Die Vereinten Nationen und der Schutz der Menschenrechte

12. November 1998 | Von | Kategorie: Menschenrechte verstehen

von Rainer Huhle

Maßnahmen gegen Straflosigkeit und zum Schutz der Menschenrechte. Was tut die UNO?

1. Die Vereinten Nationen entstehen gegen Ende des 2. Weltkriegs als Versuch einer Antwort auf die Verbrechen dieses Krieges und einer neuen Weltordnung, die solche Verbrechen künftig verhindern soll. Wie ein Blick auf die Präambel der Charta der VN von 1945 zeigt, stehen dabei von Anfang an zwei Ziele im Vordergrund:

  • der Frieden (“künftige Geschlechter vor der Geisel des Krieges zu bewahren”)
  • die Menschenrechte: hier ist bemerkenswert, dass diese zwar an zweiter Stelle genannt werden, jedoch wesentlich ausführlicher und präziser. Schon das grundsätzliche Bekenntnis ist wesentlich konkreter formuliert als beim Frieden. Es spricht bereits spezifische Bereiche an: “… [wir bekräftigen] unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen [wörtlich: grundlegenden Menschenrechte], an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau, sowie von allen Nationen, ob groß oder klein.” Die Präambel geht aber noch einen Schritt weiter. Sie nennt als Aufgabe, die “Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können.”

Es mag erstaunen, dass die Menschenrechte einen derart prominenten Platz am Anfang des Statuts einer Organisation erhielten, die schließlich keine Organisation der Vereinten Menschen, sondern eben der Vereinten Nationen, also von Staaten waren und sind. Und Staaten waren und sind es, an die sich die Forderung nach Respektierung der Rechte von uns, den Bürgerinnen und Bürgern richten. Drei Jahre vor der Allgemeinen Erklärung machte das Statut der VN klar, dass Menschenrechte legitimer Gegenstand internationaler Politik geworden waren, dass das alte, noch in den Debatten um den Nürnberger Prozess so bedeutsame Argument der nationalen Souveränität für den Bereich der Menschenrechte nicht mehr als gültig angesehen werden darf, auch wenn das gleiche Statut, logischerweise, das Prinzip der Nichteinmischung als wesentlichen Pfeiler im Fundament der zwischenstaatlichen Neuordnung beibehielt.

Im weiteren Text der Charta werden die Gewichte denn auch anders verteilt. Die Formulierung der Ziele der Charta handelt ausschließlich vom friedlichen Zusammenleben der Staaten. Und das eigentliche Statut enthält zwar zwei lange Abschnitte über die Maßnahmen zur Erhaltung des Friedens. Die Menschenrechte hingegen sind in der Charta an eher untergeordneter Stelle, als eines der Ziele zu finden, auf die sich die Mitgliedsstaaten im Rahmen der internationalen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenarbeit verpflichten. Bis heute ist die sogenannte “Menschenrechtskommission” der Vereinten Nationen, das wichtigste politische Gremium der VN zur Behandlung von Menschenrechtsfragen, eine Kommission nicht der Vollversammlung, sondern des ECOSOC, des Wirtschafts- und Sozialrats der VN.

Von Anfang an also sind in den Vereinten Nationen die Ziele Friedenserhaltung und Menschenrechtsschutz eng aneinandergekoppelt, ohne dass ihr spezifisches Gewicht und ihr innerer Zusammenhang eindeutig geklärt worden wäre. Die seitherige Geschichte der Friedens- und Menschenrechtsinitiativen der VN hat gezeigt, dass jenseits der Sonntagsreden, in denen Frieden und Menschenrechte und alles andere Hehre und Gute proklamiert werden dürfen, diese beiden Ziele keineswegs problemlos vereinbar sind. Der Prozess in Jugoslawien ist das drastischste Beispiel der jüngsten Zeit für die Spannungen, die zwischen Friedens- und Menschenrechtspolitik auftreten können, aber längst nicht das einzige. Und Jugoslawien hat auch deutlich gemacht, dass dabei gerade die Frage der Straflosigkeit ein besonderer Streitpunkt sein kann, ja sein muss . Die Tagung hat dazu ja bereits anschauliches beigetragen. Zunächst aber sei ein kurzer Blick auf die Umsetzung der angesprochenen Prinzipien der UN-Charta im Menschenrechtsbereich geworfen.

2. Geschichte des Menschenrechtsschutzes durch die UNO

2.1. In der Stadt der Straße der Menschenrechte mit ihrem weißen Tor, auf dem der 10. Dezember 1948 eingraviert ist, muss nicht auf die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung vor nunmehr fast 49 Jahren hingewiesen werden. Wohl aber ist es angebracht, einen Moment über die Bedeutung des Worts “Erklärung” nachzudenken. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gilt ja vielen als Musterbeispiel für eine Erklärung im schlechtesten Sinn, für eine bloße Deklamation von guten Absichten, die angesichts der Wirklichkeit nur als zynisch erscheinen kann. Der Widerspruch ist offensichtlich und nicht zu leugnen – bis heute. Die Frage angesichts dieser schlimmen Realität scheint mir daher nicht, ob die Prinzipien der Allgemeinen Erklärung die Politik der letzten fünf Jahrzehnte bestimmt haben, sondern – weit bescheidener – ob sie Wirkung gezeigt hat oder nicht, und wenn ja, in welchem Sinn. Da dies nicht der wesentliche Gegenstand dieses Beitrags ist, nur einige knappe Anmerkungen:

  • Die Allgemeine Erklärung hat bis dahin verstreute Kernstücke der Idee der Menschenrechte in bis dahin unerhörter Weise zusammengefasst und präzisiert. Ihre dreißig Artikel sind weit mehr als nur Prinzipienerklärungen, sie sind dreißig konkret ausformulierte Menschenrechte, die insgesamt von erstaunlicher Eindeutigkeit sind. So konkret sind einige ihrer Artikel, dass sie heute schon einen gewissen Ruch nach historisch gebundener Patina haben.
  • Die Allgemeine Erklärung ist von der Vollversammlung der VN verabschiedet und damit von jedem Mitgliedsstaat, auch den später beigetretenen, anerkannt worden. Die in ihr formulierten Menschenrechte sind in die Grundrechtskataloge zahlreicher nationaler Verfassungen übernommen worden. Die Menschenrechte haben schon damit eine bis 1948 unbekannte Verbindlichkeit und Allgemeingültigkeit erreicht, unabhängig von der juristischen Streitfrage, welches genau ihre rechtliche Bindungskraft ist. Menschenrechtsverletzungen sind seit dem 10. Dezember 1948 nicht nur Verletzungen allgemeiner moralischer oder politischer Prinzipien sondern zugleich Verletzungen eines anerkannten geschriebenen Textes, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – ein wichtiger Unterschied.
  • Der Text der Allgemeinen Erklärung gehört zu den verbreitetsten Druckwerken der Welt. Er wird nicht nur auf UN-Konferenzen zitiert, sondern auch in entlegenen Dörfern in aller Welt von Menschen studiert, die kaum des Lesens mächtig sind. Die Erklärung, dass alle Menschen unveräußerlich Rechte haben, ist aus den Köpfen der Menschen nicht mehr herauszudenken. Dass der Begriff “Menschenrechte” heute zu einer weltweiten Kategorie bei der Beurteilung von Politik geworden ist, dass Menschenrechtsverbrechen zwar nicht verhindert, aber doch wenigstens als solche registriert und im Gedächtnis der Menschen aufbewahrt werden, geschieht auf der Grundlage dieser Erklärung.

Für eine “Erklärung” ist das nicht wenig. Die Wirkungskraft dieser Erklärung scheint mir, nicht nur gemessen an dem, was man gemeinhin von Erklärungen erwartet, über alle Erwartungen groß.

2.2. Die rechtliche Ausformulierung des Menschenrechtsschutzes.

So hoch man die Wirkungskraft der Allgemeinen Erklärung auch einschätzen mag, diese Wirkung ist unbestreitbar eine in erster Linie moralische, deren Auswirkungen auf das Handeln der Regierungen nicht kontrollierbar sind. Die VN haben daher versucht, die Verbindlichkeit der Menschenrechte durch konkretere Übereinkommen zu bestimmten Menschenrechten, und in einigen Fällen auch durch Vertragswerke zu erhöhen. Dazu wurde die Völkerrechtskommission der VN geschaffen, deren Arbeit meist von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen wurde, die aber nichts desto trotz die Nachkriegsgeschichte wesentlich mitgeprägt hat. Die Liste der Abkommen und Verträge ist lang, ich beschränke mich hier auf einige wichtige Beispiele.

  • Zeitgleich mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verabschiedeten die VN eine Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords. Obwohl dieses Abkommen formell keine Vertragsgestalt hat, gilt es, nicht zuletzt aufgrund eines Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs von 1951, als rechtsverbindlich. Es stellte, noch unter dem Eindruck von Nürnberg, die Sanktion des Völkermords in den Vordergrund. Das Abkommen gegen den Völkermord verpflichtet alle Staaten, dieses Verbrechens Schuldige zu verurteilen, bzw. sie einem damals wie heute nicht existierenden, aber ausdrücklich als Möglichkeit vorgesehenen Internationalen Strafgerichtshof zu überstellen.
  • Am 16. Dezember 1966 verabschiedete die UN-Vollversammlung die beiden wichtigsten, weil umfassendsten Vertragswerke des internationalen Menschenrechtsschutzes: Den Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte, und den Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Sie enthalten im Kern die Rechte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, ergänzen und präzisieren sie und machen sie so besser kontrollierbar, etwa in dem Sinn wie Gesetze die Bestimmungen einer Verfassung ausführen. Es ist, im Nachhinein betrachtet, bemerkenswert, dass es, wenn auch 18 Jahre später, gelungen ist, mitten im kalten Krieg den Konsens der Allgemeinen Erklärung im Kern zu bekräftigen und einen entscheidenden Schritt darüber hinauszugehen.

Mit der Unterzeichnung der beiden Pakte und ihrem Inkrafttreten noch einmal 10 Jahre später, im März 1976, nach Erreichen der nötigen Zahl von Ratifizierungen, wurden die Menschenrechte nun wirklich zum Recht, zum international verbindlichen Völkerrecht. Zahlreiche Gesetze in aller Welt wurden geändert, um den Anforderungen der Pakte zu entsprechen. Dies ist die entscheidende Neuerung in den beiden Verträgen von 1966. Sie warfen aber – wieder einmal – die Frage auf, wie völkerrechtliche Verpflichtungen eigentlich kontrolliert und ihre Verletzung sanktioniert werden sollten. Auch hierauf gab es 1966 erstmals eine Antwort. In beiden Vertragswerken ist ein Ausschuss vorgesehen, der die Einhaltung der vertraglichen Bestimmungen überwachen soll. Beide Ausschüsse, auch dies ist wert festgehalten zu werden, sind von unabhängigen Experten besetzt, obwohl sie Befugnisse haben, die direkt die Politik der Staaten betreffen.

  • Der Menschenrechtsausschuss, der die Bestimmungen des Internationalen Abkommens über Bürgerliche und Politische Rechte überwacht, hat eine doppelte Aufgabe. Er nimmt die im Abkommen verlangten regelmäßigen Berichte der Regierungen über die Einhaltung ihrer vertraglichen Verpflichtungen entgegen und gibt dazu, falls erforderlich, eine Stellungnahme und “Empfehlungen” ab. Dieses Dokument wird veröffentlicht. Die Empfehlungen des Menschenrechtsausschusses gehören zur erfrischendsten Lektüre im Papierberg der UN-Dokumente. Hier werden die Dinge meist noch beim Namen genannt und man spürt etwas von der Unabhängigkeit der Experten, die den Ausschuss bilden. Doch das veröffentlichte Dokument ist die einzige unmittelbare Konsequenz der Verletzung des Menschenrechtspaktes, sieht man von einem inzwischen immerhin eingerichteten Verfahren zur Überwachung der ausgesprochenen Empfehlungen ab. Weitere Sanktionsmöglichkeiten hat die UNO nicht, obgleich die Empfehlungen des Menschenrechtsausschusses durchaus Grundlage für die politische Beurteilung eines Landes durch andere Staaten, Investoren etc. sein können. Wie wirksam die Kritik des Menschenrechtsausschusses an der Menschenrechtspolitik eines Staates ist, hängt letztlich von der Art der Einbindung dieses Staates in das internationale System ab. Staaten wie China oder Kuba, die in relativer Isolation leben und die “Einmischung” der UNO weitgehend zurückweisen, sind folglich auch weniger empfindlich gegenüber den Meinungsäußerungen des UN-Systems. Der Preis ist ihre diplomatische Isolierung, der wiederum unterschiedlich hoch ist je nach der Macht des Staates. Staaten aber, denen an ihrer internationalen Reputation gelegen ist (gelegen sein muss ), müssen die Kritik und die Empfehlungen des Ausschusses ernst nehmen.

Ein gutes Beispiel für die relative Wirksamkeit des Instruments “Menschenrechtsausschuss” ist Kolumbien. Als stark integriertes Land mit einigen wunden Punkten in seiner internationalen Stellung (wie z.B. dem Rauschgiftexport) hat es sich entschlossen, die internationale Kritik an der Menschenrechtssituation ernst zu nehmen. Im März 1997 hat der Menschenrechtsausschuss ein vergleichsweise scharfes Dokument zu Kolumbien veröffentlicht, dem andere Mahnungen und Kritiken seitens verschiedener VN-Organisationen und auch der OAS vorausgegangen waren. Die kolumbianische Regierung hat daraufhin einen interministeriellen Ausschuss gebildet, dessen Aufgabe es ist, die Kritik und die Empfehlungen der internationalen Organisationen an der Menschenrechtspolitik des Landes die teilweise sehr detailliert sind – zu sammeln, auszuwerten und konkrete Vorschläge zu unterbreiten, wie sie umgesetzt werden können. Da die Kritik und die Empfehlungen aber öffentlich sind, werden sie gleichzeitig von den kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen und von der kritischen Öffentlichkeit zur Unterstützung ihrer eigenen Forderungen herangezogen, und die Frage, ob die Regierung den internationalen Empfehlungen nachkommt, wird zum Politikum im eigenen Land. Nicht nur in Kolumbien sind die Äußerungen der zwischenstaatlichen Organisationen wie UNO oder OAS seit längerem zu einer der schärfsten Waffen im Kampf der Kräfte der Zivilgesellschaft um die Respektierung der Menschenrechte durch die jeweilige Regierung geworden.

  • Gleichzeitig mit den beiden Abkommen wurde 1966 wurde ein Fakultativprotokoll” zum Abkommen über Bürgerliche und Politische Rechte verabschiedet, das die Möglichkeit von Individualbeschwerden, also von Menschen, die sich in ihren Menschenrechten verletzt fühlen, vorsieht, allerdings nur von Angehörigen der Staaten, die dieses sogenannte “1. Fakultativprotokoll” unterzeichnet haben – zur Zeit etwas über 80 Staaten. Dass ein 18-köpfiger Ausschuss , dessen Mitglieder keineswegs hauptberuflich im Ausschuss arbeiten, sondern an verschiedenster Stelle in ihren Heimatländern tätig sind, nicht die zahllosen Opfer von Menschenrechtsverletzungen in aller Welt anhören und ihnen zu ihrem Recht verhelfen kann, liegt auf der Hand. Hier ist offensichtlich das Prinzip bedeutsamer als die bisherige Praxis. Der Ausschuss hat bisher nicht viel mehr als 200 Einzelbeschwerden abschließend entschieden. Die regionalen Einzelbeschwerdeverfahren, vor allem in Europa und Amerika, erscheinen da aussichtsreicher. Doch jenseits aller praktischen Hindernisse ist es ein wesentlicher Schritt, dass innerhalb der Staatenorganisation UNO hier erstmals eine Instanz geschaffen wurde, in der die in ihren Rechten verletzten Bürgerinnen und Bürger auf internationaler Ebene Recht gegenüber ihren Regierungen bekommen können.
  • Theoretisch hat der Ausschuss noch eine dritte “Waffe”, nämlich die Prüfung von Beschwerden eines Staates über Verletzungen des Menschenrechtsabkommens durch einen anderen Staat. Es wird nicht erstaunen zu hören, dass dieser Fall seit Inkrafttreten des Abkommens noch nicht ein einziges Mal eingetreten ist.

3. Weitere Überwachungsausschüsse

Der Menschenrechtsausschuss ist seiner Natur nach also ein Überwachungsorgan eines einzelnen, wenn auch umfassenden Vertragswerks, kein Organ zur Überwachung oder Beurteilung der Menschenrechte generell. Nach seinem Modell sind seither einige andere Ausschüsse zur Überwachung spezifischer Abkommen entstanden, so etwa der – ebenfalls 18-köpfige – “Ausschuss für die Beseitigung rassischer Diskriminierung”, der das Abkommen zur Bekämpfung und Bestrafung jeder Form von Rassendiskriminierung, bekannter als “Anti-Apartheid-Konvention”, überwacht. Auch die Abkommen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau oder die Kinderrechtskonvention sehen entsprechende Kontrollausschüsse vor.

  • Besonders aufschlussreich für die Beurteilung der Erfolge und Grenzen des Instruments der Vertragsüberwachung ist der “Ausschuss gegen Folter”, dessen 10 Experten die Einhaltung der 1984 unterzeichneten und 1987 in Kraft getretenen “Konvention gegen die Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung” überwachen soll. Einerseits ist diese Konvention eines der fortschrittlichsten Werke des internationalen Menschenrechtsschutzes, mit klaren Definitionen und strengen Bestimmungen über die Strafbarkeit des Folterns unter allen Umständen, oder die Pflicht, Täter auszuliefern. Auch der Ausschuss gegen Folter hat weitergehende Befugnisse als vergleichbare Kontrollausschüsse, z.B. die Möglichkeit eigener Vor-Ort-Untersuchungen. Schließlich hat die Konvention gegen die Folter ein völkerrechtlich schon lange mögliches, wenn auch wenig praktiziertes Verfahren nachdrücklich bekräftigt: das universelle Strafrecht. Die Konvention verpflichtet die Staaten, nicht nur die Folterer unter den eigenen Bürgern strafrechtlich zu verfolgen, sondern im Zweifelsfall auch Bürger fremder Staaten, selbst wenn keine eigenen Staatsbürger die Opfer sind. Nach diesem Prinzip wurde z.B. in Deutschland der bosnische Staatsbürger Dusko Tadic festgenommen, der dann allerdings an das Jugoslawientribunal in Den Haag ausgeliefert wurde.

Andererseits lässt die Anti-Folter-Konvention Staaten, in denen Folterregime an der Macht sind, die Möglichkeit offen, ihre Mitwirkung an diesen Verfahren sogar noch nach Unterzeichnung aufzukündigen. Ohnehin, dies ist die Kehrseite des Vertragssystems, haben längst nicht alle Staaten die Konvention gegen die Folter unterzeichnet, von ihrer tatsächlichen Respektierung ganz zu schweigen.

4. Die Menschenrechtskommission

Auf einer ganz anderen Ebene als die bisher betrachteten Ausschüsse zur Überwachung spezifischer Menschenrechtsabkommen arbeitet die bereits 1946 ins Leben gerufene “Menschenrechtskommission”, die sich jährlich im Frühjahr in Genf zusammenfindet. Sie ist, wie schon erwähnt, eine Kommission des Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) der UN-Vollversammlung und als solche ein politisches Gremium, das nicht aus Experten, sondern aus Vertretern von derzeit 53 Mitgliedstaaten, die im Dreijahres-Turnus wechseln. Ihre Aufgaben sind vor allem grundsätzlicher Art. Die Menschenrechtskommission hat schon an der Ausarbeitung der Allgemeinen Erklärung von 1948 mitgewirkt, ebenso wie an späteren Abkommen. Sie kann sich im Prinzip mit allen politischen Fragen zur Entwicklung des Menschenrechtsschutzes befassen (wofür ihr in Gestalt des Genfer Menschenrechtszentrums auch ein kleiner “think tank” zur Verfügung steht), Initiativen zur Förderung des Menschenrechtsschutzes ergreifen und entsprechende Arbeitsaufträge vergeben. Dass die Menschenrechtskommission ein politisches Gremium ist, mag diese Arbeit manchmal verlangsamen, weil der Prozess der Konsensbildung langsamer verläuft als in einem Expertengremium, dafür ist der dann erreichte Stand bereits politisch ein Stück abgesichert.

Die Menschenrechtskommission hängt jedoch in einem großen Teil ihrer Arbeit ebenfalls von der Mitwirkung von Experten ab, schon weil sie keine ständige Einrichtung ist, sondern nur einmal für etwa sechs Wochen tagt. Im Lauf der Jahre hat sie eine Reihe von Mechanismen oder Verfahren entwickelt, die teilweise von großer Bedeutung für die konkrete Entwicklung der Menschenrechte geworden ist. Diese sogenannten “speziellen Verfahren” sind entweder einzelnen Experten oder aus Experten zusammengesetzten Arbeitsgruppen anvertraut, die der Menschenrechtskommission während ihrer Sitzungsperiode Bericht erstatten.

Die drei wichtigsten Gruppen dieser speziellen Arbeitsverfahren sind:

  • die Sonderberichterstatter zu bestimmten Themen.

Derzeit sind es 12 solche Sonderberichterstatter, z.B. über die Folter oder über außergesetzliche Hinrichtungen, aber auch über Themen, die man nicht ohne weiteres an dieser Stelle vermuten würde, wie den Export giftiger Abfälle oder das Söldnerunwesen.

  • Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen.

Hier ist in den letzten Jahren vor allem die Arbeitsgruppe zum gewaltsamen oder unfreiwilligen Verschwinden von Menschen hervorgetreten. Sie hat nicht nur Berichte erarbeitet, sondern auch einen Entwurf einer Konvention gegen das “Verschwindenlassen”, der zwar noch nicht den Rechtsstatus eines internationalen Abkommens erlangt hat, aber doch bereits 1992 zu einer ausgefeilten “Erklärung” der UN-Vollversammlung führte, so dass diese vor allem in Lateinamerika weitverbreitete scheußliche Form der Repression heute als gesondertes strafwürdiges Verbrechen gilt. Unter anderem stellt die “Erklärung” klar, dass das “Verschwindenlassen” ein Verbrechen ist, das nur von ordentlichen Gerichten, nicht z.B. von den als Waschmaschinen der Straflosigkeit berüchtigten Militärgerichten behandelt werden kann, und dass das “Verschwindenlassen” als fortdauerndes Verbrechen zu betrachten ist, so lange die verschwundene Person nicht aufgefunden ist. Damit soll der Möglichkeit von “Schwamm-Drüber-Erlassen” zur Straffreiheit vorgebeugt werden. Zwar kann es zu einer “Erklärung” kein Kontrollorgan wie etwa im Fall des Anti-Folter-Abkommens geben, doch zeigt die Erklärung gegen das “Verschwindenlassen” insofern bereits Wirkung, als es in einigen Staaten, wie etwa Kolumbien, erfolgversprechende Bemühungen gibt, die Prinzipien dieser “Erklärung” in nationales Recht umzusetzen und das “Verschwindenlassen” damit unter Strafe zu stellen.

  • Sonderberichterstatter (in einem Fall auch eine kleine Arbeitsgruppe) zur Lage der Menschenrechte in bestimmten Staaten.

Dies ist, wie sich denken lässt, das politisch heikelste Verfahren der Menschenrechtskommission. Ein Blick auf die Liste der Länder, die in den letzten Jahren solche Sonderberichterstatter “verpasst” bekamen – der Ausdruck ist angebracht, weil die Entsendung eines solchen Sonderberichterstatter weithin als “Strafe” empfunden wird – ist denn auch aufschlussreich. Durchwegs sind es Länder, die entweder bereits allgemein international gebrandmarkt waren wie z.B. der Irak oder Burma (Myanmar), oder aber wegen ihrer Bedeutungslosigkeit keine starken Verbündeten innerhalb der Menschenrechtskommission fanden, um den Beschluss zu verhindern. Potentere Staaten hingegen, die gleichwohl über lange Zeiträume massive Menschenrechtsverletzungen aufweisen, wie z.B. Indonesien oder die Türkei, wurden nie von Sonderberichterstattern untersucht.

Hier wird deutlich, was ja in den letzten Jahren auch gelegentlich bis in die spärliche Presseberichterstattung über die Sitzungen der Menschenrechtskommission gedrungen ist, dass die Staaten betreffenden Entscheidungen dort stark vom politischen Kräftespiel beeinflusst sind. Zwar bildet die Präsenz von Nicht-Regierungsorganisationen oder auch gelegentlich von Opfern ein kleines Gegengewicht. Doch ist deren Einfluss Rederecht maximal 5 Minuten – begrenzt. Nicht nur am relativ weit publizierten Machtpoker um die China-Entschließung auf der letzten Sitzung der Kommission lässt sich dies verdeutlichen, sondern wiederum auch am Fall Kolumbiens.

Angesichts der bestürzenden Zahl von schweren Menschenrechtsverletzungen seit vielen Jahren in diesem Land fand sich eine beträchtliche Zahl von Stimmen, die einen Sonderberichterstatter für Kolumbien forderten. Das Land hätte sich damit in Lateinamerika in der Gesellschaft von Chile unter Pinochet und des von allen in die Ecke stellbaren “Schmuddelkinds” Kuba befunden. Der diplomatische Ausweg aus dieser Situation, den die VN und die kolumbianische Diplomatie fanden, war originell und führt uns zum letzten wichtigen Instrument der Arbeit der VN für den Menschenrechtsschutz, dem

5. Der Hochkommissar für Menschenrechte

Aufgrund einer langjährigen Forderung vieler Menschenrechtsorganisationen, die 1993 auf der Wiener Weltkonferenz über die Menschenrechte aufgenommen worden war, schuf die UNO schließlich nach dieser Konferenz das Amt eines “Hochkommissars für Menschenrechte”, nach dem Modell des Hohen Kommissars für Flüchtlinge, freilich nicht annähernd mit dessen Ausstattung. Die genauen Aufgaben dieses neuen Amtes, und seine Abgrenzung gegenüber den bestehenden Menschenrechtsorganen der VN wurden nicht sehr klar abgesteckt, was die Position des Hochkommissars nicht gerade stärkte. Angesichts der drohenden Gefahr eines Sonderberichterstatters kam der kolumbianischen Regierung als Alternative die Idee, dem Hochkommissar bekanntlich war das damals der jetzige ecuadorianische Außenminister José Ayala Lasso die Schaffung einer Außenstelle in Kolumbien vorzuschlagen. Alle warens zufrieden, auch die Menschenrechtskommission, doch es bedurfte noch eines einjährigen Verhandlungsprozesses, bis das Mandat, also der Umfang und die Grenzen der Aufgabenstellung des kolumbianischen Büros ausgehandelt war. Im April 1997 nahm das Büro seine Arbeit auf. Im wesentlichen umfasst sein Mandat zwei Dinge: die Beobachtung der Menschenrechtssituation (mit entsprechender Berichterstattung) und die Beratung der Regierung bei der Umsetzung der zahlreichen Empfehlungen der VN in Sachen Menschenrechten.

Dies bedeutet in der Geschichte des UN-Systems einen Schritt nach vorn wie gro er ausfällt, lässt sich noch nicht sagen. Erstmals nämlich ist in einem Land eine UN-Präsenz über einen längeren Zeitraum gegeben, die ausschließlich mit Menschenrechten befasst ist. Ob dies mehr Wirkung in Form einer wesentlich genaueren Beobachtung und Kritik zeigen wird als der Besuch eines Sonderberichterstatters, der gewöhnlich nicht länger als drei Wochen unterwegs ist, oder ob umgekehrt die dauerhafte Präsenz zu einer Einbindung in die kolumbianische Realpolitik, zu einem Übermaß an Verständnis für die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der internationalen Menschenrechtsnormen führt, ist eine spannende Frage, die nach Abschluss der Arbeit des Büros ihre Antwort – oder ihre Antworten – finden wird.

6. Das Problem der Straflosigkeit: Von der Grundsatzdeklaration zur Ausarbeitung

Die vorhin erwähnte Menschenrechtskommission des Wirtschafts- und Sozialrats der UNO hat, ebenfalls bereits seit 1946, eine “Unterkommission zur Verhütung von Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten”, meist einfach “Subkommission” genannt. Anders als ihr Name vermuten lässt, beschäftigt sich diese Subkommission, die ebenfalls einmal jährlich, und zwar im August tagt, auch mit durchaus generellen Fragen des Menschenrechtsschutzes. Im Gegensatz zur Menschenrechtskommission selbst ist sie wiederum aus Experten zusammengesetzt, die verschiedene Arbeitsgruppen bilden und die nicht zuletzt Expertisen erarbeiten bzw. in Auftrag geben. Und diese eher entlegene Stelle ist die einzige im ganzen UN-System, wo die Frage der Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen systematisch behandelt wird, nämlich von einigen Experten, die den Auftrag haben, ein Konzept zur “Frage fehlender Strafverfolgung derjenigen, die … Menschenrechte verletzen” zu erarbeiten. Vor allem der französische Richter Louis Joinet, der eigentlich heute hier auch sprechen sollte, aber leider wegen seiner Pflichten am Obersten Gerichtshof von Frankreich nicht kommen konnte, hat in den letzten Jahren dazu wichtige Vorschläge erarbeitet, die hoffentlich demnächst zur offiziellen Grundlage der UN-Menschenrechtspolitik werden.

An dieser Stelle ist es unumgänglich, ein paar Worte zu diesem merkwürdigen Begriff “Straflosigkeit” zu sagen, der manchen so klingen mag, als ginge es darum, möglichst viele Leute hinter Gitter zu bringen. Vor einiger Zeit sprach ich mit einer jungen Frau, die mir folgendes berichtete: Ihre Mutter und ihr Stiefvater, die eine Werkstatt und einen Bauernhof betrieben, wurden eines Tages, als sie mit ihrem Lieferwagen unterwegs waren, entführt und sind seither verschwunden. Die Familie stellte natürlich alle möglichen Nachforschungen an, wo die Entführten sein könnten, und vor allem, ob sie noch lebten. Sie zeigten das Verbrechen auch an, doch auf den Ämtern der Justiz bedeutete man ihnen nur, sie sollten lieber ihren Mund halten und nicht so intensiv nachforschen. Einen Monat nach der Entführung schien die älteste Schwester unter den erwachsenen Kindern des Ehepaars auf einer hei en Spur. Ein Unbekannter bestellte sie zu einem Treffen, um ihr wichtiges mitzuteilen. Das Treffen war ein Falle, statt Aufschluss über das Schicksal der Eltern zu erhalten, verloren die übrigen Kinder auch die älteste Schwester, die ebenfalls entführt wurde.

Inzwischen hatte die Familie zwar keine Hinweise auf den Verbleib ihrer Angehörigen, aber doch genügend Hinweise darauf, wer die vermutlichen Täter waren. Das war auch nicht so schwierig, denn diese, eine gut organisierte Gruppe von Paramilitärs, gaben sich keine große Mühe, ihre Taten zu verbergen, sind sie doch in der ganzen Region präsent und begehen ähnliche Taten am laufenden Band. Einige Angehörige dieser paramilitärischen Gruppe machten der Familie ganz ungeniert Angebote, die Werkstatt an sie abzugeben, der Bürgermeister des Ortes unterstützte nachdrücklich den Handel, und einer seiner Mitarbeiter, der in der ganzen Gegend als paramilitärischer Anführer bekannt ist, erschien eines Tages mit einer Gruppe Bewaffneter auf dem Gelände der Werkstatt, um der Idee Nachdruck zu verleihen.

Angesichts der Untätigkeit der Behörden und der wachsenden Bedrohung der oberste Chef der Paramilitärs, dessen Name und Aufenthaltsort im ganzen Land bekannt ist, ließ der Familie über einen Mittelsmann mitteilen, man würde alle Angehörigen umbringen, die man erwischen könne gingen fast alle Mitglieder der Familie ins Ausland, während zu Hause die Banken Mahnbriefe schickten, in denen sie Kreditraten für die verlorene Werkstatt und aufgelaufene Zinsen einforderten. Die Frau, mit der ich sprach, kehrte wieder ins Land zurück, lebt wegen der Drohungen praktisch in der Klandestinität und versucht im Auftrag der Familie weiter die Verschwundenen zu suchen und auf irgendeine Weise Recht zu bekommen. Sie ist verzweifelt und selbstmordgefährdet und hat den Glauben an Wahrheit, Gerechtigkeit und die Möglichkeit einer sicheren und angstfreien Zukunft für sich und ihre Familie verloren.

Was dieser Fall, geschehen in einem Land, in dem nach offiziellen Statistiken nur drei von hundert Morden gesühnt werden, hoffentlich klarmachen kann, ist, dass es bei der Frage der Straflosigkeit nicht in erster Linie darum geht, dass jemand hier also eine Gruppe von Entführern oder Mördern hinter Gitter kommt, sondern dass überhaupt erst einmal die dafür zuständigen gesellschaftlichen Instanzen anfangen, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, dass fundamentale Normen wie das Recht auf Leben nicht ohne Folgen mit Füßen getreten werden, und dass sich die Gesellschaft eindeutig auf die Seite der Opfer stellt und klarmacht, dass nicht die Opfer, sondern die Täter schuldig sind. Denn Straflosigkeit in diesem Sinn bedeutet eine Verdoppelung des Unrechts: zu dem erlittenen Schaden kommt der Hohn der Gesellschaft, die das Opfer im Stich lässt und sich auf die Seite der Stärkeren schlägt; bedeutet eine Welt, in der alle Werte auf den Kopf gestellt sind und die grundlegenden Normen menschlichen Zusammenlebens keine Gültigkeit haben. Die Folgen sind rundum zerstörerisch: enthemmte Aggressivität auf der einen Seite, Tendenzen zur psychischen Selbstzerstörung aus Verzweiflung auf der anderen Seite.

Das Recht auf Kenntnis der Wahrheit, das Recht der Opfer auf Gerechtigkeit und die Pflicht zur materiellen und moralischen Entschädigung der Opfer sind die drei Grundprinzipien, auf denen Joinet seinen umfassenden und konkreten Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung der Straflosigkeit aufbaut. Manches davon, wie z.B. das Verbot der Verjährung von Kriegsverbrechen oder von Amnestien für bestimmte schwere Menschenrechtsverbrechen ist bereits in UN-Bestimmungen oder völkerrechtlichen Verträgen festgehalten. Zu hoffen ist, dass die Prinzipien, die der UN-Experte ausgearbeitet hat, ihren Weg durch das Instanzengeflecht der Organisation finden und möglichst bald auf der Tagesordnung der UN-Vollversammlung stehen und dort verbindlichen Charakter erhalten.

7. Der Ständige Internationale Strafgerichtshof

Die Frage der Straflosigkeit lässt sich auch allgemeiner als die Frage nach der Effektivierung des Menschenrechtsschutzes stellen, eine Frage, die keineswegs in erster Linie, aber natürlich auch an die UNO zu richten ist. Ich wollte zeigen, dass diese Bemühungen um Effektivierung des Menschenrechtsschutzes sich auf verschiedenen, aufeinander aufbauenden Ebenen finden lassen:

7.1. Die oft belächelte Ebene der “Erklärungen” ist grundlegend für die Durchsetzung der Normen des Menschenrechts in den Köpfen. Selbst in deren Verletzung kann man ihre in den letzten Jahrzehnten angewachsene Kraft noch spüren.

7.2. Die UNO hat entscheidend an der Ausarbeitung und Kodifizierung der allgemeinen Normen in verbindliche völkerrechtliche Form mitgewirkt.

7.3. Die UNO hat Ansätze entwickelt, wie die Einhaltung dieser Normen überprüft werden kann, wobei die Interessen der Staaten bisher enge Grenzen gesetzt haben.

7.4. Obwohl die UNO eine zwischen-staatliche Organisation ist, hat sie doch Mechanismen entwickelt, in denen die einzelnen Bürgerinnen und Bürger gegenüber den Staaten zu ihrem Recht kommen sollen.

7.5. Und umgekehrt hat die UNO den entscheidenden Faden von Nürnberg aufgenommen und in einem langen, aber doch stetigen Prozess die Verantwortlichkeit für Menschenrechte individualisiert: Staaten sollen überwacht und notfalls sanktioniert werden, Personen aber sollen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Dieser letzte Punkt wurde in zahlreichen internationalen Verträgen als Pflicht der einzelnen Staaten formuliert mit geringem Erfolg, wie sich denken lässt. Deshalb ist die Frage nach einer internationalen Instanz zur Aburteilung von Verbrechen gegen die Menschheit immer lebendig geblieben. Die Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs, die bereits 1948 in der Konvention gegen den Völkermord angedacht war, muss der logische nächste Schritt sein, um die Be- und Verurteilung von solchen Verbrechen dem Spiel der politischen Kräfte wenigstens ein Stück weit zu entziehen. Die Tagung hat dazu genügend Information gebracht, so dass ich nicht näher auf dieses Thema eingehen will.

8. Frieden und/oder Menschenrechte

Stattdessen komme ich kurz auf den Ausgangspunkt zurück: das Verhältnis von Menschenrechts- und Friedenspolitik im internationalen System, das gerne als das Verhältnis von Real- und Illusionspolitik missverstanden wird. Der ehemalige Unter-Generalsekretär für Friedenssicherung, der jetzige UN-Generalsekretär, Kofi Annan, erklärte im August 1997, er wolle den Menschenrechten einen besonders hohen Stellenwert einräumen. “Wir haben bisher hauptsächlich auf Ereignisse reagiert, statt in kohärenter Form Strukturen von Menschenrechtspolitik aufzubauen. Es gibt also einen Nachholbedarf für die VN auf dem Gebiet der Menschenrechte.” Und unter Bezug auf die Ereignisse der letzten Jahre – vergessen wir nicht, dass Kofi Annan direkt mit der UN-Friedenssicherung auch in Bosnien befasst war – merkte der neue Generalsekretär an: “Die Analyse von Trends und Entwicklungen auf dem Gebiet der Menschenrechte sollte in das Frühwarnsystem der VN integriert werden. Menschenrechte sind ein Kernbestandteil von Friedenspolitik und friedenssichernden Maßnahmen und sollten im Zusammenhang von humanitären Ma nahmen angesprochen werden. … Ich gebe den Menschenrechten eine hohe Priorität.”

Das sind neue Töne. Und wenn sie das Resultat eines Lernprozesses aus der Katastrophe des internationalen Engagements in Bosnien sind, umso besser. Angekündigt sind auch neue Schritte. Unter der neuen Hochkommissarin für Menschenrechte, der ehemaligen irischen Ministerpräsidentin Mary Robinson, soll ein jahrelang beklagter Missstand beendet werden: Das Nebeneinander des vorhin erwähnten Genfer Menschenrechtszentrums der VN und des Büros des Hochkommissars für Menschenrechte. Beides soll nun, so kündigte Kofi Annan an, unter der Leitung der neuen Hochkommissarin zusammengelegt und zugleich reorganisiert werden. Organisatorische Reformen können gewiss kein Ersatz für entschlossene politische Weichenstellung sein. Sie können aber die Voraussetzungen verbessern, dass der politische Wille, so er denn da ist, auch umgesetzt werden kann. Auf beiden Gebieten sind jetzt große Erwartungen geweckt worden. Beobachten wir kritisch und aufmerksam, in wie weit sie erfüllt werden. Die Vereinten Nationen, die gerade in Deutschland so unendlich weit von den Bürgerinnen und Bürgern entfernt scheinen, sind ganz besonders auf eine ständige kritische Begleitung der Menschen, um deren Rechte es geht, angewiesen, sollen sie nicht im diplomatischen Gestrüpp ihrer Herren, der Regierungen dieser Welt, hängen bleiben.

(aus: Nürnberger Menschenrechtszentrum, Hrsg.: Der Staatsmacht Grenzen setzen. Wege zur internationalen Durchsetzung der Menschenrechte. Beiträge der Tagung vom 24.-26. September 1997 in Nürnberg)

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