Neue Bücher zur Colonia Dignidad

15. März 2006 | Von | Kategorie: Rezensionen

Friedrich Paul Heller: Lederhosen, Dutt und Giftgas : Die Hintergründe der Colonia Dignidad, Schmetterlingverlag, Stuttgart 2005

Efrain Vedder/Ingo Lenz: Weg vom Leben – 35 Jahre Gefangenschaft in der deutschen Sekte Colonia Dignidad, Berlin: Ullstein 2005, 204 S.

Über das deutsch-chilenische Folterzentrum Colonia Dignidad sind seit Jahrzehnten immer wieder grausige Berichte publiziert worden. Das wahre Ausmaß des dort Geschehenen ist aber erst in jüngster Zeit, nach der Verhaftung des Gründers und Herrschers der Kolonie, Paul Schäfer, zutage getreten. Neue Augenzeugenberichte wie das Buch von Efrain Vedder und Ingo Lenz sowie das neue Buch des Colonia-Dignidad-Experten Friedrich Paul Heller präzisieren das Bild des Schreckens in diesem Lager, das lange genug vom Schleier des Mysteriösen umgeben war. Wie sich herausstellt, war mit der Colonia Dignidad alles viel simpler und schlimmer bestellt als gedacht.

Friedrich Paul Heller: Lederhosen, Dutt und Giftgas : Die Hintergründe der Colonia Dignidad, Schmetterlingverlag, Stuttgart 2005

Jetzt, wo es mit der Siedlung zu Ende geht, werden Mythen offensichtlich, die sich um die deutsche Foltersiedlung Colonia Dignidad in Chile gebildet haben. Die Sektensiedlung ist eben keine Nazi-Fluchtburg, ihr Gründer Paul Schäfer kein Kriegsveteran, Strauß hat sie nicht besucht und es gibt keine geheime Verschwörung, die hinter Allem steht. Der Hintergrund dieser Siedlung, die so viel Leiden und Tod gebracht hat, ist, wie das 2005 erschienene Buch “Leserhosen, Dutt und Giftgas” zeigt, eine billiger Krimi. Ihre Verbrechen sind, so das Buch, schlimmer als bisher bekannt.

Die Führerfigur Schäfer kann man sich nicht trivial genug vorstellen. Er ist ein berufsloser, ungehobelter Langschläfer. Er ließ seine Anhänger abgetragene Sachen aus deutschen Altkleidersammlungen tragen und lief selbst in Seidenhemden herum. Die Siedler durften nur ein Mal in der Woche duschen; Schäfer sammelte in seinem geräumigen Bad, in dem zwei Kloschüsseln nebeneinander standen, Duftwässerchen und Schönheitsgels an. Seine Predigten, die er spät nachts hielt, dauerten Stunden, und als er älter wurde, schlief er dabei ein, während die übermüdete Siedlergemeinde mucksmäuschenstill wartete, bis er wieder aufwachte und weiter predigte. Aber er war ein begnadeter Manipulator.

Zu den Gründen, die aus der 1961 gegründeten Sektensiedlung ein Folter- und Todeslager gemacht haben, zählt der mit der Landnahme in einem abgelegenen Teil Chiles verbundene Totalanspruch. Die Sekte wollte eine utopische urchristliche Gemeinde gründen, in der nur ihre eigenen Gesetze galten. Das Geld wurde abgeschafft. Die Siedlung war ein kleiner Ständestaat mit Elementen einer Sklavenhaltergesellschaft. Die Religion wurde zum Herrschaftsmittel. Schäfer, der ein sexuelles Monopol auf alle Jungen in der Siedlung ausübte, kontrollierte und maßregelte alle sexuellen Aktivitäten in der Siedlung. Im Siedlungskrankenhaus wurden alle renitenten Mitglieder mit Psychopharmaka und Elektroschocks zwangsbehandelt. Die Landnahme geriet zu einer Kolonisierung von Körpern und Seelen der Siedler.

Dann kam 1973 Pinochets Militärputsch. Schäfers antikommunistische Sekte ging ein Bündnis mit dem chilenischen Geheimdienst DINA ein. Die Colonia Dignidad, die längst ihre eigenen Verhör- und Foltertechniken herausgebildet hatte, wurde zu einem geheimen Lager des Militärs. Das Buch schildert Massaker und ein geheimes Arbeitslager, über die der Autor F.P. Heller in seinem Buch Colonia Dignidad : von der Psychosekte zum Folterlager (Schmetterlingverlag Stuttgart 1992) zum ersten Mal überhaupt berichtet hatte. Heute, fast eineinhalb Jahrzehnte später, ermittelt die Justiz in dieser Richtung.

Neue Informationen enthält ein Kapitel über Waffenschmuggel und -Produktion der Colonia Dignidad. Neben illegalen Geschäften mit konventionellen Waffen war die Sekte in die Vorbereitung eines Krieges mit biologischen und chemischen Waffen verwickelt. Sie war Teil eines militärisch-geheimdienstlichen Projektes, das sich den Kampf gegen den Kommunismus auf der ganzen Welt vorgenommen hatte. Das wichtigste Betätigungsfeld war das Ausspionieren, Verhaften und Ermorden von Oppositionellen in den jeweiligen Nachbarländern. Die USA und einige europäische Länder wurden zum vorgelagerten Operationsgebiet dieser kontinentalen Konterrevolution. Die Colonia Dignidad wurde, so der Autor, durch diese Entgrenzung “ein frühes, wenn nicht das erste Beispiel für die Auslagerung der staatlichen Folter in einen privaten und rechtsfreien Raum, die ein Vierteljahrhundert später zur weltweiten Tendenz wurde.”

Ein Kapitel über die deutsche Botschaft in Chile und das Auswärtige Amt zählt Doppelzüngigkeiten und sträfliche Vernachlässigungen bis hin zur Komplizenschaft der Diplomaten mit der Schäfer-Sekte auf. Erst 1985, als nach Berichten geflohener Siedler über Misshandlungen von Deutschen durch Deutsche eine Neupositionierung nicht mehr zu umgehen war, ging die deutsche Diplomatie gegen die Colonia Dignidad vor. Das Buch belegt auch Verwicklungen des Bundesnachrichtendienstes mit der Sekte.

Die Colonia Dignidad war als nichtstaatliches Unternehmen früh gezwungen, ihre eigene Straflosigkeit zu organisieren. Sie legte ein umfangreiches Archiv an, um Freunde und Feinde erpressen zu können. Sie wurde der schlimmsten Verbrechen beschuldigt und schaffte es, mit Hilfe teuerer Rechtsanwälte zur Klägerin zu werden. Sie vernichtete Beweise und baute zu ihrer Verteidigung einen “Freundeskreis” auf.

Erst nach Schäfers Verhaftung 2005 brach das Sektengefüge ein. Die Veränderungen gehen langsam genug vor sich. Von Schäfers utopischem Unternehmen sind zerbrochene Menschen ohne Zukunft übrig geblieben.

Das Buch folgt einer menschenrechtlich-didaktischen Fragestellung: Wie wird ein Mensch zum Folterer? Es nähert sich einer Antwort durch exemplarische Biographien und deren Milieu. Es lässt, ohne die grausamen Details, eine Parade chilenischer und deutscher Folterer und Mörder aufmarschieren. Einige der Deutschen waren durch das repressive Sektenmilieu so geprägt, dass sie nach dem Putsch bruchlos mit den chilenischen Geheimdiensten arbeiten konnten. Statt des Teufels trieben sie nun den Kommunismus aus. Zu den chilenischen Folterern zählt der Enkel einer von Stalin gequälten Kosakenfamilie, der den Racheengel spielt [link Krassnoff!!]. Der Geheimdienstler Osvaldo Heyder konnte Mord und Folter nicht billigen, rettete einige Gefangene und büßte dafür mit seinem Leben.

Diese Methode, in kompakten biographischen Abrissen die Motivationen und Hintergründe von Tätern auszuleuchten, verschiebt gelegentlich die Erzählperspektive von den Opfern zu den Tätern. Das Buch schildert z.B. eine Demonstration von Angehörigen “verschwundener” Gefangener vor dem Tor der Siedlung nicht aus der klassischen Journalistenperspektive (hinter der Polizei), sondern, dem Bericht eines Aussteigers folgend, von der anderen Seite des Zaunes aus. Solche etwas beklemmende Perspektivwechsel tragen zu einer im Schlusskapitel versuchten Antwort auf die Anfangsfrage bei, wie ein Mensch zum Folterer wird. Die Colonia Dignidad wird als moralphilosophisches Realexperiment gedeutet, bei dem ein “moralischer Äquator” die Schrumpfmoral Schäfers von der der Umwelt trennt. Es gab keine moralvermittelnden Instanzen, und selbst die Bibel war zensiert. Dennoch hatten die Bewohner ein Wissen von Gut und Böse, und die Täter hatten die Möglichkeit, sich anders zu entscheiden. Lederhosen, Dutt und Giftgas ist das erste Buch zur Colonia Dignidad, das nach der Verhaftung Paul Schäfers geschrieben wurde.

Norbert Niemann

Efrain Vedder/Ingo Lenz: Weg vom Leben – 35 Jahre Gefangenschaft in der deutschen Sekte Colonia Dignidad, Berlin: Ullstein 2005, 204 S.

Efrain Vedder hieß eigentlich José Efraí­n Morales Norambuena. Ein paar Wochen nach seiner Geburt wurde er von seinen chilenischen Eltern wegen eines Fiebers ins Krankenhaus der deutschen Siedlung Colonia Dignidad in der Nähe von Parral im Süden von Chile gebracht. Paul Schäfer, der brutale Päderast und “Führer” der Sektensiedlung mit dem perversen Namen “Colonia Dignidad” gab ihn nicht mehr zurück. Fortan war er “der Hans” und musste Kindheit und Jugend im Zwangssystem der Kolonie verbringen. Erst mit 35 Jahren, im Jahr 2002, schaffte er den Absprung. “Weg vom Leben” ist der erste authentische Bericht aus dem Innenleben der Colonia. Vedders Bericht hat keine politischen Absichten, in mancher Hinsicht wirkt er geradezu naiv. Darin spiegelt sich, wie der Autor selbst beschreibt, auch die fast totale Abschottung von der Außenwelt während des Zwangsaufenthalts in der Kolonie. Vielleicht ist es gerade diese Schlichtheit der Erzählung, die die Lektüre so erschütternd macht. Unbegreiflich bleibt, wie das potemkinsche Dorf, die “Villa Baviera”, wie die Kolonie sich auch gern nannte, über Jahrzehnte nicht nur beste Beziehungen zu den chilenischen Behörden pflegen konnte, sondern auch zur deutschen Botschaft und Politik. Von den politischen Verbindungen des in Deutschland ursprünglich schon per Haftbefehl wegen Missbrauchs gesuchten Schäfer, von den Folterungen und dem Verschwinden Oppositioneller in der Kolonie erfährt man, wie könnte es anders sein, aus Vedders Buch nur Bruchstücke. Wie es möglich war, dass das Terrorsystem des Paul Schäfer und seiner fanatisierten Anhänger das Ende der Regierung seines Schutzherrn Pinochet noch eineinhalb Jahrzehnte überdauern konnte, trotz des von Vedder beschriebenen allmählichen Wandels der Einstellung der chilenischen Behörden, bleibt unfassbar. Erst im November 2004 wurde der “tí­o” gefasst und steht nun vor Gericht. Man muss gespannt sein, was dabei noch zu Tage kommt.

Rainer Huhle

Schlagworte: , ,

Kommentare sind geschlossen