Codename Cäsar – Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie

13. September 2017 | Von | Kategorie: Rezensionen

Rezension „Codename Cäsar – Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie“ (Garance Le Caisne)

Von Alice Speck

Im September 2017 wird der Nürnberger Menschenrechtspreis an die Gruppe Caesar verliehen. Hinter dem Decknamen „Caesar“ verbirgt sich ein ehemaliger syrischer Militärfotograf, der ab 2011 zwei Jahre lang Leichen von Ermordeten in syrischen Gefängnissen fotografiert und so für das Regime von Baschar al-Assad systematisch dokumentiert hat. Darunter viele Bilder von zu Tode gefolterten Oppositionellen. Mit Hilfe von Freunden floh er 2013 zusammen mit seiner Familie aus Syrien. Mit sich schmuggelte er 50.000 dieser grausamen Fotos.

Caesar lebt heute versteckt in Nordeuropa. Die Französin Garance Le Caisne schaffte es als einzige Journalistin ihn ausfindig zu machen. In etlichen, langen Gesprächen ist es ihr gelungen, sein Vertrauen zu gewinnen und ihn dazu zu bewegen, seine Geschichte zu erzählen. Sie ist es auch, die den Nürnberger Menschenrechtspreis stellvertretend für Caesar entgegennehmen wird. Aus Caesars Berichten und Erzählungen ist ein Buch entstanden, das schonungslos die Geschichte einer grauenhaften Todesmaschinerie aufzeigt. Einer Maschinerie, die bis zum heutigen Tage nicht still steht.

„Codename Caesar“ ist keine leichte Lektüre. Das Buch zu lesen bringt einen selbst an die eigenen Grenzen. Immer wieder muss man es weglegen und das Gelesene verarbeiten. Größtenteils ist dies so unfassbar grausam, dass man sich eigentlich nicht länger mit dem Thema auseinandersetzen möchte. Doch genau das ist wichtig: nicht wegsehen. Caesar beschreibt, was er gesehen hat: Leichen mit herausgerissenen Augen oder eingeschlagenen Zähnen, leblose ausgehungerte Körper oder Tote, die nicht länger einen Namen hatten, sondern eine Nummer trugen. Doch es ist nicht nur das, was schockiert. Es ist vor allem die akribische, systematische Dokumentation der Toten. Jede Nummer musste richtig zugeordnet und auf den Fotos erkennbar sein.

„Der Rechtsmediziner kam hinzu und regte sich auf: ‚Was soll das heißen, er lebt noch? Und was soll ich jetzt bitte tun? Das bringt mir meine ganzen Nummern durcheinander!‘ Er war außer sich, weil er die Nummern, die den Leichen für den ärztlichen Bericht zugewiesen wurden, schon in sein Heft eingetragen hatte. Wenn der Mann noch am Leben war, würde er sie streichen, neue Nummern vergeben, sie wieder eintragen, also ganz von vorne beginnen müssen. ‚Reg dich nicht auf. Du gehst jetzt mal einen Tee trinken, und wenn du wiederkommst, ist die Sache erledigt‘, antwortete ihm ein Soldat. Als der Rechtsmediziner zurückkam, waren sie mit den Fotos fertig.“

„Codename Caesar“ beschreibt den Alltag im Herzen dieser Todesmaschinerie. Es ist das Zeugnis eines Mannes, der genau diesen Alltag zwei Jahre lang lebte und sich dazu entschloss, die Bilder zu speichern, außer Landes zu bringen und öffentlich zu machen. Es beschreibt die Angst, die Caesar hatte. Die Angst davor aufzufliegen und so nicht nur sich, sondern auch seine Familie und alle, die ihm halfen, in Gefahr zu bringen. Es beschreibt aber auch den Mut, den Caesar und seine Helfer aufbrachten, um die Fotos der Welt vorzulegen –  und die darauffolgende Ernüchterung über die Tatenlosigkeit der internationalen Staatengemeinschaft. Gleichzeitig ist das Buch eine Anklageschrift gegen das syrische Regime. Denn die Bilder, die Caesar gemacht hat und die inzwischen als verlässliche Quelle eingestuft wurden, können als wichtige Beweise in internationalen Strafprozessen verwendet werden. Und so ist es vor allem eines, das in Erinnerung bleibt: der Mut eines Mannes, die Bilder aus Syrien rauszuschmuggeln und das Engagement einer Journalistin, die Geschichte dieses Mannes zu erzählen.

Bildquelle: CH Beck-Verlag

 

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