Die Rechte der Opfer bei internationalen Strafgerichtshöfen

2. Januar 2013 | Von | Kategorie: Rezensionen

McGonigle Leyh, Brianne: Procedural Justice? Victim Participation in International Criminal Proceedings. Cambridge / Antwerpen / Portland (Intersentia) 2012, 452 Seiten

Die Rechte von Opfern in internationalen Strafprozessen um Menschenrechtsverletzungen sind, wie die Rolle von Opfern in Strafprozessen überhaupt ein Thema, das erst in den letzten Jahren stärker in den Blick gerückt ist, oder besser gesagt, in den Blick gerückt worden ist, nämlich vor allem von den Opfern selbst. Waren sie noch in Nürnberg fast unsichtbar, allenfalls gelegentlich als Zeugen unter dem strengen Reglement dieser Rolle im Strafprozess auftretend, so haben sie in den neueren internationalen Gerichten allmählich mehr Bedeutung für die Verfahren erlangt.

Der inzwischen schon recht umfangreichen Literatur über diese Fragen hat die amerikanische Anwältin Brianne McGonigle Leyh nun eine wichtige Studie über einen der Aspekte dieser neuen Prominenz der Opfer hinzugefügt, und zwar denjenigen, der hinter der Frage nach dem Schutz von Opfern (vor allem, wenn sie als Zeugen auftreten) und nach der Opferentschädigung oft vernachlässigt wird: Die Rechte der Opfer im Verfahren selbst, also die Frage nach ihrer Beteiligung an der Wahrheits- und Urteilsfindung.

Da die Strafprozessordnungen der meisten Länder und auch die der internationalen Gerichtshöfe die Fairness eines Prozesses stark nach der Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung beurteilen, und da die Anklage von der „Staatsanwaltschaft“, also dem Staat, als einer Art ideellem Vertreter der Allgemeinheit vertreten wird, werfen zusätzliche Rechte für die Opfer eine Reihe von Problemen für das Gebot fairer Verfahren auf. Sie sind eines der zentralen Themen von McGonigles Studie. Dazu kommen weitere, auch praktische Fragen. Besonderes Augenmerk richtet die Autorin schließlich auf die seit der UN-Erklärung über Opferrechte von 1985 auf der Tagesordnung stehende Frage nach einem Menschenrecht von Opfern auf Prozessbeteiligung.

Im ersten Teil ihrer umfangreichen Studie geht die Autorin diesen Fragen anhand der Rechtssituation auf einzelstaatlicher Ebene und in der internationalen Strafgerichtsbarkeit nach. Im zweiten Teil präsentiert sie dann zwei Fallstudien, die auch auf ihre eigene Berufserfahrung zurückgehen, nämlich die Rolle der Opfer am IStGH und den Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, dem „hybriden“ Gerichtshof zur Verhandlung der Verbrechen der Roten Khmer. Von besonderer Relevanz sind dabei zweifellos die Ansätze, die bisher am IStGH entwickelt wurden, um die Rechte der Opfer zu berücksichtigen. Denn anders als in den Ad-Hoc-Gerichtshöfen, wie in Kambodscha, werden hier nicht nur Präzedenzfälle geschaffen, sondern verbindliche Weichen in die Zukunft gestellt.

Wie McGonigle Leyh ausführlich darlegt, hat man schon bei der Konzeption des Römischen Statuts des IStGH die Bedeutung des künftigen Gerichtshofs auch für die Opfer stärker im Blick gehabt als bei allen früheren internationalen Strafgerichtshöfen. Als erstes Gericht hat der IStGH sich selbst auf eine ausführliche Strategie zur umfassenden Stärkung der Rolle der Opfer verpflichtet, die von den Vorermittlungen bis hin zu den Fragen der Entschädigung nach einem Urteil reicht. Dazu gehört auch die Sicherstellung des Rechts der Opfer auf Beteiligung am Strafverfahren selbst, und zwar in ihrer Rolle als Rechteinhaber, nicht nur, wie gelegentlich in Nürnberg und den meisten Ad-Hoc-Gerichtshöfen, als Zeugen oder zur Darlegung der individuell erlittenen Schäden im Hinblick auf ihren Anspruch auf bestimmte Leistungen. Dies stellt in der Geschichte der internationalen Strafgerichtsbarkeit, wie McGonigle Leyh zu Recht herausstellt, einen unerhörten Schritt dar, zumal der IStGH in seinem Strategie-Dokument ausdrücklich betont, dass die Beteiligung der Opfer am Verfahren kein Zugeständnis des Gerichts, sondern ein Recht der Opfer ist.

Allerdings stößt dieses Recht auf die Grenzen des Rechts der Angeklagten auf ein faires Verfahren, und gerade bei den internationalen Strafgerichtshöfen können diese Grenzen recht eng sein, da sie in wesentlichen Punkten trotz gewisser Anpassungen an die Verfahrensformen des kontinentalen Strafprozesses das (amerikanische) „kontradiktorische“ Verfahrensrecht übernommen haben, bei dem das Gegenüber von Anklage und Verteidigung im Zentrum steht. Die Autorin wirft einen kritischen Blick auf viele Defizite im Einzelnen bei der Umsetzung der Teilhaberechte der Opfer am Strafverfahren und fragt abschließend, ob es möglich sei, ein Menschenrecht auf Prozessbeteiligung im Rahmen des Anspruchs auf Bestrafung der Verantwortlichen von schweren Menschenrechtsverletzungen zu formulieren, so wie es bereits ein Recht auf Wahrheit und ein Recht auf Zugang zu einem unparteiischen Gericht gibt. Sie formuliert eine Reihe von guten Gründen dafür, die nicht nur im Interesse der Opfer, sondern auch des bestmöglichen Ablaufs solcher internationalen Prozesse selbst sind, betont aber auch die Bedeutung der Standards eines fairen Verfahrens für die Angeklagten als eines Eckpfeilers der internationalen Strafgerichtsbarkeit.

Angesichts der zahlreichen unterschiedlichen Praktiken in den verschiedenen internationalen Gerichtshöfen (und erst recht auf nationaler Ebene) sowie der vielen pragmatischen Schwierigkeiten der Opferbeteiligung und auch von teils unterschiedlichen Wünschen und Interessen der Opfer selbst verzichtet McGonigle Leyh klugerweise darauf, eine Art Modellstatut für Verfahrensbeteiligung der Opfer zu entwerfen. Sie setzt sich stattdessen für die konsequente schrittweise Weiterentwicklung der von ihr beschriebenen Grundprinzipien der Opferrechte in solchen Prozessen ein. Bei allen Defiziten, die noch immer bestehen, sind große Fortschritte bei der Berücksichtigung der Bedürfnisse, Interessen und Rechte der Opfer in den internationalen Strafprozessen doch unverkennbar.

Rainer Huhle

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