Ein Kämpfer für die Menschenrechte

15. September 2011 | Von | Kategorie: Aktuelles

Nachruf auf Helmut Frenz

von Dieter Maier

Helmut Frenz beim Aktenstudium

Helmut Frenz (rechts) beim Aktenstudium
Autor: Dieter Maier

Er hat ungezählten Menschen das Leben gerettet. Die Folteropfer der chilenischen Militärdiktatur, die Regimegegner, die er versteckte, die Angehörigen der „verschwundenen“ politischen Gefangenen, die ihm in seinem Pfarrhaus in Santiago gegenübersaßen, eröffneten ihm einen Blick in die Hölle. Sie berichteten von nächtlichen Greiftrupps und geheimen Gefängnissen. Er verhalf ihnen unter waghalsigen Bedingungen in die Botschaften von Santiago oder zur Flucht auf anderen Wegen, riskierte dabei sein eigenes Leben. Denn er glaubte an den Sieg über Hölle und Tod.

Dabei fing alles damit an, dass er während der Ausgangssperre nach dem Putsch vom 11.9.1973 für seine Kirche in Deutschland, die ihn 1965 nach Chile entsandt hatte, eine Rechtfertigung dieses Putsches schrieb. Er hat sie aus Respekt vor der Wahrheit in seine Autobiographie[1] aufgenommen (zur Rezension). Es dauerte nicht lange, und er nahm die Seite der Opfer ein. Nun schrieb er eine theologische Reflexion zum „Gottesknecht“ beim Propheten Jesaja, die ebenfalls in seinem Buch steht. „Man muss wohl schon bereit sein, seinen eigenen Standort zu verlassen, um den Platz des Leidenden einzunehmen“, sagt er dort. Über diesem Engagement spaltete sich die deutsch-chilenische Kirche. Seine Gegner warfen ihm vor, an dieser Spaltung schuld und ein „falscher Bischof“ zu sein.

Lateinamerikanische Flüchtlinge, die in Chile unter dem Sozialisten Allende Zuflucht gefunden hatte, kamen hilfesuchend zu seiner Kirche. Er tarnte sie als Teilnehmer eines Bibelseminars, bis die Sache aufflog, das Gebäude umstellt wurde und alle „Seminaristen“ verhaftet wurden. Sie wurden in einen Militärbus gezwungen. Frenz mischte sich unter sie. Durch rasche und gezielte Intervention von Freunden kamen fast alle frei. Der am stärksten Gefährdete war, als die Militärs kamen, in einem Einbauschrank des „Bibelseminars“ versteckt worden. Frenz erzählte den Soldaten, die das Gebäude systematisch durchsuchten, dafür gebe es keinen Schlüssel, es sei irgendwelches Zeug darin, und der Trupp gab sich damit zufrieden. Als die Militärs weg waren, brach der Mann den Schrank auf und konnte sich retten.

Frenz und andere Geistliche gründeten ein ökumenisches Friedenskomitee. Sie retteten Hunderten das Leben, halfen Tausenden und wurden zu einem der ersten ernstzunehmenden Gegner der Pinochet-Diktatur. Frenz hatte zusammen mit einem anderen Bischof Audienz bei Pinochet. Er erschien im „Kampfanzug“ (Talar). Pinochet nach vorsichtig formulierten Protesten der beiden Geistlichen: „Sie meinen Folter?“, die sei nötig, damit die Kommunisten singen. Nach Pinochets Verhaftung in London 1998 schilderte Frenz diese Episode vor einem spanischen Gericht.

Während der Diktaturen vor allem in Lateinamerika entstand ein neuer Akteur der internationalen Politik: die MenschenrechtsarbeiterInnen und ihre NGOs. Frenz wurde einer ihrer Protagonisten. 1975 wurde er aus Chile ausgewiesen. In Deutschland gründete er eine „Aktion zur Befreiung der politischen Gefangenen in Chile“. 1976 wurde Frenz Generalsekretär der deutschen Sektion von amnesty international. Jetzt betrieb er professionell, aber nicht konventionell, was er in Chile gelernt hatte. Er wurde Emissär der realen Welt, in der Folter und Mord herrschen, gegenüber den Behörden. Er drang wegen Verhafteter in Argentinien in das Auswärtige Amt (AA) ein, in diese Burg der Amtskollegen und Aktenhüter. Die Niederschrift des AA vom ersten Gespräch mit ihm spricht vom “sogenannten” Bischof Frenz, der “aggressiv” gewesen sei. Das AA musste erst noch lernen, dass nicht nur die Wirtschaftsverbände dort mit Forderungen vorsprachen. Später wurde Frenz Flüchtlingsbeauftragter in Schleswig Holstein. 2004 ging er nach Chile. Er arbeitete in einer Stiftung, die sich mit Opferentschädigung befasste. In der Atacama-Wüste schrieb er sein Buch.

Sein Weg führte vom Dorfpfarrer einer Ostseeinsel auf eine Weltbühne der Konfrontationen mit Pinochets Diktatur, von Verhandlungen mit hohen Politikern, vollen Sälen und Kirchen, in denen er sprach, Fernsehkameras. Er schlug waghalsige Brücken, sprengte Festungen, die andere für uneinnehmbar hielten. Er integrierte, wo andere resignierten, agitierte in Kirchen und predigte draußen. Die Gemeinde strenggläubiger Atheisten und gealterter Untergrundkämpfer, die er zum Weinen brachte und die ihm noch zu seinem Tode treu blieb, dürfte einzigartig sein. Der Dauerspagat zwischen solchen Extremen und der bürgerlichen Normalität ist schwierig. Er lebte ruhelos, konnte schwierig und anstrengend sein. Aber von seinen Selbstzweifeln war nichts zu spüren, wenn er zu Ende eines Wochenendkongresses, als schon alles tuschelte und raschelte, zum Mikrophon griff, und es auf einmal so still wurde, dass nicht einmal die Handys zu klingeln wagten. Das waren seine zwei Gesichter.

Eine Heimat hatte er nicht mehr. Von Chile, das ihn zu seinem Ehrenbürger gemacht hatte, war er enttäuscht, es gab zu viel Pinochetismus ohne Pinochet. Die Ehrenstaatsbürgerschaft bedeutete ihm eine verdiente Anerkennung, den chilenischen Dr. h.c. und den Professorentitel zweier chilenischer Universitäten nahm er eher ironisch. Aus dem „Bischof a.D.“ macht er nach und nach den bescheidenen „Pastor a.D.“ Die Identitätsgefühle, die ihm geblieben sein mochten, trieben ihm die Behörden aus. Als er chilenischer Ehrenbürger geworden war, entzog ihm die deutsche Botschaft in Santiago die deutsche Staatsbürgerschaft. Nun sandte er, der unter der Diktatur Botschaftsasyl und ausländische Pässe für Verfolgte organsiert hatte und auf nationale Identität pfiff, eine fast komische Mail an seine Freunde, in der er sein Deutschtum bewies. Nach Hamburg, wo er sein Auge operieren lassen wollte, musste er als Tourist reisen. Dann bekam er seine deutsche Staatsangehörigkeit zurück. Wegen seiner sich verschlechternden Gesundheit zog sich der Aufenthalt in Hamburg immer länger hin. Das Stigma des Kirchenspalters machte ihm zu schaffen, obwohl er nichts anderes getan hatte, als die Partei der Opfer zu ergreifen. Sein letzter politischer Wunsch war, dass die beiden Kirchen wieder zusammenkämen, nicht als Wiedervereinigung, wie er betonte, sondern als Neuanfang. Die geplante Rückkehr nach Chile wäre gesundheitlich riskant gewesen. Er war guter Dinge, noch ein paar Jahre in Deutschland leben und einiges schreiben zu können. Am 13.9.2011 starb er. Es gibt wohl wenige Pfarrer, um die so viele Atheisten trauern wie um ihn.

Dieter Maier
Frankfurt am Main, 14.9.2011

  1. [1] Helmut Frenz: …und ich weiche nicht zurück: Chile zwischen Allende und Pinochet. Leipzig, Verlag Gustav-Adolf-Werk 2000
    Zur Rezension bitte hier klicken

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