Die juristische Aufarbeitung der Geschehnisse in Argentinien während der letzten Militärdiktatur und die daraus resultierende Argumentation

10. September 2001 | Von | Kategorie: Strafgerichtsbarkeit

von Claus Richter
Rechtsanwalt

Vorbemerkung

Die Darstellung des Themas ist nicht einfach: Die juristische Argumentation der Koalition gegen Straflosigkeit ist sehr komplex. Diese Komplexität ist dabei einzig und allein in der Zielsetzung begründet, Delikte zur Anzeige zu bringen, die den Unrechtsgehalt des Geschehens in Argentinien während der Militärdiktatur möglichst genau erfassen. Dies bedeutet auch, dass sich die Koalition nicht auf Argumentationen stützen wird, die allein ein Vorgehen aufgrund von Verbrechen ermöglichen, die sich gegen deutsche Staatsangehörige richteten.

Die erste und vielleicht wichtigste Aufgabe für die Koalition wird darin bestehen, das Geschehene zu schildern und die strafrechtlich relevanten Fakten herauszuarbeiten:

Der Sachverhalt gliedert sich in zwei Teile: Zum einen wird das historische Geschehen geschildert, das die Vorgeschichte der letzten argentinischen Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 bildet und diese Zeit der Repression selbst geschildert. Ferner werden beispielhaft Einzelschicksale Verschwundener beschrieben, insbesondere von Personen mit deutscher Abstammung.

Schnell stößt der Bearbeiter dabei auf die vielschichtige Verschleierungsstrategie der Militärs, die es zu durchbrechen gilt. Das betrifft in erster Linie den Tatbestand des sogn. „Verschwindenlassens”. Dieser diente den Militärs nicht allein dazu, durch Terror sowie Verzweiflung über das ungeklärte Schicksal der geliebten Angehörigen die Gesinnungsgegner des Regimes zu unterdrücken. Vielmehr lässt sich mittlerweile klar belegen, dass diese Vorgehensweise auch das Ziel verfolgte, eine spätere Aufklärung der Verbrechen zu erschweren oder nach Möglichkeit gar unmöglich zu machen.

Dem zuletzt genannten Ziel diente ebenso die Vorgehensweise bei der Tatbegehung: So wurden bspw. die Entführungen in der Regel durch Militärangehörige ohne Uniform ausgeführt. Genau so wurde der Umstand, dass Verschleppung und Mord an den Opfern von langer Hand geplant und auf höchsten Befehl hin durchgeführt wurden, vernebelt. Inzwischen liegen Dokumente vor (die auch bereits bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg im Rahmen der Ermittlungen aufgrund der schon eingereichten Anzeigen der Koalition vorgelegt wurden), die diese Strategie eindeutig belegen: So beinhaltet der „orden de batalla” insbesondere folgendes:

Eine Lageanalyse sowie die von den Streitkräften für notwendig erachteten Maßnahmen genaue Aufgabenverteilung zwischen den einzelnen Sicherheitsorganen für den Putsch und die Ausübung der Diktatur in der Folgezeit („cuerpo del plan”). Ausdrücklich Bezug genommen wird auf die Grundsätze des Kriegs gegen die sogn. „Subversion”, was Massnahmen wie beispielsweise Verschwindenlassen umfasste.

Eine detaillierte Analyse der als „Feinde” bezeichneten gesellschaftlichen Gruppen (beispielsweise Gewerkschaften, studentische Organisationen u.a. – „Annexo 3 – inteligencia”).

Eine Liste mit Personengruppen, gegliedert nach Prioritäten, die – lediglich aufgrund ihrer als „feindlich” betrachteten Haltung und ohne rechtsstaatliches Verfahren – unmittelbar im Anschluss an den Putsch entführt werden sollten („annexo 3 – detencion de personas”).

Eine Darstellung des Sachverhalts, die eine Zuordnung strafrechtlicher Verantwortlichkeiten zu einzelnen Personen möglich machen soll, erfordert ferner auch, dass die militärischen Strukturen aufgezeigt und die Personen, die innerhalb derselben Befehlsgewalt innehatten, benannt werden. Insoweit stand neben der hierarchischen Struktur innerhalb der Streitkräfte eine territorial regionale Struktur: Einzelne Einheiten erhielten die Verantwortlichkeit für bestimmte Regionen im Umkreis ihres Stationierungsortes und waren hier für die Durchführung von Aufgaben verantwortlich.

Hinsichtlich der Methoden der Unterdrückung wird in den Anzeigen der Koalition dargelegt, dass diese – insbesondere die Folter und das Verschwindenlassen – ausdrücklich befohlen waren. Daraus ergibt sich die strafrechtliche Verantwortlichkeit der hohen und höchsten Befehlshierarchien und insbesondere der junta militar in mittelbarer Täterschaft.

Weiterhin legt der Sachverhalt dar, gegen welche Zielgruppe sich die Unterdrückung richtete: Das stark ideologisch geprägte Feindbild der Verfolger sah die Gesinnungsgegner in demjenigen Teil der Gesellschaft, der durch sein Handeln, seine Einstellung oder auch Religion mit – aus der Sicht der Militärs – „christlichen” und „westlichen” Werten nicht in Einklang stand. Dazu zählten nach Ansicht der Unterdrücker Gewerkschafter, Journalisten und Rechtsanwälte, aber auch die Argentinier jüdischen Glaubens sowie Angehörige sozial engagierter christlicher Bewegungen (insbesondere der Theologie der Befreiung) und Orden. Darüber hinaus wird aber auch beschrieben, dass die Unterdrückungsmaßnahmen ganz bewusst alle Personen umfassten, die auch nur im entferntesten im Verdacht standen, zu den fraglichen Gruppen zu gehören oder gar nur zu ihnen Kontakt zu haben, da die Militärs sich so eine besonders gründliche Ausrottung des Gesinnungsgegners erhofften.

Schließlich wird die gemeinhin unter dem Begriff „Operation Condor” bekanntgewordene Zusammenarbeit zwischen verschiedenen lateinamerikanischen Militärdiktaturen (in den vorliegenden Fällen insbesondere von Argentinien und Paraguay) und ihre Folgen für die Staatsangehörigen des jeweils anderen Landes dargestellt.

In einem letzten Abschnitt des Sachverhalts wird dargestellt, dass die „Verschwundenen” nicht lediglich entführt, sondern umgebracht wurden. Dabei wird – so weit bekannt – beschrieben, mit welchen Methoden die Leichen der Opfer beseitigt wurden. In juristischem Sinne dient dieser Abschnitt dazu zu belegen, dass die verschwundenen Personen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht nur entführt, sondern umgebracht wurden, auch wenn in den allermeisten Fällen ihre Leichen nie gefunden wurden.

Welche Antwort hat nun die Rechtsgemeinschaft auf diese Verbrechen?

In der internationalen Gemeinschaft hat sich schon bald nach dem Ende des 2. Weltkriegs die Überzeugung durchgesetzt, dass jedenfalls schwere und systematische Verletzungen von Menschenrechten – wie sie im Falle Argentinien unzweifelhaft vorliegen – keinesfalls mehr die Angelegenheit des jeweiligen Einzelstaates sind. Die zuvor überwiegende Ansicht, die dem Nationalstaat einen „Souveränitätspanzer” zugesteht, der die Behandlung der eigenen Staatsbürger als ausschließlich innere Angelegenheit erscheinen ließ, war damit überholt. Dabei war zunächst noch von ausschlaggebender Bedeutung, dass in einer massiven Verletzung individueller Menschenrechte eine Gefahr für den Weltfrieden gesehen wurde. Spätestens seit der Weltmenschenrechtskonferenz 1967 in Teheran kann jedoch als allgemein anerkannt gelten, dass ein Grundstandard der Menschenrechte, der sich eng an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen orientiert, universelle Verbindlichkeit beanspruchen kann – unabhängig von der Frage, ob die Verletzung dieser Rechte das friedliche Zusammenleben unmittelbar beeinträchtigt oder nicht.

Die Verbrechen während der letzten argentinischen Militärdiktatur stellen somit keine innere Angelegenheit Argentiniens dar. Ebenso wenig kann die Verfolgung dieser Verbrechen im Ausland eine Einmischung in innere Angelegenheiten des Landes bedeuten.

Eine Strafverfolgung auch und gerade im Ausland ist aber nicht nur rechtlich möglich, sondern sie ist auch geboten und notwendig. Bereits die Bundesjustizministerin hat in ihrem Vortrag am 30.01.01 betont, dass ohne den Respekt für die Menschenrechte kein Zusammenleben in Recht und Frieden möglich ist. Die Bedeutung der Verfolgung von Straftaten, die wegen ihrer Schwere der weltweiten Ahndung unterliegen, hat jüngst auch das Bundesverfassungsgericht nochmals betont.

Der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel schrieb 1995 an den Chef des Generalstabs des argentinischen Heeres, Generalleutnant Martin Balza. Er nahm Bezug auf eine Stellungnahme, die der General in Bezug auf die Zeit der Diktatur gemacht hatte und legt dar, daß Tausende von Männern, Frauen, Kindern und Greisen in ihrem Schmerz die Erklärungen und den Respekt erwarten, den sie verdienen. Sie alle wollen wissen, was Sie ( die Militärs) mit den tausenden von ermordeten Personen und Veschwundenen gemacht haben, welche sie lebend aus Flugzeugen geworfen haben. Alle wollen wissen, wer es getan hat, wann es geschah und warum…

Die Koalition gegen Straflosigkeit hat sich allerdings nicht nur die Wahrheit – also die Aufklärung der Verbrechen, sondern auch die Gerechtigkeit zum Ziel gesetzt. Diese Suche nach Gerechtigkeit verliert nicht an Bedeutung, nur weil mehr als 20 Jahre seit den Verbrechen vergangen sind. Die Bewältigung der Vergangenheit ist eine Verpflichtung, die auch gegenüber kommenden Generationen besteht und die mit jedem Tag nur drängender wird. Um es mit den Worten Adolfo Perez Esquivels zu sagen: „Wir werden die verlorenen Menschenleben nicht zurückbringen können; aber bei all diesem müssen wir auch daran denken, welche Welt wir für unsere Kinder und Enkel aufbauen und welche Gesellschaft wir ihnen zurücklassen werden.

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