Die Schutzverantwortung (R2P)

27. Mai 2014 | Von | Kategorie: Rezensionen

Hilpold, Peter (Hrsg.): Die Schutzverantwortung (R2P) – Ein Paradigmenwechsel in der Entwicklung des Internationalen Rechts?, Martinus Nijhoff Publishers, Leiden/Boston, 2013, 360 Seiten

In aktuellen sicherheitspolitischen Themen sorgt ein Kürzel immer wieder für Aufmerksamkeit: R2P, die Responsibility to Protect. Ein Völkerrechtskonzept, das 2001 von der International Commission on Intervention and State Sovereignty erarbeitet und überraschend in das Abschlussdokument des 2005 World Summit der Vereinten Nationen aufgenommen wurde.
In Reaktion auf die vier völkerstrafrechtlichen Tatbestände Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit[1] eröffnet R2P der internationalen Gemeinschaft eine Bandbreite an Reaktionsmaßnahmen zunehmender Intensität. Diese können bis hin zu militärischen Mitteln reichen – mit allen Implikationen für staatliche Souveränität. Ein bemerkenswerter Erfolg, kann doch angesichts der 9/11-Anschläge, dem „Krieg gegen den Terror“, bis hin zur Irak-Intervention von tiefschürfenden Umwälzungen in der Welt- und Völkerrechtsordnung jener Jahre gesprochen werden.

In seinem Buch beleuchtet Peter Hilpold gemeinsam mit weiteren Autoren das Konzept aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Gleich zu Beginn bezeichnet er R2P dabei als „ein neues Rechtsinstitut von außergewöhnlicher Überzeugungs- und Durchschlagskraft“[2] und grenzt es von weniger erfolgreichen, kurzlebigen Völkerrechtsbegriffen der Vergangenheit ab. Schließlich hat die Schutzverantwortung mit Aufnahme in die Resolution 1674 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen im Jahr 2006 die Ebene eines abstrakten Völkerrechtskonzeptes durchbrochen und ihren Weg in ein völkerrechtlich verbindliches Dokument gefunden. Darüber hinaus wurden u.a. mit dem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen „Implementing the Responsibility to Protect“ bereits 2009 konkrete Vorschläge zur Umsetzung der Schutzverantwortung entwickelt.
Gleichzeitig verweist Peter Hilpold auf den halb politischen, halb rechtlichen Charakter des Konzeptes, der aus einer nur bruchstückhaften Verrechtlichung und dem Vorbehalt einer Resolution durch den Sicherheitsrat für Zwangsmaßnahmen der internationalen Gemeinschaft resultiert. Fazit: R2P füllt zwar eine Lücke im Normsystem des Völkerrechts[3], auf der anderen Seite aber bedarf es einer weiterreichenden Auseinandersetzung mit dem Konzept, um seine Akzeptanz insbesondere in Abgrenzung zur Humanitären Intervention langfristig zu gewährleisten.

Das Buch – auf Grundlage einer Tagung der Universität Innsbruck im Dezember 2011 entstanden – setzt an diesem Punkt an und untergliedert sich in eine Reihe von deutschen und englischen Fachbeiträgen, die sich dem Thema aus z.T. diametral entgegengesetzten Perspektiven nähern. Hierdurch wird dem Leser ein plastischer Eindruck über die aktuelle wissenschaftliche und operationelle Debatte rund um das Völkerrechtskonzept vermittelt.
Peter Hilpold widmet dabei ein eigenes Kapitel der historischen Aufarbeitung und leitet die Kerngedanken der Schutzverantwortung aus unterschiedlichen Epochen europäischer und westlicher Geschichte ab: Von Platons Politeia, über Thomas von Aquin bis hin zu Hugo Grotius. Als historisch-philosophischer Überblick, gibt das Kapitel „würzige“ Impulse und Gegenüberstellungen, wie bspw. zu Machiavellis Machtpolitik, die Parallelen zur heutigen Diskussion erlauben.

Einen weiteren thematischen Schwerpunkt bildet die mögliche Ausweitung des Konzeptes auf zusätzliche Anwendungsfälle, wie bspw. Naturkatastrophen. Die Autoren durchleuchten hierfür konkrete Ereignisse, darunter den Zyklon Nargis 2008 oder die humanitäre Katastrophe im Nachgang zum Erdbeben in Haiti 2010. Dabei wird auch auf kritische Stimmen bezuggenommen, die das neue Schutzkonzept als Aufhebung des Prinzips der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates bewerten. Zusätzliche Anwendungsfälle könnten sich hiernach u.U. schädigend auf die Akzeptanz von R2P auswirken. Andere Autoren beziehen sich hingegen auf das bereits 13 Jahre früher entstandene Prinzip des „Common Concern of Mankind“. Sie argumentieren, dass das (ursprünglich im Kontext des Klimawandels ausgearbeitete) Prinzip legitimierender Faktor für eine zukünftige Ausweitung der Anwendungsfälle von R2P werden könne.[4]

Ein dritter Fokus des Buches liegt auf der Operationalisierung von R2P, bspw. anhand der „Agenda der Vereinten Nationen für Frauen, Frieden und Sicherheit“. Die Erfahrung aus der Implementierung der mit der Schutzverantwortung „artverwandten“ Agenda kann, so die Autoren, der weiteren Umsetzung von R2P als Vorreiter dienen. An dieser Stelle hervorgehoben sei der Beitrag von Enzo Cannizzaro. Dieser untersucht die Intervention in Libyen als „Lackmustest“ für die Operationalität des „neuen Völkerrechtssystems“ unter R2P. Enzo Cannizzaro gibt spannende Denkanstöße zur Weiterentwicklung der Vereinten Nationen und schlägt bspw. vor, ein Liaisonsystem zwischen dem Sicherheitsrat und der Befehlskette der militärischen Akteure vor Ort einzurichten.

Die Bewertung der Nachhaltigkeit von R2P im Bereich völkerrechtlicher Regelungsfelder sticht als vierter Schwerpunkt des Buches hervor. Hierzu wird u.a. das Verhältnis zwischen R2P, dem humanitären Völkerrecht und der internationalen Strafgerichtsbarkeit thematisiert. Da sich die Prinzipien des humanitären Völkerrechts in den Eckpunkten des R2P-Konzeptes widerspiegeln und ebenso im Rahmen militärischer Interventionen grundsätzliche Gültigkeit erlangen, werden sie für die Schutzverantwortung sowohl zum begründenden als auch begrenzenden Faktor. Im Anwendungsbereich von R2P werde damit, so die Autoren, insbesondere auch die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs tangiert.
An anderer Stelle werden in diesem Kontext grundsätzlichere Fragen zur „Konstitutionalisierung des Völkerrechts“ [5] angesprochen. So versteht Peter-Tobias Stoll im Spannungsfeld zwischen Schutzverantwortung und Souveränität letztere als eine „funktional verliehene Autorität“[6], die der Wahrung der Menschenrechte diene. Jeder Staat stehe hierdurch in der Pflicht, einen Beitrag zur Sicherung der internationalen Ordnung zu leisten. Dabei hänge die Stabilität und Legitimation des internationalen Systems davon ab, dass eine Mehrzahl der Staaten ihre Schutzverantwortung anerkennt und dieser auch nachkommt. Die Hervorhebung dieser Notwendigkeit, so Peter-Tobias Stoll, sei der eigentliche Verdienst von R2P.

Die Autoren spiegeln nach den oben beschriebenen Beträgen – sowie auch in weiteren Nebenschwerpunkten des Buches – die hohen Erwartungen und weitreichenden Implikationen einer vollständigen Umsetzung der neuen Völkerrechtsnorm wider. Sie setzen progressive Signale, manche mit Aufforderungen an die internationale Staatengemeinschaft, das Konzept anzuerkennen, manche zunächst mit Aufrufen zur intensiveren Auseinandersetzung über Inhalt und Ziele des Schutzkonzeptes. Dabei finden die Autoren z.T. deutliche Worte, bspw. über das Verhältnis zwischen Folter und Souveränität oder auch die Rolle des Schutzes von Minderheiten in der Umsetzung von R2P. Ergänzend fügen sich Kapitel mit „konstruktiver Kritik“ am Schutzkonzept ein, die bspw. das heute gültige Völkerrecht als Eckpfeiler des Friedens zwischen den Atom- bzw. Großmächten thematisieren.
Das Buch eignet sich hiesigen Ermessens somit sowohl für Einsteiger, als auch für „Kenner“ des Völkerrechts, die einen anschaulichen Rundumblick in der Thematik suchen. Vertiefte Einblicke in die jeweils nur angerissenen Themenfelder kommen insgesamt zwar leider ein wenig kurz. Dafür bleibt beim Leser aber eine „Lust auf mehr“, der anhand der gut geführten Quellenangaben leicht nachgegangen werden kann.

Rolf Baasch

Rolf Baasch arbeitet als Referent im Geschäftsbereich des BMVg. Dieser Text spiegelt ausschließlich seine private Meinung und nicht die Ansichten des BMVg wider.

 

[1]               Hilpold weist in diesem Rahmen zu Recht darauf hin, dass „ethnische Säuberungen“ in diesem Sinne keine eigenen Straftatbestand darstellen, sondern vielmehr in Zusammenhang mit zentralen Straftatbeständen zu sehen sind, vgl. Hilpold (2013), S. 15

[2]               Hilpold (2013), S. 1

[3]               In diesem Rahmen erzielt das Konzept gem. Hilpold eine effektive, autoritative Wirkung, vgl. Hilpold (2013), S. 28

[4]               Nakavukaren Schefer und Cottier sehen darin kein Akzeptanzproblem von R2P – im Gegenteil: Die notwendigen Ressourcen um weniger gewaltsame Herausforderungen der „Human Security“ im Rahmen von R2P/Common Concern zu bewältigen, könnten u.U. schneller und leichter erwirkt werden.

[5]               Hilpold (2013), S. 153

[6]               Hilpold (2013), S. 153

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