Die aktuelle Lage der Menschenrechte und der politischen Gewalt in Kolumbien

16. Januar 2004 | Von | Kategorie: Weltregionen, Amerika

von William Bastidas, Januar 2004

Die Vielfältigkeit des Klimas, der kulturelle Reichtum und die großen Schätze an natürlichen Ressourcen gehören zu den Vorzügen Kolumbiens. Paradoxerweise leidet dieses lateinamerikanische Land aber auch an einer nicht enden wollenden Gewalt, die ebenso vielgestaltig ist, wie die Geographie des Landes.

Auf einem Gebiet von 1.141.748 Quadratkilometern leben in Kolumbien 44 Millionen Menschen; umgeben von landschaftlichen Schönheiten, die von verschneiten Berggipfeln bis hin zu heißen Küstengebieten reichen. Im Allgemeinen ist Kolumbien vor allem für Drogenschmuggel bekannt; doch das zeigt nur ein eingeschränktes Bild von einem Land, dessen soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Realität so viel reicher und komplexer ist. Zur Analyse der Situation müssen Bezüge zu den prägenden Elementen der kolumbianischen Geschichte hergestellt werden: soziale Ungerechtigkeit und die Ausgrenzung breiter Bevölkerungsteile vom politischen Willensbildungsprozess sind da ebenso zu nennen, wie die Kämpfe, die von den ausgegrenzten Mehrheiten geführt wurden, um die sozialen Gegensätze aufzulösen und ihre Rechte einzufordern. Ebenso muss die Repression angesprochen werden, mit der die jeweiligen kolumbianischen Regierungen darauf reagiert haben. Die Auseinandersetzungen zwischen der Guerilla und dem Staat spielen ebenso eine wichtige Rolle wie die interventionistische Politik der U.S.A.

Zwischen dem ersten Januar und dem 30. Juni 2003 forderten die politische Gewalt und der bewaffnete Konflikt in Kolumbien 2500 Tote, es wurden 157 Personen gefoltert, 301 Menschen bedroht, 105 Menschen wurden Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen und 207 Menschen wurden entführt (1). In den ersten neun Monaten des Jahres 2003 wurden 175.270 Personen zu Flüchtlingen im eigenen Land (2). Die Verantwortung für diese Vorkommnisse tragen der Staat, die Paramilitärs und die Guerilla. Die Veröffentlichung dieser Zahlen hat zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Präsident Uribe und jenen Organisationen geführt, die die Zahlen genannt haben. Doch Hunderte von Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen wie auch des Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte vor Ort zeigen, dass hinter diesen Zahlen noch ein Vielfaches an persönlichen und familiären Tragödien steht.

Nachdem der von der Regierung Andrés Pastrana 1998 begonnene Friedensprozess im Februar 2002 jäh gescheitert war, rückte eine militaristische Tendenz in den Vordergrund. Diese Tendenz wurde verwirklicht, als Álvaro Uribe Vélez am 7. August 2002 die Präsidentschaft mit dem Motto “Harte Hand und großes Herz” antrat. Während der Einsetzung der neuen Regierung fand ein bewaffneter Anschlag seitens der Guerilla statt, bei dem der Präsidentenpalast getroffen wurde, es war das unheilsame Vorspiel für die nun kommende Zeit.

Wenige Tage nach seinem Amtsantritt erklärte Präsident Uribe per Dekret am 11. August den “Zustand innerer Unruhe”, ein Ausnahmezustand, in dessen Rahmen die verfassungsmäßigen Rechte der BürgerInnen beschnitten werden. Den Vorwand bildete das Fehlen rechtlicher und finanzieller Mittel, um die Krise des Staates in den Griff zu bekommen. Es war der Beginn der Politik der “demokratischen Sicherheit”, welche den Schwerpunkt auf repressive Maßnahmen setzt. Die neue Regierungslinie setzt außerdem auf weitere Elemente wie die Bauernsoldaten, oder das Informantennetzwerk. Beide Maßnahmen verstoßen gegen das Prinzip der Unterscheidung zwischen Zivilbevölkerung und bewaffneten Kämpfern, weil sie entweder Zivilisten mit Waffen ausstatten oder die Zivilbevölkerung in die in Kolumbien heikle Frage der Informationsbeschaffung über den militärischen Gegner einbeziehen. Damit verstoßen die Maßnahmen gegen ein grundlegendes

Prinzip des humanitären Völkerrechtes. Diese Maßnahmen sowie die Erhöhung der Truppenstärke von Militär und Polizei bilden die Hauptpfeiler der Politik der Regierung Uribe (3). Daneben wurden durch das Dekret Nr. 2002 die “Rehabilitierungs- und Konsolidierungszonen” geschaffen, in denen laut UN “das Handeln der Streitkräfte keiner ausreichenden Kontrolle durch die Rechtsorgane und das Innenministerium unterstand.” Die folgende Zunahme der Menschenrechtverletzungen und Verletzungen des humanitären Völkerrechtes in diesen Zonen war vorhersehbar. Das kolumbianische Verfassungsgericht erklärte am 26. November desselben Jahres wesentliche Teile des Dekretes 2002 für verfassungswidrig.

Der Eifer der Regierung, die Probleme des Landes mit militaristischen Mitteln zu lösen, gipfelte am 10.Dezember 2003, dem internationalen Tag der Menschenrechte, in der Verabschiedung einer Verfassungsänderung zur Terrorismusbekämpfung durch den Senat ent-gegen den Empfehlungen der UN und trotz massiver Proteste von Menschenrechtsorganisationen. Einmal mehr hat Präsident Uribe damit die Empfehlungen der Zivilgesellschaft und der internationalen Gemeinschaft ignoriert. Zu Beginn des Jahres 2003 hatte das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte eine Reihe von Empfehlungen zu den Men-schenrechten und zum humanitären Völkerrecht gemacht. Diese richten sich an die Zivilgesellschaft, die staatlichen Institutionen und die illegalen bewaffneten Gruppen. Das Dokument streicht als Punkt besonderer Besorgnis die Erhaltung des Rechtsstaates und die Einführung und Umsetzung der Politik “demokratischer Sicherheit” hervor.
Ein weiteres Thema, das große Besorgnis auslöst, sind die derzeitigen Friedensverhand-lungen mit den paramilitärischen Gruppen, die weitgehende Straffreiheit vorsehen. Auch in diesem Punkt handelt die kolumbianische Regierung entgegen den Empfehlungen des UN-Hochkommissariats.
Zurzeit wird im Kommunikationsmuseum in Nürnberg die Ausstellung “Ein offenes Geheimnis” gezeigt. Was dort dargestellt wird hat auch aktuellen Bezug zu dem kürzlich in Kolumbien verabschiedeten Antiterrorstatut und der darin vorgesehenen Überwachung der Telekommunikation: Die Ausstellung in Nürnberg zeigt Methoden, wie sie die Behörden in der DDR benutzten, um den Briefverkehr zu kontrollieren, Telefongespräche abzuhören und andere Formen privater Kommunikation zu überwachen. Damit sollen die Erinnerungen an eine finstere Zeit bewahrt werden, in der Maßnahmen zur sozialen Kontrolle der Bevöl-kerung tagtäglich zu Verletzungen der fundamentalsten Menschenrechte geführt haben.
Übersetzung: kolko e.V.

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1. “Noche y Niebla”, No. 27. Banco de Datos del CINEP y Justicia y Paz, Bogotá, Januar – Juni 2003. S. auch Artikel “Angriff auf die Zivilbevölkerung – bewaffneter Konflikt und humanitäres Völkerrecht”.

2. CODHES, Consultorí­a para los Derechos Humanos y el Desplazamiento. www.codhes.org.co. S.

3. S. Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte über die Situation in Kolumbien, 2002, S. 11 Absatz4 in der spanischen Fassung. Der Bericht ist auch auf Englisch zu finden unter www.hchr.org.co

4. Ibid, Seite 23, Absatz 67.

5. Der “Banco de Datos del Cinep y Justicia y Paz”, hat die Entwicklung in diesen Rehabilitierungszonen sowie der Politik der “demokratischen Sicherheit” verfolgt, vgl. www.nocheyniebla.org

6. S. Presseerklärung des Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte vom 28.08.2003 unter www.hchr.org.co

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