Die Entstehung der Menschenrechtserklärung, umfassend dokumentiert

8. Dezember 2014 | Von | Kategorie: Rezensionen

The Universal Declaration of Human Rights. The travaux préparatoires, 3 volumes, edited by William A. Schabas, Cambridge University Press 2013

Als in den neunziger Jahren Johannes Morsink sich als erster daran machte, die Entstehungsgeschichte der Universellen Erklärung der Menschenrechte dokumentarisch zu rekonstruieren[1], blieb ihm nichts andres übrig, als mit einigen seiner Studenten in die Dag Hammarskjöld Bibliothek des New Yorker UNO-Sitzes zu gehen und dort Protokoll für Protokoll, Antrag für Antrag und Beschluss für Beschluss der verschiedenen UN-Gremien zu kopieren, die mit der Erklärung zwischen Ende 1945 und dem Tag ihrer Verabschiedung am 10. Dezember 1948 befasst waren. Während Morsink noch überlegte, wie er den angehäuften Papierberg künftigen Forschern zugänglich machen könnte, begann man in der UNO dankenswerter Weise, mit Blick auf den sechzigsten Jahrestag der Erklärung, mehr und mehr Dokumente des Entstehungsprozesses dieser „Magna Charta der Menschenrechte“ ins Netz zu stellen, zunächst auf einer speziellen Website, inzwischen auch ins UNBISNET, den elektronischen Katalog der Dag Hammarskjöld Bibliothek. Seither hat es, wer über die Entstehungsgeschichte der Erklärung forscht, wesentlich leichter. Dennoch ist die Recherche im UNBISNET nicht immer einfach, und auch nicht immer erfolgreich, denn noch sind nicht alle relevanten Dokumente online.

Ein irisch-englisches Projekt unter Federführung des Völkerrechtlers (und gelernten Historikers) William Schabas stellt uns nun die rund 700 einschlägigen Texte dieser sogenannten „travaux préparatoires“ auf dem Präsentierteller zur Verfügung, genauer: auf weit über dreitausend Seiten in drei Bänden. Die seinerzeit mit Schreibmaschine auf schlechtem Papier geschriebenen Dokumente wurden dabei von den Mitarbeiterinnen des Projekts – zu nennen sind vor allem Christina Szurlej und Bethan McGarry – in moderne Typographie übertragen, durchgesehen und vereinheitlicht, so dass sie in den Bänden problemlos zu lesen sind. Geordnet wurden die Dokumente streng chronologisch, entsprechende Indexe erlauben aber auch, zusammengehörige Dokumente z.B. eines bestimmten Gremiums leicht aufzufinden. Da die Überschriften der Dokumente meist wenig über die verhandelten Inhalte aussagen, ist der umfassende Sach- und Personenindex der unerlässliche Schlüssel. Dazu gibt es eine Konkordanz aller Stellen, die sich auf einen bestimmten Artikel (oder auch Absatz eines Artikels bzw. der Präambel) der Erklärung in ihrer endgültigen Form beziehen. Das ist besonders wertvoll, denn die Nummerierung der Artikel wechselte bis zum letzten Tag und auch die Bezeichnungen für einzelne Bestimmungen fielen sehr unterschiedlich aus. Was man sich noch hätte wünschen können, wäre eine übersichtliche Zeitschiene. Die lässt sich zwar aus dem Inhaltsverzeichnis konstruieren, doch ist das ein mühsamer Ersatz.

Was die Struktur des Dokumententeils nur mühsam ermöglicht, liefert umso klarer Schabas in seinem fast sechzig Seiten langen einführenden Essay. Nach einem naturgemäß sehr kurzen Abriss einiger Stationen aus der langen Vorgeschichte der Universellen Erklärung führt er die Leserschaft Schritt für Schritt durch die fast drei Jahre dauernden Verhandlungen in den verschiedenen Gremien, von den ersten Vorklärungen noch vor Einsetzung der Menschenrechtskommission, über die „Kernkommission“ und die eigentliche Menschenrechtskommission, die eher marginale Rolle des Wirtschafts- und Sozialrats bis hin zur Arbeit des 3. Ausschusses der Generalversammlung und deren Plenum. Dabei macht er deutlich, wie vielfältig die Meinungen über jeden Aspekt der Erklärung waren. Welchen Status sollte sie haben? Die Vorstellungen reichten von einer Ergänzung der UN-Charta über die Einbindung in nationale Verfassungen bis zu einer Resolution der Generalversammlung. Lange Zeit arbeitete man mit dem mehrdeutigen, schwer übersetzbaren Begriff der „Bill of Rights“. Dessen Bedeutungswandel zeigt Schabas ebenso auf wie er auch andere grundlegende Begriffe wie „universell“ erklärt. Auch wie und warum z.B. der später für die beiden großen Menschenrechtspakte benutzte biblische Begriff des „Covenant“ eingeführt wurde, erfährt man en passant. Immer wieder lässt Schabas verschiedene bekannte und nicht mehr so bekannte Delegierte in den Debatten zu Wort kommen und macht dabei deutlich, dass sich die unterschiedlichen Meinungen kaum bestimmten politischen Lagern zuordnen lassen. Ebenso wenig kann irgendeine einzelne Person den Anspruch auf die wesentliche Autorschaft der Erklärung beanspruchen. Wie schon John Peters Humphrey, selbst eine zentrale Figur in der Redaktionsgeschichte der Erklärung, schrieb, hatte sie „keinen Jefferson“. Die große Stärke der Erklärung ist, betont Schabas, dass sie ein kollektives Werk war.

Vieles in diesem einführenden Essay ist nicht neu, aber trotz seiner Kürze geht er auf alle wichtigen Aspekte der Erklärung selbst und des Verhandlungsprozesses ein, der zu der uns heute vertrauten Gestalt führte. Eine so kenntnisreiche und strukturierte Einführung ist in dieser knappen Form bisher nicht vorgelegt worden. Abgerundet wird sie von einigen Überlegungen Schabas‘ zum rechtlichen Status der Erklärung. Ob die Erklärung ein rechtlich verbindliches Dokument sei, wie einige zeitgenössische Juristen argumentierten (oder z.B. Südafrika befürchtete und sich deswegen der Stimme enthielt), oder eben nur eine feierliche Absichtserklärung, wie Eleanor Roosevelt betonte und Hersch Lauterpacht kritisierte, war von Anfang an umstritten. Schabas zeigt, wie schon in einigen früheren Arbeiten, dass die Gegenüberstellung von unverbindlichen Erklärungen und verbindlichen Verträgen im Bereich des Völkerrechts sehr abstrakt und praxisfern ist. Auch verbindliche Verträge werden häufig ohne Rechtsfolgen nicht eingehalten, während die formell unverbindliche Erklärung der Menschenrechte inzwischen als rechtlicher Maßstab weltweit anerkannt ist und auch Gerichte und Verfassungen auf sie Bezug nehmen.

Rainer Huhle

[1] Morsink, Johannes: The Universal Declaration of Human Rights. Origins, Drafting and Intent, University of Pennsylvania Press, Philadelphia 1999

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