Kindersoldaten – Unzureichende internationale Bestimmungen, Ansätze zur Eindämmung, und die spezielle Situation in Kolumbien

3. Januar 2005 | Von | Kategorie: Weltregionen, Amerika

von Rainer Huhle, Dezember 2004

Rummenigge

Ein Foto des Dreijährigen zeigt Rummenigge stolz hinter einem Fußball, der ihm bis zu den Knien reicht. Geboren wurde er in Kolumbien ein halbes Jahr nach der Weltmeisterschaft von 1982, die seinen Vater zur Namensgebung des Sohnes inspirierte. Gestorben ist Rummenigge Perea Padilla am Nachmittag des 29. September 1997, als er wieder einmal mit zwei Freunden in einem Fluss nicht weit seines Heimatortes im Valle de Cauca baden ging. Nie wird sein Vater erfahren, ob sein Traum von einem kolumbianischen Rummenigge in Erfüllung gegangen wäre, oder ob Rummenigge seinen eigenen Wunschtraum, Arzt zu werden, verwirklicht hätte.

Als Rummenigge und seine Freunde an jenem heißen Nachmittag die ersten Schüsse oberhalb des Flusses im Wald hörten, machten sie sich zunächst noch keine großen Sorgen. Doch als die Kugeln am Ufer einschlugen und sogar ins Wasser klatschten, und sie schließlich die Männer in Zivil und in Kampfanzügen sahen, die mit automatischen Gewehren auf sie anlegten, suchten sie in Panik ihre Kleider und den Weg durchs Gebüsch nach Hause. Zwei schafften es, Rummenigge war nicht schnell genug. Während sein Eltern noch verzweifelt nach ihm suchten, schrieben die Mörder bereits ihre Geschichte seines Todes, die am nächsten Tag als Polizeibericht veröffentlicht wurde: “Während einer Operation der Sondereinheit gegen Entführungen zur Befreiung des Industriellen … fand ein Guerillero den Tod. Neben seiner Leiche wurden ein AR-15-Gewehr und eine Handgranate gefunden.”

Kinder und Krieg

Wo Krieg herrscht, sind Kinder wie alle Menschen Tod, Verletzung und Leid vielerlei Art ausgesetzt. Seit einige Jahren schon sterben in Kolumbien täglich ca. 20 Menschen in Folge des bewaffneten Konflikts. Mindestens einer dieser 20 Menschen täglich ist ein Kind. Als Teil der Zivilbevölkerung sind Kinder Opfer von Tretminen und Bomben, von Luftangriffen und Gewehrkugeln. Mit ihren Familien sind sie auf der Flucht vor Kriegsereignissen und müssen in prekären Elendssiedlungen Schutz suchen.

Wenn sich das moderne Kriegsrecht und zahlreiche eigene Instrumente des internationalen Menschenrechts in besonderer Weise mit der Situation und dem Schutz von Kindern in Kriegs- und Bürgerkriegssituationen befassen, muss es dafür auch besondere Gründe geben. Im wesentlichen sind es zwei:

  • In allen Kulturen gelten Kinder als besonders schutzbedürftig. Erhebliche Unterschiede gibt und gab es allerdings bei der Grenzziehung zwischen Kindheit und Erwachsenenstatus, ein Problem, das sich u.a. in den unterschiedlichen Altersfestsetzungen in verschiedenen Instrumenten des Kinderschutzes spiegelt.
  • Kinder sind in Kriegssituationen einer Reihe von besonderen Gefährdungen ausgesetzt. Eine besonders gravierende ist der Missbrauch von Kindern als Soldatinnen und Soldaten, wodurch sie zugleich Opfer und Täter werden.

Die besondere Schutzwürdigkeit von Kindern in bewaffneten Konflikten sollte allerdings nicht dazu führen, das Schicksal der Kinder isoliert zu sehen. Kinder haben Eltern, sind Teil von Großfamilien mit engen Bindungen, stammen oft aus dörflichen oder nachbarschaftlichen Gemeinschaften, die alle mitbetroffen sind, und bisweilen auch mitschuldig, wenn Kinder in Kriegshandlungen verwickelt werden. Programme, die zum Ziel haben, Kinder aus dem Krieg zu holen und ihnen wieder einer ihrer Altersstufe entsprechenden Entwicklungsmöglichkeit zu öffnen, müssen das berücksichtigen.

Im Schicksal von Kindersoldaten spiegelt sich die Grausamkeit moderner Bürgerkriege in drastischer Weise. Die neueren Kriege sind fast durchgehend innerstaatliche Konflikte. Die klassische kriegsrechtliche Unterscheidung von Kombattanten und Zivilbevölkerung gilt in ihnen wenig. Die Einbeziehung von Kindern in das Kriegsgeschehen ist ein charakteristischer Teil dieser Tendenz zur Durchdringung der Gesellschaft durch die kämpfenden Parteien. Nach Schätzungen der “International Coalition to Stop the Use of Child Soldiers” gibt es rund eine halbe Million Minderjährige, die in den regulären oder irregulären Streitkräften und illegalen bewaffneten Gruppen in 85 Ländern der Erde als Kindersoldaten missbraucht werden. Entsprechend finden sich die meisten Kindersoldaten in den Ländern mit langanhaltenden internen Konflikten: Myanmar, Kongo, Liberia, und an vierter Stelle Kolumbien.

Ende 2000 kam es im Nordosten Kolumbiens zu einem Gefecht zwischen einer Gruppe der “Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens” (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, FARC) und der Armee. Nach diesem “Operation Berlin” genannten Kampf blieben 46 tote Guerilleros auf dem Schlachtfeld zurück. Von diesen waren 20 Kinder, Jungen und Mädchen. Außerdem machte die Armee 72 Gefangene, von denen wiederum 32 Minderjährige waren, 19 davon 15-jährig und jünger. Die Gesamtzahl der Minderjährigen in den Reihen der bewaffneten Gruppen Kolumbiens wird auf 7.000 bis 14.000 geschätzt. Das bedeutet, dass ein Viertel bis die Hälfte der Angehörigen dieser illegalen bewaffneten Gruppen Kinder und Jugendliche sein dürften.

Die unterschiedlichen Zahlen erklären sich nicht nur durch die Interessen der jeweiligen Organisationen, die sie vorlegen, und durch die Schwierigkeiten, die Daten zu erheben. Es gibt auch erhebliche Unterschiede in der Definition dessen, was Kindersoldaten sind. Eine ausreichend breite, gleichwohl hinreichend präzise Definition liegt den 1997 für den afrikanischen Kontinent verabschiedeten “Cape Town Principles” zugrunde:

“Ein Kindersoldat ist jede Person unter 18 Jahren, die Teil jeder Art von regulären oder irregulären bewaffneten Streitkräften oder bewaffneten Gruppen ist. Dabei ist es unerheblich, welche Funktion sie dort ausführt. Dies schließt Köche, Träger, Boten und diejenigen ein, die solche Gruppen begleiten, es sei denn, es handele sich um Familienmitglieder. Auch Mädchen, die für sexuelle Zwecke oder erzwungene Heiraten rekrutiert wurden, sind inbegriffen. Eine Beschränkung auf Kinder, die Waffen tragen oder Waffen getragen haben, ist daher ausgeschlossen.”

Zu den hier aufgeführten Tätigkeiten von Kindersoldaten jenseits des bewaffneten Kampfs im engen Sinn kommen in Kolumbien und anderswo vor allem noch die nachrichtendienstlichen Arbeiten, für die gerade Kinder oft am geeignetsten scheinen, die sie aber einem hohen Risiko aussetzen.

Kinderschutz

Kinderschutzorganisationen wie terre des hommes oder die Kindernothilfe in Deutschland, aber auch die großen Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international oder Human Rights Watch, UN-Organe wie UNICEF und auch der Weltsicherheitsrat haben sich schon seit langem darauf verständigt, dass Kindersoldaten vor allem als Opfer zu betrachten sind – auch wenn sie bisweilen schreckliche Verbrechen in dieser Rolle begangen haben.

Dahinter steckt die Einsicht, gewonnen aus den Lebensgeschichten zahlreicher Kindersoldaten, dass ein Kind, das zum Kindersoldaten wird, fast immer schon vorher Opfer war. Was bringt Kinder dazu, in bewaffneten Verbänden gleich welcher Couleur mitzumachen? Fast immer steht hinter diesem Schritt eine Kombination verschiedener Ursachen:

  • Gravierende familiäre Probleme: zerstörte Familien, Zerwürfnis mit den Eltern oder einem Elternteil, sexueller Missbrauch u.ä. – also eine Flucht aus unerträglichen Verhältnissen in einen Verband, von dem sich das Kind oder die Jugendlichen Unterstützung und Schutz erhoffen.

  • Armut: Schon eine geringe Entlohnung oder auch nur eine regelmäßige Verpflegung können bei extremer Armut Motiv sein, sich einer bewaffneten Gruppe anzuschließen. Manche Kinder treffen eine solche Entscheidung selbst, andere werden von ihren Eltern gewissermaßen abgegeben.

  • Verzweiflung, Rache u.ä.: Kinder, deren Angehörige von einer bewaffneten Gruppe umgebracht oder verschleppt wurden, gehen zu der gegnerischen Partei, wenn und weil keine Macht für Gerechtigkeit sorgt.

  • Gewohnheit: In manchen Gegenden üben bewaffnete Gruppen über lange Zeit eine quasistaatliche Gewalt aus. Jugendliche wachsen dann fast von selbst in diese Gruppen hinein.

  • Status: die Faszination der Waffen und der mit ihnen verbundenen Macht wirkt vor allem auf männliche Jugendliche stark, vor allem wenn sie in Wirklichkeit ohnmächtig sind. In vielen Fällen bieten die bewaffneten Gruppen die einzige Möglichkeit, sozialen Status zu erwerben.

  • Zwangsrekrutierung: Kinder und Jugendliche werden von der Straße weg oder aus Elternhaus oder Schule entführt und gewaltsam zum Eintritt gezwungen. Oder aber die Eltern werden verpflichtet, eines oder mehrere Kinder abzugeben.

Gerade diese letztgenannte Art der Zwangsrekrutierung zeigt, wie eng das Problem der Rekrutierung mit der Dramatik des gesamten Krieges für die Zivilbevölkerung verzahnt ist. Zwangsrekrutierung ist nicht nur ein Problem der Kinder, ganze Familien und ganze Dörfer und Landstriche sind davon betroffen. Nach Angaben der UN-Flüchtlingsorganisation (UNHCR) gehen mindestens sechs Prozent der jährlich ca. 150.000 neuen Flüchtlinge in Kolumbien auf das Konto dieser Zwangsrekrutierungen von Kindern, d.h. rund 9000 Personen geben jedes Jahr Haus und Land auf und fliehen allein deshalb mit ihren Kindern in die Elendssiedlungen der Städte, um diese vor dem Zugriff der bewaffneten Gruppen zu schützen. Wie Studien gezeigt haben, zerbrechen die Familien darüber oft.

Menschenrechts- und Kinderschutzorganisationen gehen davon aus, dass die Gründe, warum Kinder sich den bewaffneten Gruppen anschließen, zwar vielfältig sind, dass aber in keinem Fall von einer autonomen freien Entscheidung des Kindes gesprochen werden kann, die ihm eine strafrechtliche Verantwortlichkeit auferlegen würde. Damit ist nicht gesagt, dass Kinder und Jugendliche nicht fähig seien, eigenständige moralische Entscheidungen zu treffen. Aber in aller Regel überwiegen die Zwänge, die bei einem Kind noch viel stärker als bei einem benachteiligten Erwachsenen wirken. Daher müssen Kinder und Jugendliche in erster Linie als schutzbedürftige Opfer gesehen werden.

Die Entwicklung des internationalen Rechts seit dem Zweiten Weltkrieg und vielfach auch die nationale Gesetzgebung sind ihnen darin ein großes Stück gefolgt. Das war nicht immer so.

Was ist ein Kind?

Historische und kulturell werden die Grenzen zwischen Kindheit und Erwachsenenalter sehr unterschiedlich gezogen. Besonders deutlich zeigt sich das an zwei in traditionellen Gesellschaft rituell reich begleiteten Marksteinen dieses Übergangs: dem Zeitpunkt, an dem ein Mädchen heiratsfähig wird, und eben dem Moment, ab dem ein Junge als Kämpfer gelten kann. Kindersoldaten haben zwar in den letzten Jahren aufgrund der grausamen “Neuen Kriege” wieder zugenommen, in vielen Teilen der Welt waren sie aber in der Geschichte des Krieges selbstverständlich. Selbst das moderne Recht weist noch bemerkenswerte Spuren einer Altersgrenze auf, die uns heute inhuman erscheint.

Die Genfer Konventionen etwa, die so viele starke Schutzbestimmungen für die Zivilbevölkerung, die kämpfenden Soldaten und die Kriegsgefangenen festgeschrieben haben, lassen Soldaten ab dem 15. Lebensjahr zu. Die 1949 verabschiedeten vier Genfer Abkommen erwähnen das Thema gar nicht explizit. In Artikel 77 des 1977 beschlossenen 1. Zusatzprotokolls zu den Konventionen, in dem Regeln für den Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten ausformuliert wurden, heißt es:

“2. Die am Konflikt beteiligten Parteien treffen alle praktisch durchführbaren Maßnahmen, damit Kinder unter fünfzehn Jahren nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen; sie sehen insbesondere davon ab, sie in ihre Streitkräfte einzugliedern. Wenn die am Konflikt beteiligten Parteien Personen einziehen, die bereits das fünfzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, bemühen sie sich, zuerst die Ältesten heranzuziehen.”

Und im 2. Zusatzprotokoll vom gleichen Jahr, das speziell den Schutz der Opfer innerstaatlicher bewaffneter Konflikte regelt, heißt es (Art.4,3):

“Insbesondere dürfen Kinder unter fünfzehn Jahren weder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingegliedert werden noch darf ihnen die Teilnahme an Feindseligkeiten erlaubt werden.”

Das ist der Stand im Humanitären Völkerrecht bis heute. Er ist mit dieser niedrigen Altersgrenze selbst noch in das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs eingegangen. Immerhin bedeutet das aber, dass der Einsatz von Kindern unter 15 Jahren heute ein Kriegsverbrechen ist, das letztlich auch vor diesen internationalen Strafgerichtshof gebracht werden kann. Andererseits, da das humanitäre Völkerrecht das einzige internationale Recht ist, an das auch nichtstaatliche Gruppen ohne Zweifel gebunden sind, ist es nicht verwunderlich, dass sie sich in ihrem guten Recht fühlen, wenn sie Jugendliche ab 15 rekrutieren. Freilich missbrauchen sie auch noch viel jüngere Kinder.

1990 trat das wohl wichtigste (und mit mittlerweile mehr als 190 Zeichnungen auch das nominell “erfolgreichste”) Instrument des Kinderschutzes in Kraft, das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, meist einfach Kinderrechtskonvention genannt. Der entscheidende Fortschritt dieser Konvention liegt, wie ihr Name andeutet, dass Kinder in ihr zwar, das liegt in der Natur der menschlichen Entwicklung, als schutzbedürftig in vieler Hinsicht definiert werden, dass sie aber als eigenständige Personen mit entsprechenden Rechten erstmals explizit anerkannt werden.

Wo zieht die 1990 in Kraft getretene Kinderrechtskonvention nun die Grenze zwischen schutzbedürftigen Kindern und Erwachsenen? Erstaunlicherweise immer noch bei 15 Jahren! Die Problematik von Kindern im Krieg regelt Artikel 38 der Konvention. Dort heißt es:

“Die Vertragsstaaten treffen alle durchführbaren Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Personen, die das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen.” (Absatz 2)

“Die Vertragsstaaten nehmen davon Abstand, Personen, die das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zu ihren Streitkräften einzuziehen. Werden Personen zu den Streitkräften eingezogen, die zwar das fünfzehnte, nicht aber das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, so bemühen sich die Vertragsstaaten, vorrangig die ältesten einzuziehen.” (Absatz 3)

Also auch die viel gelobte Kinderrechtskonvention verbietet nicht grundsätzlich, dass Fünfzehnjährige in den Krieg ziehen! So stark war und ist noch immer die Lobby der Kriegsherren. Dabei trat sie in einer Zeit in Kraft, als z.B. in Afrika die Gräuel in aller Deutlichkeit zutage traten, die Kinder in den dortigen Kriegen erlitten – und teilweise auch ausübten. Es war denn auch eine Afrikanerin, Graça Machel, die ehemalige Erziehungsministerin von Mozambique, das einen der grausamsten Kriege der Zeit seit 1945 erlebt hatte, die in einem Bericht an die UNO auf den Skandal der Kindersoldaten nachdrücklich hinwies. Ihr Bericht gab den langjährigen Bemühungen um eine Änderung der Altergrenze Auftrieb.

Aber nicht der Text der Konvention wurde geändert, stattdessen wurde ab 1994 ein Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention erarbeitet, das im Jahr 2000 von der Generalversammlung der UNO angenommen wurde und schließlich 2002 in Kraft trat. Es bindet, wie jeder völkerrechtliche Vertrag, allerdings zunächst nur die Staaten, die es ratifiziert haben. Das sind bis heute 87 – Deutschland hat das Protokoll zwar im Jahr 2000 unterzeichnet, die Ratifizierung steht aber noch aus.

Dieses Zusatzprotokoll bringt nun in der Tat einige wichtige Fortschritte zur Verhütung des Einsatzes von Kindern in Kriegen. Zwar gestattet das Zusatzprotokoll noch immer die Einziehung von “Freiwilligen unter 18 Jahren” in die Streitkräfte. Von der Möglichkeit, freiwillig auf diese Option bei der Ratifizierung zu verzichten und damit anderen Staaten ein Vorbild zu geben, hat leider auch die Bundesrepublik Deutschland bei der Unterzeichnung keinen Gebrauch gemacht.

Das Zusatzprotokoll macht den Staaten aber eine Reihe von Auflagen für den Fall, dass immer noch Minderjährige rekrutiert werden. Artikel 4 des Protokolls verpflichtet die Staaten, “alle durchführbaren Maßnahmen” zu ergreifen, um die Beteiligung von Jugendlichen unter 18 Jahren an “bewaffneten Gruppen, die nicht Streitkräfte eines Staates sind” zu unterbinden. Sie müssen dies auch unter Strafe stellen.

Gleichzeitig hat auch der Weltsicherheitsrat in bisher vier Resolutionen das Thema der Kinder im Krieg aufgegriffen und sich gegen ihre Beteiligung an bewaffneten Konflikten ausgesprochen. Der Generalsekretär hat einen eigenen Sonderbeauftragten, den Ugander Olara Otunnu, für diese Problematik ernannt. Und auch eine UN-Sonderorganisation, von der man das vielleicht nicht erwartet hätte, die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) meldete sich zu Wort. Sie verabschiedete 1999 ein Übereinkommen (die ILO-Konvention 182), in der die “schlimmsten Formen der Kinderarbeit” verurteilt und verboten werden, darunter Prostitution, Drogenhandel und andere illegale Tätigkeiten, gesundheitsschädliche Arbeiten und nicht zuletzt alle Formen der Sklaverei oder sklavenähnlicher Arbeit. Und dazu zählt die ILO ausdrücklich auch die Rekrutierung von Kindern für bewaffnete Konflikte. In Art. 3 der Konvention heißt es sehr deutlich:

“Im Sinn dieses Übereinkommens umfasst der Ausdruck “šdie schlimmsten Formen der Kinderarbeit’: a) alle Formen der Sklaverei oder alle sklavereiähnlichen Praktiken, wie den Verkauf von Kindern und den Kinderhandel, Schuldknechtschaft und Leibeigenschaft sowie Zwangs- oder Pflichtarbeit, einschließlich der Zwangs- oder Pflichtrekrutierung von Kindern für den Einsatz in bewaffneten Gruppen.”

Kolumbien

Internationales Recht hilft wenig, solange es nicht in den einzelnen Staaten auch umgesetzt wird. Kolumbien ist hier einige wichtige Schritte gegangen. Ein nationales Gesetz verbietet den Streitkräften, Minderjährige zum Kriegsdienst einzuziehen, selbst wenn sie sich freiwillig melden. Die 7.000 bis 14.000 Kindersoldaten sind also heute im wesentlichen in den Reihen der Guerilla und der paramilitärischen Gruppen zu suchen – letztere arbeiten allerdings oft sehr eng mit den offiziellen Militärs zusammen. Unter den Kindersoldaten findet sich eine hohe Zahl von Mädchen, die einerseits ebenfalls an den Kämpfen teilnehmen, andererseits meist auch für sexuelle Dienste missbraucht werden. Eindrucksvoll haben jüngst die Soziologin Yvonne Keairns und der Schriftsteller Germán Castro das Schicksal von Kindersoldatinnen dokumentiert.

Die Haltung der einzelnen kämpfenden Gruppen ist durchaus unterschiedlich. Die Militärs ziehen Kinder nicht mehr ein, benutzen sie allerdings – entgegen den Vorschriften – noch immer gern als Spitzel. Die Paramilitärs leugnen schlicht, dass sie Kinder in ihren Reihen beschäftigen. Die Guerilla hingegen rechtfertigt den Einsatz von Kindern ganz offen. Im Jahr 2000 organisierten NGOs und halboffizielle Institutionen ein Symposium zum Thema, auf dem auch eine Vertreterin der FARC, “Comandante Mariana” per Telefon zugeschaltet wurde. U.a. erklärte sie:

“Wir haben eine große Zahl von jungen Leuten über 15 Jahren in unseren Reihen. Sie träumen von einem besseren Land für ihre Familien, für sich selbst und für alle, die unter ähnlichen Bedingungen leben müssen. Deshalb trafen sie die Entscheidung, sich den FARC anzuschließen. In Ausnahmefällen akzeptieren wir sogar Personen unter 15 Jahren, denn weder der Staat noch die Gesellschaft, ja nicht einmal ihre Familien sind bereit, ihnen eine Chance auf ein würdiges Leben zu geben. Wir sollten deswegen nicht schockiert sein, sondern lieber einen Blick auf die Optionen werfen, die diese Gesellschaft, die uns so kritisiert, ihnen bietet: Straßenbettelei, den Anschluss an kriminelle Banden in städtischen Elendsvierteln, Hilfsdienste für Drogenschmuggler, Spitzeldienste für Sicherheitsdienste in deren schmutzigem Krieg, informelle Arbeit wie Altpapiersammeln, Prostitution oder Auftragsmord“¦ Kein Kind sollte im Krieg sein, niemand sollte im Krieg sein, es sollte überhaupt keinen Krieg geben. Unseligerweise aber lassen die wirtschaftlichen und politischen Machthaber in unserem Land dem kolumbianischen Volk keine andere Wahl als den bewaffneten Aufstand.” (zit. nach http://www.derechoshumanos.gov.co/observatorio/04_publicaciones/04_02_temas/ninez_conflicto/webingles/ (6.9.2004)

Von Seiten der illegalen bewaffneten Gruppen ist also vorerst nicht zu erwarten, dass sie von der Rekrutierung von Kindern und Jugendlichen ablassen. Fortschritte sind in Kolumbien allerdings bei der gesetzlichen Regelung zweier wichtiger Komplexe zu verzeichnen:

  • das erwähnte Verbot, in den Streitkräften Minderjährige unter 18 Jahren einzuberufen.

  • die Freiheit von Strafverfolgung für minderjährige Mitglieder illegaler bewaffneter Gruppen.

Die letztgenannte Regelung ist besonders wichtig. Sie ist unabdingbare Voraussetzung, wenn es darum geht, Strategien und Politiken zu entwickeln, Kinder und Jugendliche wieder aus den bewaffneten Gruppen herauszuholen. Der Verzicht auf strafrechtliche Verfolgung – auch nach dem Jugendstrafrecht – ist ein wichtiger Gesichtspunkt, wenn Jugendliche den Schritt heraus aus den bewaffneten Gruppen wagen sollen. Und er ist Grundlage dafür, dass die zuständigen Behörden und die engagierten Nichtregierungsorganisationen die ungemein schwierige Aufgabe sinnvoll anpacken können, diesen Kindern seelisch, sozial und materiell beizustehen und ihnen die Chance einer anderen Zukunft zu eröffnen.

Der Ausstieg

Wie kommen Kindersoldaten aus dem Krieg wieder heraus? So wie es ganz unterschiedliche Gründe gibt, warum Kinder sich diesen Gruppen anschließen, gibt es auch verschiedene Weg heraus.

Die kleinere der beiden Guerillagruppen, die “Nationale Befreiungsarmee” (Ejército de Liberación Nacional, ELN), scheint zumindest in einer Reihe von Fällen zuzulassen, dass minderjährige Mitglieder sich wieder zurückziehen, soweit sie darin keine Gefährdung ihrer militärischen Position sieht. Bei den FARC und bei den Paramilitärs gibt es diese Möglichkeit dagegen kaum. Auf Desertion steht die Todesstrafe. Dennoch haben nach Angaben der zuständigen Behörde im Sozialministerium (ICBF: “Instituto Colombiano de Bienestar Familiar” – Kolumbianisches Institut für das Wohl der Familie) seit 1999 etwa 1.800 Kinder und Jugendliche die bewaffneten Gruppen verlassen. Außer den geringen Möglichkeiten, dies mit Zustimmung der Gruppen zu tun, geschieht das hauptsächlich auf folgenden Wegen:

  • Kriegsgefangenschaft: Die Kinder werden bei Gefechten mit der Armee gefangen genommen. Nach der neuen gesetzlichen Lage müssen die Streitkräfte minderjährige Gefangene innerhalb von 36 Stunden an das ICBF übergeben.

  • Flucht: Eine gefährliche, sich aber gleichwohl unter den Bedingungen des irregulären Krieges immer wieder ergebende Möglichkeit.

  • Aufgabe: Gelegentlich lassen die bewaffneten Gruppen kranke oder sonst wie “unbrauchbare” Kinder zurück.

  • “Feindliche Übergabe”: Gelegentlich übergeben bewaffnete Gruppen Minderjährige, die sie im Kampf mit der Gegenpartei (Guerilla oder Paramilitärs) gefangen genommen haben, an die Armee oder staatliche Behörden. Dies ist Teil des Propagandakriegs. Oft aber werden diese Kinder gezwungen, auf der anderen Seite weiterzukämpfen.

  • “Freundliche Übergabe”: In bestimmten politischen Konstellationen ist es vorgekommen, dass eine bewaffnete Gruppe Kinder aus ihren Reihen als Geste von good will an die Behörden übergeben hat.

Die schwierige Arbeit, diese Kinder und Jugendlichen, die in einigen Fällen acht oder mehr Jahre, also bisweilen den größten Teil ihres Lebens, als Kindersoldaten verbracht haben, wieder in ein ziviles Leben zurückzuführen und, wichtiger noch, ihnen eine Zukunftsperspektive außerhalb der bewaffneten Gruppen zu eröffnen, bleibt dann Behörden wie dem ICBF und Nicht-Regierungsorganisationen überlassen. Kolumbien hat dabei in den letzten Jahren Beachtliches geleistet. Nach übereinstimmenden Angaben der Behörde und von Nicht-Regierungsorganisationen ist es z.B. in den Heimen, in denen ehemalige Kindersoldatinnen und -soldaten aus den verfeindeten Parteien in der Regel gemeinsam leben, zu keinen gravierenden Zwischenfällen gekommen. Auch ist es bisher gelungen, die Kriegsparteien davon abzuhalten, ausgestiegene Kindersoldaten aus diesen Einrichtungen wieder zu entführen.

Zahlen über Jugendliche bzw. dann auch junge Erwachsene, die nach einem Ausstieg freiwillig wieder in eine – durchaus auch die gegnerische – Partei zurückkehren, gibt es nicht. Dass es nicht selten vorkommt, bestätigen alle, die sich mit dem Problem der Kindersoldaten beschäftigen. Die Gründe, die ein Kind einst in den Krieg trieben, sind trotz der Anstrengungen in den Ausstiegsprogrammen nur teilweise zu beseitigen. Das Problem der Kindersoldaten ist durch solche Programme nur in sehr begrenztem Umfang zu lösen. Während es gelingt, einige Kinder und Jugendliche aus
Konflikt herauszuholen, schließen sich viele andere den bewaffneten Gruppen an. Für die vielen Menschen, die sich in Kolumbien für ein Ende des Missbrauchs von Kindern im Krieg einsetzen, kann das kein Grund sein, ihr Engagement für die betroffenen Kinder einzustellen. Aber sie wissen, dass es erst zum Ziel führen wird, wenn der bewaffnete Konflikt und seine sozialen Ursachen ein Ende finden.

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