Guatemala: Gewalt gegen indigene Frauen von Gericht verurteilt

29. März 2016 | Von | Kategorie: Weltregionen, Amerika

von Nadja Kutscher

Am 26. Februar 2016 wurden zwei ehemalige hochrangige Militärangehörige vor einem Gericht in Guatemala City zu insgesamt 360 Jahren Gefängnis verurteilt. Der einstige Kommandeur der Militärbasis Sepur Zarco, Esteelmer Reyes Girón, wurde wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Mordes schuldig gesprochen; der ehemalige regionale Militärbeauftragte Heriberto Valdez Asij wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dem „Verschwindenlassen“ mehrerer Personen. Unter den Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ fallen in diesem Prozess sexuelle Gewalt und häusliche Sklaverei. Der Gerichtsprozess ist aus mehreren Gründen von hoher Bedeutung für Guatemala, aber auch für andere Länder, in denen Verbrechen gegen die indigene Bevölkerung und gegen Frauen innerhalb eines bewaffneten Konfliktes begangen wurden.

Während des über 30 Jahre andauernden Bürgerkrieges wurde Gewalt gegen Frauen als Waffe eingesetzt, wie es in vielen gewaltsamen Konflikten weltweit der Fall ist und war. Sexuelle Gewalt war nach den Erkenntnissen der guatemaltekischen Wahrheitskommission (Comisión de Esclarecimiento Histórico, 1999) eine weitverbreitete und systematische Vorgehensweise des Staates bei der Aufstandsbekämpfung. Die in Sepur Zarco begangenen Verbrechen sind dabei Teil eines Musters systematischer Verletzungen der Rechte der Maya-Bevölkerung während des Bürgerkrieges. Laut Wahrheitskommission betrafen 83,3% der Menschenrechtsverletzungen die Maya-Bevölkerung, insbesondere Frauen.

Lange Zeit wurden diese Verbrechen jedoch nicht offen diskutiert und Verantwortliche nicht strafrechtlich verfolgt. Für Aufsehen sorgte vor allem der Prozess gegen den früheren Präsidenten Efraín Ríos Montt und seinen damaligen Leiter der Militäraufklärung, Jose Mauricio Rodriguez Sanchez, wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das erste Urteil gegen die beiden Beschuldigten wurde jedoch 2013 aufgehoben, die Neuverhandlung ist noch nicht abgeschlossen.

Der Gerichtsprozess im Fall Sepur Zarco ist damit ein wichtiger Schritt gegen die Straffreiheit der Täter des Bürgerkrieges. Zudem ist er der erste Prozess in Guatemala, der sich den systematischen Gewalttaten an indigenen Frauen widmet. Die Anwälte der Angeklagten hatten zwar – wie bereits im Fall Efraín Ríos Montt – vorab und während des Prozesses versucht, das weitere Verfahren durch diverse Anträge zu verhindern, beispielsweise mit Verweis auf eine angebliche Befangenheit der Vorsitzenden, scheiterten damit jedoch. Bedeutsam ist das Verfahren aber auch international, denn er gilt als erster Prozess überhaupt vor einem nationalen Gericht, bei dem Angeklagte wegen Zwangsprostitution innerhalb eines bewaffneten Konfliktes als Verstoß gegen das Völkerrecht zur Rechenschaft gezogen werden. Er setzt damit ein wichtiges Zeichen, dass die systematische Gewalt gegen Frauen während des Bürgerkrieges endlich als solche anerkannt und geahndet wird. Worum genau ging es also in diesem wichtigen Verfahren?

Der Prozess beschäftigte sich mit den Ereignissen rund um die Militärbasis Sepur Zarco im Osten Guatemalas. Dort wurden zwischen 1982 und 1986 von der guatemaltekischen Armee gravierende Menschenrechtsverletzungen begangen, insbesondere an der Bevölkerung der Maya Q’eqchi’. Wie die Vorsitzende des Gerichts, Jazmín Barrios, abschließend bestätigte, hatten die dort ausgeübten Gewaltakte ihren Ursprung in den Bemühungen lokaler Bauern um Eigentumsrechte für ihr Land. Historisch betrachtet handelte es sich um das Land der Maya Q’eqchi’, doch die Bauern wurden durch Vertreibung und sonstige Gewalt in ihren Rechten beschnitten. Um ihren Bestrebungen ein Ende zu setzen, erklärte man die Männer zu „inneren Feinden“ oder Angehörigen der Guerilla, ließ sie deshalb „verschwinden“, machte ihre Frauen auf der Militärbasis zu Arbeits- und Sexsklavinnen und zerstörte den Familienbesitz.

Nach dem Prozessbeginn am 1. Februar 2016 sagten zahlreiche Frauen und Männer vor Gericht aus. Auch wurden Videoaufnahmen vor Gericht berücksichtigt, die bereits 2012 aufgezeichnet worden waren. So sollte den betroffenen Frauen die Qual einer erneuten Aussage erspart bleiben und sichergestellt werden, dass auch die Aussagen bereits verstorbener Frauen Gehör finden würden. Frauen berichteten, wie zuerst ihre Männer entführt und sie selbst dann von Soldaten vergewaltigt und zur Militärbasis gebracht wurden. Dort mussten sie für die Soldaten Wäsche waschen und kochen und wurden immer wieder – teils von mehreren Männern – vergewaltigt. Viele Frauen waren in diesem Martyrium monatelang gefangen. Andere Frauen flüchteten mit ihren Kindern in die Berge, wo sie, teils jahrelang, unter unmenschlichen Bedingungen leben mussten. Viele Frauen wurden in ihren eigenen Häusern, vor den Augen ihrer Kinder, vergewaltigt. Männliche Zeugen berichteten von Zwangsarbeit, Exekutionen und Folter innerhalb der Militärbasis. Mehrere Opfer nannten die Angeklagten in unterschiedlichen Zusammenhängen, aber auch andere Militärangehörige, gegen die bisher keine Anklage erhoben wurde.

Immer wieder wurde von Zeugen betont, wie sich die Gräueltaten von Sepur Zarco noch immer stark auf ihr Leben auswirkten– sowohl durch seelisches Leid als auch durch eine Spirale der Armut, in der viele Opfer aufgrund ihrer Erfahrungen gefangen seien. Ein Zeuge beschrieb seine Situation mit folgenden Worten: „Die Personen, die das getan haben, sind frei; sie essen gut, während wir arm bleiben.“ Bezüglich der Folgen für die Opfer waren auch Experten geladen, die beschrieben, dass die Taten nicht körperliche Wunden hinterließen – so litten Frauen, die immer wieder vergewaltigt wurden beispielsweise unter chronischen Rückenschmerzen – sondern auch psychosomatische Auswirkungen hatten. Viele Opfer leiden unter Angstzuständen und anderen Folgen der in hohem Maße traumatischen Erfahrungen, auch, da die Frauen nach ihrem Martyrium häufig stigmatisiert und aus den Gemeinschaften ausgeschlossen wurden.

Als Teil des Prozesses wurden außerdem 38 Kartons mit menschlichen Überresten und Kleidung während der Verhandlung präsentiert. Für die anwesenden Frauen der Opfer muss dies ein besonders schwieriger Moment gewesen sein – Berichten zufolge begannen sie bereits Tage zuvor, für die Toten zu beten. Wissenschaftler, die teils schon seit zwei Jahrzehnten mit der Identifizierung von Massengräbern und der Exhumierung von Opfern des Bürgerkrieges betraut waren, wurden zu ihren Forschungsmethoden und Erkenntnissen befragt.

Drei zivilgesellschaftliche Organisationen hatten sich seit Jahren für einen solchen Prozess eingesetzt und repräsentierten nun die Opfer: Mujeres Transformando El Mundo, Unión Nacional de Mujeres Guatemaltecas und Asociación JALOK U. Der Prozess erfuhr eine hohe Medienaufmerksamkeit und wurde an den Sitzungstagen durch Märsche und Kundgebungen gerade auch von der indigenen Gemeinschaft unterstützt. Viele Opfer machten in ihren Aussagen ihren Wunsch nach Gerechtigkeit und Wahrheit deutlich. Die internationale Berichterstattung war aufgrund der Bedeutung dieses historischen Falls entsprechend umfangreich und die Unterstützung groß, beispielsweise durch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte und Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú Tum. Die Verurteilungen wurden als wichtiger Schritt der Gerechtigkeit in Guatemala gelobt und als möglicher Antrieb für weitere Prozesse bezeichnet.

Neben den Gefängnisstrafen ordnete das Gericht zudem Entschädigungszahlungen an. Diese richten sich nicht nur direkt an die Opfer bzw. deren Familien, sondern sollen auch die wirtschaftliche Lage der Gemeinden verbessern, z.B. durch den Bau einer Schule und eines medizinischen Zentrums sowie die Schaffung von Stipendien. Die Anwälte der Beklagten erklärten jedoch bereits, das Urteil anfechten zu wollen. Dies würde bedeuten, der Fall würde als nächstes an den Obersten Gerichtshof, danach möglicherweise an das Verfassungsgericht weitergereicht. Dabei könnte sich die in diesem Jahr anstehende Wahl der Richter des Verfassungsgerichtes als wichtiger Aspekt erweisen, da diese diejenigen sein könnten, die in dem Fall das letzte Wort haben und entscheiden werden, ob diese tragende Entscheidung zur Beendung der Straffreiheit bestehen bleibt.

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