Pinochet – eine Täterbiografie

27. März 2013 | Von | Kategorie: Rezensionen

Friedrich Paul Heller: Pinochet. Eine Täterbiografie in Chile, Stuttgart (Schmetterling Verlag) 2012, 352 Seiten

Der erfolgreiche Kino-Film „NO“ zeigt, wie eine gelungene Öffentlichkeitsstrategie nach 15 Jahren das Ende der Diktatur von Augusto Pinochet in Chile einläutete. Er zeigt auch, dass ein „Nein“ zu seiner Wiederwahl in Pinochets Plan nicht vorgesehen war. Wer aber dieser im Oktober 1988 endlich abgewählte Pinochet war, das kann der Film nur sehr bruchstückhaft vermitteln. Wer es genauer wissen will, der kann jetzt zu der ersten deutschsprachigen Biografie von Augusto Pinochet Ugarte greifen, die zugleich die erste ist, die seit seinem Tod überhaupt vorgelegt wurde. Geschrieben wurde sie von dem ausgewiesenen Chile-Kenner Friedrich Paul Heller, von dem auch auf dieser Website verschiedene Beiträge, nicht zuletzt zu dem von deutschen Emigranten in Chile betriebenen Folterzentrum Colonia Dignidad zu finden sind.

Hellers umfangreichem Buch ist ohne Weiteres anzumerken, wie viel mühsame jahrelange Detailrecherche, unter anderem in Archiven in Deutschland, den USA, Chile und Großbritannien, in ihm steckt. Denn trotz Pinochets weltweiter trauriger Berühmtheit ist über die Person des Diktators nicht viel bekannt geworden. Selbst seine Verehrer haben es nicht geschafft, ihn als irgendwie hervorstechende Persönlichkeit zu zeichnen. Auch Heller findet nicht allzu viel über Pinochets Werdegang und persönliche Entwicklung zu berichten. Man gewinnt den Eindruck einer kleinbürgerlich autoritär erzogenen und diesem Milieu nie wirklich entwachsenen Persönlichkeit, und auch wenn Heller den Ausdruck nicht verwendet, drängt sich angesichts von Pinochets späteren Rolle der Begriff der Banalität des Bösen auf. Die eichmännische Mischung aus Servilität, intellektueller Begrenztheit bei gleichzeitiger hoher praktischer Intelligenz, ideologisch verblendeter moralischer Stumpfheit, und schließlich enthemmter Machtausübung scheint auch Pinochet charakterisiert zu haben.

Doch Heller will kein Psychogramm, sondern die politische Biografie Pinochets schreiben. Die Biografie wird im Lauf des Buches immer mehr zu einer Geschichte der Zeit der Diktatur unter dem leitenden Gesichtspunkt der Ergreifung und Sicherung der Macht durch den General, der noch in der Nacht des Putschs vom September 1973 zu den Zauderern gehörte und sich erst nach etlichen Jahren geduldiger Arbeit innerhalb des Kreises der Putschisten die Alleinherrschaft sicherte. „Pinochet erfüllte keinerlei Voraussetzungen für das Amt des Staatschefs“, schreibt Heller. Da er dieses Amt dennoch de facto und die meiste Zeit auch de jure ausfüllte, widmet sich der Autor im Wesentlichen der Darstellung der Herrschaftstechniken, die diese für Lateinamerika außergewöhnlich lange Herrschaftszeit ermöglichten. Detailreich zeigt er die Bandbreite dieser Methoden auf. Obwohl Pinochet den Antikommunismus der Doktrin der Nationalen Sicherheit, die während des Kalten Kriegs die politischen und militärischen Konzepte der lateinamerikanischen Militärs und ihrer US-amerikanischen Ziehväter prägte, rückhaltlos teilte, war Ideologie nicht die entscheidende Triebkraft seines Handelns. Wenn es um die Sicherung der einmal errungenen Herrschaft ging, erwiesen sich seine Überzeugungen als flexibel. Wie anders auch wären Nationalismus und Unterwerfung unter die ultraliberalen Wirtschaftsdoktrinen der Chicago-Boys, oder sein ständiges Schwanken zwischen Bruch und Neuschaffung institutioneller Normativität unter einen Hut zu bringen. Gegen Ende seiner Herrschaft, zeigt Heller in einem längeren Abschnitt, wurden auch schlichte Geschäfte ein wichtiger Aspekt der Herrschaftssicherung – Mittel und Ziel in einem.

Nicht Alles in dieser „Täterbiografie“ ist sensationell neu, schließlich sind über das Chile Pinochets schon Bibliotheken geschrieben worden. Auch der Autor selbst hat die Entwicklung in Chile seit Anfang der siebziger Jahre ständig genauestens verfolgt und wichtige Studien auf der Basis eigener Archivrecherchen zu einzelnen Aspekten der Diktatur dazu beigetragen. Wo diese Forschungsergebnisse nun in die Gesamtschau von „Pinochet“ einfließen, erweist sich das Buch erwartungsgemäß als besonders überzeugend, wobei der Autor sehr diszipliniert die Gefahr umschifft, diese Abschnitte des Buches, etwa über die Geheimpolizei DINA, die erwähnte Colonia Dignidad oder die vielfach skandalösen guten Beziehungen westlicher Politiker zum Regime im Rahmen des Gesamtansatzes des Buches über Gebühr auszudehnen. So können auch weit weniger spektakuläre und doch für das Gesamtverständnis des Systems Pinochet wichtige Aspekte beleuchtet werden, an die man nicht sogleich denkt, wenn von der Pinochetdiktatur die Rede ist. Heller zeigt, wie die Diktatur sich dem zivilen politischen System nicht nur überstülpte, sondern es in allen Fasern durchdrang. Auch Jugend- und Frauenpolitik, das Verhältnis zu Kirche und Gewerkschaften oder das höchst ambivalente Verhältnis Pinochets zu den politischen Parteien erhalten bei Heller die notwendige Aufmerksamkeit.

Das Vorhaben, Biografie des Diktators und Analyse seines sich über 17 Jahre entwickelnden Herrschaftssystem in einem zu schreiben, bringt das Problem mit sich, die diachronische Entfaltung der Biografie mit synchronischen analytischen Passagen vereinen zu müssen. Im Großen und Ganzen löst Heller diese Herausforderung, die er im Vorwort selbst anspricht, überzeugend, indem er die analytischen Abschnitte jeweils den Etappen der Diktatur zuordnet, in denen sie die größte Relevanz entfalteten. So steht dann die Analyse der DINA im Kapitel über die Anfangsjahre, die Außenpolitik wird dem Krisenjahr 1978 zugeschlagen, und Pinochets Hochzeit mit der ultraliberalen Wirtschaftsdoktrin wird uns im Kapitel über die achtziger Jahre von Pinochets „Alleinherrschaft“ vorgestellt. Das feingliedrige Inhaltsverzeichnis hilft entschieden dabei, Querverbindungen zu entdecken und notfalls auch gegen den Fluss der Darstellung zu lesen. Geblättert werden muss ohnehin viel, da die nicht weniger als 1366 Anmerkungen (die gelegentlich durchaus substantielle Ergänzungen zum Haupttext enthalten) nicht als Fußnoten sondern in einem 75 Seiten starken Block von Endnoten versammelt sind. Dies wie auch der sehr anstrengende Satzspiegel gehört zum Preis, den die Leserschaft für den erfreulich günstigen Kaufpreis wohl zu zahlen hat. Nicht übersehen sollte man die zwischen den kleinen Dokumententeil (u.a. mit dem „Politischen Testament“ Pinochets) und das Literaturverzeichnis platzierte knappe Chronologie von Pinochets Geburtsjahr 1915 bis zu seinem Tod 2006, sowie das ebenfalls an diesem etwas versteckten Ort zu findende Abkürzungsverzeichnis.

Der Autor macht kein Hehl daraus, dass er die Diktatur Pinochets verurteilt und den Kampf gegen sie immer unterstützt hat, sich zur „Partei der Menschenrechte“ zählt. Die Absicht dieses Buches ist aber nicht, der Abscheu über Pinochet und sein repressives Regime ein weiteres Mal Raum zu geben, sondern dieses System – zu Pinochet selbst sagt Heller, Karl Kraus über Hitler paraphrasierend, falle ihm nichts ein – zu verstehen. Die nüchterne Sprache, in der das Buch verfasst ist, spiegelt dieses Bemühen und mag manche verstören. Doch der kühle Blick auf die Funktionsweisen dieses weltweit zum Symbol brutaler Repression gewordenen Regimes erweist sich als bestens geeignet, ihm die Dämonie zu nehmen, mit der Pinochet sein Terrorregime auch psychologisch absicherte. Der Mann, der von sich glaubte, es bewege sich kein Blatt in Chile ohne seine Erlaubnis, war ein brutaler und gewiefter Techniker der Macht, und doch nur Erfüllungsgehilfe bei der Durchsetzung des weltweiten neuen Modells von Wirtschaft, das euphemistisch Neoliberalismus genannt wird. Den Erfolg des „NO“ von 1988 musste Pinochet – vom amerikanischen „National Security Archive“ veröffentlichte Dokumente belegen dies eindeutig – akzeptieren, weil er dafür nicht länger gebraucht wurde, wie auch Heller am Ende seines Buches vorsichtig andeutet.

Rainer Huhle

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