Rezension zum neuen Werk von Juliana Ströbele-Gregor: Transnationale Spurensuche in den Anden

27. August 2018 | Von | Kategorie: Rezensionen, Amerika

Juliana Ströbele-Gregor: Transnationale Spurensuche in den Anden. Von geflüchteten Juden, „Altdeutschen“ und Nazis in Bolivien, Berlin (Metropol-Verlag) 2018, 234 Seiten

Juliana Ströbele-Gregor ist in der akademischen Welt vor allem als Spezialistin für indigene Bewegungen im Andenraum bekannt. Rechte indigener Frauen und die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Einflüssen evangelikaler Sekten in diesem Raum sind ihre besonderen Schwerpunkte. Ihr neuestes Buch verrät unter anderem, dass dieser Forschungsschwerpunkt auch eine biografische Geschichte hat. Juliana Ströbele-Gregor kam 1952 im Alter von neun Jahren als Tochter des ersten westdeutschen Gesandten und dann Botschafters nach dem Zweiten Weltkrieg nach Bolivien und verbrachte dort einen Teil ihrer Kindheit und Jugend. Die „Erinnerungssplitter“, die sie im Lauf ihrer wissenschaftlichen Arbeit immer mal wieder in ihre eigene Biografie zurückführten, hat Ströbele-Gregor jetzt in die Darstellung einiger wichtiger Aspekte der neueren Geschichte Boliviens verwoben. Insbesondere sind das die Geschichte(n) deutscher und deutsch-jüdischer Migration nach Bolivien, die Präsenz deutscher Nazis und ihre Verbindungen zu überraschend vielfältigen bolivianischen politischen Kreisen – Klaus Barbie/Altmann ist nur der bekannteste unter ihnen -, und gewissermaßen am anderen Ende des Spektrums, die auch von Ströbele-Gregor nicht restlos aufzuklärende Geschichte ihrer Mitschülerin Monika Ertl, Tochter des NS-Filmemachers Hans Ertl und spätere Guerillakämpferin.

Besonders aufschlussreich sind Ströbele-Gregors Einblicke in die kleine und dennoch vielgestaltige Welt der deutschen Migranten, deren wichtigste Gruppen die „Altdeutschen“, also die schon vor der Zeit des Nationalsozialismus nach Bolivien ausgewanderten Deutschen (und Österreicher), die vor den Nazis geflohenen und zeitweise nur noch in Bolivien Asyl findenden Juden und die Nationalsozialisten und Sympathisanten, die keineswegs erst nach 1945 ins Land kamen. Aus eigener Erfahrung, aber auch aus den Akten des Gesandten und Botschafters Werner Gregor kann sie zeigen, wie zweideutig das Verhältnis dieser deutschen Migrantengruppen zu einer Figur wie Barbie/Altmann war, über dessen NS-Vergangenheit man auch außerhalb seines engeren Kreises vieles wusste, aber nicht wirklich wissen wollte. Auch sonst sind die Akten der ersten deutschen Gesandtschaft und Botschaft, aus denen Ströbele-Gregor des Öfteren längere Auszüge zitiert, sehr aufschlussreich, vermitteln sie doch ein Bild früher deutscher Lateinamerika-Diplomatie, das sich deutlich positiv von der in etlichen anderen lateinamerikanischen Ländern abhebt. Wie schwierig es für Botschafter Gregor war, sich zwischen den verschiedenen deutschen Gruppen in Bolivien zu bewegen, kann seine Tochter aus der Perspektive der Erinnerungen an ihre verschiedenen Schulfreundinnen nacherzählen, in denen die Spannungen zwischen diesen Gruppen ihr Echo fanden, ohne dass die Kinder wirklich verstanden, was deren Hintergrund war. Der Botschafter, der sich als Repräsentant der neuen demokratisch gesinnten Bundesrepublik Deutschland einführte, stieß bei vielen jüdischen Emigranten ebenso auf Misstrauen wie bei den Nazis und ihren Sympathisanten. Es macht den Reiz dieser „Spurensuche“ aus, dass Ströbele-Gregor, wie sie selbst schreibt, wissenschaftliche Forschung und autobiografisch gespeiste Subjektivität zu einer „multiperspektivischen Geschichtserzählung“ zusammenzuführen vermag, die auch auf historische Zusammenhänge, die anderswo ausführlicher nachzulesen sind, ein neues und besonderes Licht wirft.

Rainer Huhle

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