DER ZEUGE VON SREBRENICA

25. März 2010 | Von | Kategorie: Aktuelles

von Klaus Schüler

Der Zeuge hat keinen Namen. Er ist ein „geschützter“ Zeuge, weil er auch nahezu 15 Jahre nach dem Massaker von Srebrenica noch um sein Leben fürchten muss. Aber er hat sich dennoch zur Aussage vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien (ICTY) im Verfahren gegen Zdravko Tolimir entschlossen. Bei dem Angeklagten, der sich selbst verteidigt und der durch religiöse Gesten zu beeindrucken versucht, handelt es sich um einen hochrangigen Geheimdienstkommandeur der bosnisch-serbischen Armee und engen Mitarbeiter des General Mladic. Der zuständigen Kammer des Gerichts sitzt der deutsche Richter Flügge vor. Seine beiden Beisitzer stammen aus Sambia und dem Kongo.

Mitglieder des Nürnberger Menschenrechtszentrums hatten am 12.03.2010 anlässlich einer Informationsreise nach Den Haag Gelegenheit, bei der Vernehmung des Zeugen anwesend zu sein. Die Teilnehmer waren von Verlauf und Inhalt der Verhandlung tief berührt und nachhaltig beeindruckt.

Der Zeuge wird von einer Gerichtssekretärin in den Saal geführt. Er ist geschätzte 80 Jahre alt, mit einem zu weiten grauen Anzug bekleidet und sichtlich bemüht, zumindest äußerlich Haltung zu bewahren. Mit zitternden Händen und gebrochener Stimme liest er eine Erklärung vor, die ihn zu wahrheitsgemäßer Aussage verpflichtet. In sein wettergegerbtes Gesicht haben sich tiefe Falten eingegraben. Seine Augen wandern unter buschigen Brauen unruhig umher. Der Vertreter der Anklage, ein junger, engagierter Jurist schildert zusammenfassend die schrecklichen Vorfälle im Jahr 1995 in Srebrenica und benachbarten Orten, bei denen mehrere Tausend bosnische , muslimische Zivilisten ermordet wurden. Bei dem sich anschließenden Kreuzverhör bestätigt der Zeuge die Vorgänge im Einzelnen und versucht, trotz der inzwischen verstrichenen Zeit, Details aus seinem traumatischen Erleben und seinen schrecklichen Beobachtungen wiederzugeben. Nur durch einen Zufall hat der Zeuge als einer der ganz wenigen bosnischen Muslime das Massaker überlebt. Zwei Söhne und zwei Brüder hat er verloren. Er versucht tapfer seine Emotionen zu unterdrücken, was jedoch nicht immer gelingt, vom Vorsitzenden Richter aber mit Feingefühl und Verständnis toleriert wird. Gelegentlich, insbesondere wenn Namen genannt werden, wird die Sitzung als „privat“ erklärt, mit der Folge, dass die Öffentlichkeit nur Zuschauer, aber nicht mehr auch Zuhörer des Verfahrens ist. Häufig geht der Blick des Zeugen auch zur Anklagebank und er verbirgt nicht, dass er den Angeklagten für einen Kriegsverbrecher hält. Der Angeklagte selbst spricht den Zeugen übersetzt mit „Sir“ an. Die Verteidigungslinie des Angeklagten, die in seinen Fragen an den Zeugen zum Ausdruck kommt, läuft darauf hinaus, die Massenmorde als bedauerliche kriegerische Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Volksgruppen bzw. deren Truppen darzustellen. Das Gesicht des Zeugen mit den tief eingegrabenen Spuren der Trauer und des Leids bestätigt das Gegenteil und bleibt nicht nur den Verfahrensbeteiligten sondern auch den Zuschauern lange im Gedächtnis.

In seinem Schlusswort bedankt sich der Zeuge, dass er in Den Haag angehört wurde und erklärt, solange er noch lebe, weiter aussagen zu wollen, „um der Gerechtigkeit zu dienen“.

Ein Hauptverantwortlicher des Massakers von Srebrenica, General Mladic, ist noch immer untergetaucht. Er ist im Gericht leider nur in einem von der Anklage als Beweismittel eingebrachten Video als selbstherrlicher Kriegsherr präsent. Es ist zu hoffen und zu wünschen, dass der Zeuge aus Srebrenica auch in künftigen Verfahren dazu beitragen kann, den Wahlspruch des Gerichts durchzusetzen:

Bringing war criminals to justice and justice to victims.

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