Neuer Präsident am IStGH gewählt, alte Herausforderungen bleiben

12. März 2018 | Von | Kategorie: Aktuelles, Strafgerichtsbarkeit

von Michaela Lissowsky

 

Am 11. März 2018 wurde mit Richter Chile Eboe-Osuji aus Nigeria ein neuer Präsident am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) und erstmals ein Vertreter eines afrikanischen Vertragsstaates gewählt.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH / ICC) in Den Haag

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH / ICC) in Den Haag

Präsident Eboe-Osuji wird künftig unterstützt von den beiden Vizepräsidenten, Richter Robert Fremr aus der Tschechischen Republik und Richter Marc Perrin de Brichambaut aus Frankreich. Zusammen bilden sie die Präsidentschaft des Gerichts für die nächsten drei Jahre. Nachdem das Mandat von Präsident Eboe-Osuji 2021 enden wird, kann er ebenso wie der erste Vizepräsident Robert Fremr nicht wieder gewählt werden. Das Rom-Statut gestattet grundsätzlich eine einmalige Wiederwahl der Präsidentschaft.

Neue RichterInnen

Gewählt werden Präsident und Vizepräsidenten durch eine absolute Mehrheit der 18 RichterInnen. Seit dem 9. März 2018 haben folgende sechs neugewählte RichterInnen ihre Amtszeit offiziell begonnen.

Die Wahl der RichterInnen erfolgt durch die Vertragsstaaten des IStGH. Sie werden einmalig für neun Jahre gewählt. Das Rom-Statut gibt vor, dass die RichterInnen die wichtigsten Rechtssysteme der Welt vertreten müssen, eine geographische und eine Geschlechter-Ausgewogenheit repräsentieren. Doch nur sechs der insgesamt 18 Richter sind Frauen, obwohl fünf neue Richterinnen gewählt wurden. Die Neuen sind auf fünf ehemalige Richterinnen nachgerückt. Nur die Vertragsstaaten selbst könnten eine derartige Diskrepanz verhindern, indem sie eben gezielt weibliche qualifizierte Juristinnen nominieren und diese nicht quasi gezwungenermaßen in Wellen, sondern konstant auch regelmäßig im dreijährigen Turnus wählen. Nur so könnte umgangen werden, dass auf ein rein weibliches Präsidium unter der früheren Präsidentin Silvia Fernández de Gurmendi und ihren beiden Vizepräsidentinnen von 2015-2018 ein rein männliches Präsidium folgt. Doch mit der Wahl von Präsident Eboe-Osuji setzten die RichterInnen nun offensichtlich auf das wichtige Kriterium der geographischen Repräsentanz.

Die Wahl eines Präsidenten aus einem afrikanischen Vertragsstaat ist angesichts der Herausforderungen am IStGH eine richtige und sehr wichtige Entscheidung. Die aktuellen Herausforderungen sind zugleich vermachte Hinterlassenschaften der alten Präsidentschaft, welchen sich Präsident Eboe-Osuji jetzt stellen muss.

Herausforderung 1 – Keine neuen Fälle, keine Budget-Erhöhungen

Der Präsident am IStGH ist nicht nur Chefdiplomat und Repräsentant, sondern in erster Linie auch Manager des Gerichtshofes. Die eigentliche Verwaltung – die sogenannte Registry – ist ihm als eigenes Organ unterstellt. Eine der wichtigsten Aufgaben ist die Sicherung des Budgets des IStGH. Die finanziellen Leistungen der einzelnen Vertragsstaaten sind zwar durch einen Schlüssel gesichert, mögliche Erhöhungen des Budgets müssen jedoch Jahr für Jahr bei der Vertragsstaatenversammlung neu beantragt und verhandelt werden. 2017 betrug das Jahresbudget rund 144 Mio. EUR, für 2018 wurden von den Vertragsstaaten 147 Mio. EUR zugesagt. 972 MitarbeiterInnen am IStGH arbeiten derzeit an drei Prozessen in der Hauptverfahrenskammer (Ntanganda, Gbagbo und Ongwen) und an zwei Prozessen in der Berufungskammer (oder auch Rechtsmittelkammer) (Bemba und 2. Bemba et al.). Dahingegen liegen rund 11 Verfahren bei der Vorermittlungskammer, weil die Angeklagten derzeit von den Vertragsstaaten noch nicht an den IStGH ausgeliefert wurden oder sich nicht freiwillig nach der Veröffentlichung des Haftbefehls gestellt haben. Der IStGH führt keine Verfahren in absentia der Angeklagten durch. Die Anzahl an bisher abgeschlossenen Fällen, die bereits in der letzten Reparationsphase sind (Lubanga, Katanga und Al Mahdi), wird allgemein als zu niedrig kritisiert und hat in den letzten beiden Jahren nicht dazu geführt, dass die Vertragsstaaten einer signifikanten Erhöhung des Budgets zugestimmt haben. In die Reparationsphase gelangen die Verfahren erst nach der Verurteilung eines Angeklagten. Für mehr Ermittlungen und Verfahren muss der IStGH jedoch über die notwenigen finanziellen Ressourcen verfügen. Mit Ausnahme Georgiens und Libyens verfolgt die Anklagebehörde derzeit nur Situationen in afrikanischen Vertragsstaaten. Erste Vorermittlungen in Afghanistan, den Philippinen, der Ukraine, dem Irak, Venezuela und in Kolumbien sind noch weit davon entfernt, zu echten Fällen zu werden.

Als Manager muss der neue Präsident für eine ordnungsgemäße Verwaltung des Gerichtshofes sorgen und die Sicherung oder gar Erhöhung des Budgets mit Unterstützung des Registrars verhandeln – ausgenommen ist davon die eigenständige Anklagebehörde. Als Chefdiplomat obliegt es dem neuen Präsident Eboe-Osuji durch verstärkte Zusammenarbeit Vertragsstaaten zur Auslieferung von Angeklagten zu bewegen und weitere Austritte afrikanischer Staaten zu verhindern.

Herausforderung 2 – Drohende Austrittswelle (afrikanischer) Staaten

Auch in naher Zukunft werden Ermittlungen am ehesten zu tatsächlichen Anklagen führen, wenn sie schwere Verbrechen in afrikanischen Staaten verfolgen. Alle derzeitigen Verfahren in der Haupt- und Berufungskammer verhandeln bereits Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sich auf den Territorien afrikanischer Vertragsstaaten ereignet haben – darunter Sudan, Demokratische Republik Kongo, Uganda, Zentralafrikanische Republik und Elfenbeinküste. Innerhalb der Afrikanischen Union rumort es und der Unmut, dass bisher nur Fälle gegen Angeklagte afrikanischer Staaten am IStGH verhandelt wurden, besteht weiterhin. Freilich wird in diesem Zusammenhang nie erwähnt, dass die meisten der bisherigen Fälle erst durch Selbstüberweisung der Vertragsstaaten oder den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an den IStGH gelangt sind.

Nachdem Gambia seinen Rücktritt aus dem Rom-Statut wieder zurückgezogen hat, besteht noch die Gefahr, dass Südafrika den IStGH verlässt. Seit dem Ende der Regierung Zuma gab es jedoch keine neu veröffentlichten Stellungnahmen zu dem angedrohten Austritt. Nicht verhindert werden konnte hingegen der Austritt Burundis während der Amtszeit der früheren IStGH-Präsidentin Silvia Fernández de Gurmendi. Im Oktober 2017 wurde der Rücktritt Burundis aus dem Rom-Statut nach Artikel 127 rechtskräftig – ein Jahr nachdem die Regierung Burundis diesen schriftlich gegenüber dem Generalsekretär der Vereinten Nationen erklärt hatte. Trotz Rücktrittsgesuchs musste Burundi seinen monetären Verpflichtungen gegenüber der Vertragsstaatenversammlung zur Finanzierung des IStGH nachkommen. Und viel wichtiger: die bereits eingeleiteten Ermittlungen der Anklagebehörde zu schweren Menschenrechtsverbrechen während der Wahlen 2015 und in der Zeit, als Burundi Vertragsstaat des Rom-Statuts war, bleiben vom Austritt unberührt. UN-Ermittler gehen davon aus, dass während der gewalttätigen Ausschreitungen 500 bis 2.000 Menschen getötet wurden und Zehntausende Menschen fliehen mussten. Burundi wurde damit zum ersten Staat, der aus der Gemeinschaft der Vertragsstaaten des IStGH ausgetreten ist. Während die Regierung Burundis dies als historischen Sieg der Souveränität gegenüber der internationalen Strafgerichtsbarkeit feierte, erklärte Lambert Nigarura, der burundische Präsident der wichtigen Nichtregierungsorganisation Coalition for the ICC, dass die Entscheidung zum IStGH-Rückzug zu einem Zeitpunkt komme, „when the machine continues to kill with impunity in Burundi“.

Am 17. März 2018 reichten nun auch die Philippinen ihr Austrittsgesuch aus dem Rom-Statut bei den Vereinten Nationen ein. Der Austritt scheint bei Staaten erst dann ein Lieblingsthema zu werden, wenn die Anklagebehörde vorläufige Untersuchungen in selbigem Vertragsstaat eingeleitet hat. In den Philippinen prüft die Anklagebehörde derzeit die Ermordungen im Rahmen des erklärten Krieges gegen Drogen seit 2016. Der “Austrittstrend” setzt sich nun also auch 2018 am IStGH fort. Eine klare solidarische Haltung der anderen Vertragsstaaten wäre nötig, um den neuen IStGH Präsidenten zu unterstützen.

Herausforderung 3 – Weiter Weg bis zur Universalität

Umso wichtiger ist es, dass die dritte Herausforderung hinsichtlich der Universalität des Rom-Statuts nicht aus dem Blick gerät. Während die Vertragsstaatenzahl mit 123 Ländern auf den ersten Blick beachtlich klingt, hat der IStGH doch noch einen weiten Weg bis zur Universalität zu gehen. Die momentane weltpolitische Lage lässt es nahezu als illusorisch erscheinen, würde man an dieser Stelle wieder anmahnen, dass die wichtigen mächtigen Staaten des Sicherheitsrates, USA, Russland und China nicht Mitglieder des Rom-Statuts sind. USA und Russland hatten beide das Rom-Statut 2000 unterzeichnet, inzwischen aber gegenüber dem Generalsekretär 2002 bzw. 2016 erklärt, keine Ratifikation vornehmen zu wollen. China hat das Statut bisher nicht einmal unterzeichnet. Hingegen könnte der neue Präsident Bemühungen unternehmen, weitere Mitglieder in Afrika und anderen Erdteilen zu gewinnen. Neben den 123 Vertragsstaaten gibt es derzeit nämlich 31 Staaten, die das Rom-Statut zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben. Ein erstes Augenmerk könnte auf diesen Staaten liegen. Darunter fallen beispielsweise Länder wie Ägypten oder Kamerun.

Nur wenn es mehr Vertragsstaaten weltweit gibt, könnte das gefühlte Ungleichgewicht einseitiger internationaler Strafverfolgung in afrikanischen Staaten ausgeglichen werden. Und mehr Vertragsstaaten ermöglichen die Verteilung des Budgets auch auf mehrere Schultern. Der neue Präsident am IStGH wird viel zu tun haben, um die neuen alten Herausforderungen zu bewältigen.

Weitere Informationen zur Aktualität und Geschichte des Völkerstrafrechts bietet die Online-Ausstellung des NMRZ, siehe hier Von Nürnberg nach Den Haag.

 

Bibliographie

Burundi becomes first nation to leave international criminal court, in: The Guardian, 28. Oktober 2017, https://www.theguardian.com/law/2017/oct/28/burundi-becomes-first-nation-to-leave-international-criminal-court

New ICC Presidency elected for 2018-2021, press release, 11. März 2018, https://www.icc-cpi.int/Pages/item.aspx?name=pr1367

Überblick der Situationen und Fälle am IStGH, siehe hier https://www.icc-cpi.int/Pages/cases.aspx#

African Union Open-ended Committee of Ministers of Foreign Affairs on the International Criminal Court convened its 6th Meeting on the Sidelines of the 32nd Ordinary Session of the Executive Council of the African Union, press release, 27. Januar 2018, https://au.int/sites/default/files/pressreleases/33757-pr-pr_-_african_union_open-ended_committee_of_ministers_of_foreign_affairs_on_the_international_criminal_court_convened_its_6th_meeting.pdf

Budget des IStGH für 2018, Resolution ICC-ASP/16/Res.1 https://asp.icc-cpi.int/iccdocs/asp_docs/Resolutions/ASP16/ICC-ASP-16-Res1-ENG.pdf

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