlassung im Dezember 2014.

Seit Beginn des Jahres 2013 versuchte die Regierung von Cristina Fernandez de Kirchner, eine juristische Lösung für die Aufklärung des Falles zu finden. Da in Argentinien kein Gerichtsprozess in Abwesenheit des Angeklagten stattfinden kann, hat man einen Weg gesucht, um die Aussage der angeklagten iranischen Würdenträger zu ermöglichen. Nach mehreren Verhandlungen mit der iranischen Regierung wurde ein Memorandum unterschrieben, das vorsah, dass ein argentinischer Richter die Iraner in Teheran anhören sollte. Dieses Memorandum muss, bevor es in die Tat umgesetzt werden kann, von den Parlamenten beider Staaten genehmigt werden. Das argentinische Parlament hat sich für dieses Memorandum ausgesprochen und sogar die Würdenträger von AMIA und DAIA haben nach einem Gespräch mit dem damaligen Außenminister Timermann ihre skeptische Unterstützung bekannt gegeben. Wenige Tage später (anscheinend unter dem Druck der US- und Israel-Behörden, die damals offen auf einen Konfrontationskurs mit Iran drängten), änderten sie ihre Meinung und lehnten jede Zusammenarbeit mit Teheran ab.

Das argentinische Parlament unterstützte den Versuch der Kirchner-Regierung, ein Memorandum mit Iran zu unterzeichnen. Aber weder das iranische Parlament noch die iranische Regierung haben die notwendigen Schritte unternommen, um das Zustandekommen der Übereinkunft zu ermöglichen.

Nach Stiusos Entlassung verfasste Nisman eine Anklageschrift gegen die damals amtierende Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner, gegen ihren Außenminister Timermann und andere Politiker der damaligen Regierungspartei. Der Vorwurf lautete: die argentinische Regierung habe dieses Memorandum nur angestrebt (das nie in die Tat umgesetzt wurde), um die Handelsbeziehungen zu Iran zu verbessern. Laut Nisman sollte Argentinien iranisches Erdöl einführen und Agrarprodukte an den persischen Staat liefern. Nisman übersah, dass das iranische Erdöl wegen seines Schwefelgehaltes in argentinischen Raffinerien nicht verarbeitet werden kann. Seine mehr als 300 Seiten lange Anklageschrift basierte auf illegal abgehörten Telefongesprächen, in denen allerdings keine direkten Hinweise zu der Tat zu finden waren. Nisman bezichtigte die damalige Regierung, sich bei Interpol dafür eingesetzt zu haben, die Haftbefehle gegen die iranischen Verdächtigen aufzuheben. Am Tag nach der Veröffentlichung der Anklageschrift äußerte sich der damalige oberste Dienstherr bei Interpol, der US-Amerikaner Robert Noble. Noble betonte, dass die argentinische Regierung immer darauf bestanden hätte, die Haftbefehle aufrecht zu erhalten. Nismans Klage wurde Mitte Januar 2015, während der argentinischen Gerichtsferien, eingereicht. Wenige Tage danach sollte Nisman bei einer öffentlichen Anhörung der argentinischen Abgeordnetenkammer die Anklage erläutern und die Fragen der Volksvertreter beantworten. Am Tag davor fand man den Sonderstaatsanwalt Nisman tot in seinem Apartment. Fest steht, dass er gewaltsam zu Tode gekommen ist. Bis heute liegen aber keine gerichtsverwertbaren Beweise vor, dass Nisman umgebracht worden ist. In den Stunden vor seinem Tod hat er mehrmals versucht, seinen ehemaligen Mitarbeiter Stiuso zu erreichen. Dieser beantwortete aber die Anrufe nicht. Während der Gerichtsferien war die Bundesrichterin Servini de Cubria im Dienst. Nach Einsicht in die Anklageschrift hielt sie es nicht für notwendig, die Gerichtsferien aufzuheben, um den Fall zu untersuchen. Ähnlich äußerte sich der Bundesrichter Canicoba Corral, der seit 2012 den Fall AMIA bearbeitet. Er hielt die Anklageschrift für sehr dürftig und wunderte sich darüber, dass Staatsanwalt Nisman, der ihn theoretisch über seine Arbeit auf dem Laufenden halten sollte, nie ein Wort zu den Vorwürfen der Anklageschrift verloren hatte.

Nach dem Ende der Gerichtsferien wurde der Fall vom Bundesrichter Daniel Rafecas untersucht. Rafecas gilt als einer der wenigen unabhängigen Bundesrichter der argentinischen Justiz. Er leitete verschiedene Verfahren wegen Menschenrechtsverletzung während der letzten argentinischen Diktatur und verfasste ein bemerkenswertes Buch über die Geschichte des Holocaust (die Shoah) während des Zweiten Weltkrieges. Nach ca. 2 Wochen Aktenstudium beschloss Rafecas, die Anklageschrift von Nisman zu verwerfen: weil die vorgebrachten Beschuldigungen offensichtlich unhaltbar waren und durch keine Beweise gestützt wurden. Diese Entscheidung wurde von der nächsten Instanz, dem Berufungsgericht bestätigt. Die angesehensten Strafrechtler des Landes äußerten sich auch mehrheitlich in diesem Sinne.

Diese Entscheidung wird jetzt dem Bundesrichter Rafecas vorgeworfen und man versucht, deswegen ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn einzuleiten. Erste Vorstöße in dieser Richtung unternahmen bereits 2015 führende Mitglieder der DAIA, etwa der damalige Vizepräsident der DAIA und heutige Bundesabgeordnete der Regierungspartei PRO, Waldo Wolf. Zu diesem Kreis gehörte auch der amtierende Staatssekretär für Menschenrechte Claudio Avruj, der früher auch zu der DAIA-Führung gehörte. Diese jüdischen Dachverbände haben vor einigen Jahren beschlossen, die Politik der USA und des Staates Israel im Konflikt im Mittleren Osten blind zu befolgen und in Argentinien alle Versuche abzuwehren, eine unabhängige Außenpolitik zu betreiben.

Richter Rafecas hat bereits bei seinen Entscheidungen in dem Fall  der beim I. Armeekorps begangenen Menschenrechtsverletzungen gezeigt, dass er keine Konflikte scheut, um an die Wahrheit zu kommen. Er war auch dafür verantwortlich, dass der Fall der Senatoren-Stimmen Kauf im Jahr 2000 vor Gericht verhandelt worden ist.

Der Versuch, ihn jetzt des Amtes zu entheben, hat eine Welle der Empörung in Argentinien und im Ausland verursacht. Am Tag nach der Veröffentlichung eines Aufrufes gegen Rafecas in den argentinischen Massenmedien, haben mehrere Tausend ihre Solidarität mit dem argentinischen Bundesrichter Rafecas zum Ausdruck gebracht. (siehe www.change.org).

Gedenkstätte der AMIA Bombardierung am Pasteur U-Bahn Buenos Aires

Beitragsbild: Gedenkmarsch an den Amia Attentat. Urheberrecht: Jaluj, Wikimedia Commons

Artikelbild: PasteurSubte2. Urheberrecht: Gobierno de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires, Wikimedia Commons

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