Asma Jahangir, 1952 – 11. Februar 2018

16. Februar 2018 | Von | Kategorie: Menschenrechte verstehen, Biographien

Ein Nachruf von Heiner Bielefeldt, der 2010 Asma Jahangir als Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit nachfolgte.

Asma Jahangir

Noch über den Tod hinaus schafft es Asma Jahangir, die pakistanische Gesellschaft aufzumischen. Während der Beerdigungszeremonie, so war zu hören, brach die sonst übliche räumliche Trennung der Geschlechter unerwartet zusammen. „Asma hätte das nicht gewollt“, hieß es. Und so hielten sich die Trauergäste nicht an die gewohnte Ordnung, sondern gingen neue Wege.

Um Asma Jahangirs Wirken als Menschenrechtsverteidigerin auch nur halbwegs angemessen zu würdigen, müsste man viel mehr über Pakistan wissen: über die Spaltung des Subkontinents, die Zeit der Militärdiktatur, die überall grassierende Korruption, atavistische Vorstellungen von Geschlechterehre, gegeneinander abgeschottete Sozialmilieus, gewaltsam ausgetragene politische Dauerfehden, die politische Instrumentalisierung des Islams und eine um sich greifende religiöse Intoleranz. Da meine Kenntnisse Pakistans nur rudimentär sind, kann ich allenfalls erahnen, was Asma für ihr Land geleistet hat und welchen Mut sie dafür aufbringen musste. Ein Master-Student aus Pakistan sagte: „Asma hat sich gegen Zia ul-Haqqs Diktatur gestemmt. Sie hat unsere Demokratie verteidigt.“ Dafür hat sie mit mehreren Jahren Gefängnis und Hausarrest bezahlt. Stets musste sie damit rechnen, Zielscheibe von Lynch-Justiz oder religiösem Fanatismus zu werden. Vor einigen Jahren wurde ein Komplott des Geheimdienstes gegen sie aufgedeckt.

Asma Jahangir stand für ein anderes Pakistan – für ein Erbe, das mittlerweile fast vergessen ist. Wer weiß heute noch, dass der erste pakistanische Außenminister aus der mittlerweile verketzerten Ahmadiyya-Bewegung kam und in der UNO den Saudis Paroli bot? In den 1960er Jahren stand Pakistan innerhalb der islamischen Welt für (relative!) Fortschritte im Familienrecht und in Gender-Fragen. Es gibt eine Tradition liberal-säkularen Denkens in Pakistan, teils in Verbindung mit reformislamischen Positionen. Dieses „andere“ Pakistan ist allerdings fast völlig an den Rand gedrängt – überlagert durch Kriege, Ausnahmezustand, Phasen der Diktatur, gesellschaftliche Polarisierung, Hassparolen und Fundamentalismus. Asma hat sich all dem konsequent in den Weg gestellt. Als die erste weibliche Vorsitzende der „Bar Association“ am Pakistanischen Obersten Gerichtshof und als Leiterin der von ihr mitbegründeten unabhängigen Pakistanischen Menschenrechtskommission ging sie keinem Konfliktthema aus dem Weg. Öffentlich kritisierte sie die absurd-drakonische Blasphemie-Gesetzgebung, die für vage umschriebene „Delikte“ unter Umständen sogar die Todesstrafe vorsieht. Sie legte sich mit korrupten Behörden und den Sicherheitsorganen an. Die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen im Bildungswesen, in der Arbeitswelt und im Gesundheitsbereich war ihr ein Herzensanliegen, und auch für die Anerkennung unterschiedlicher sexueller Orientierungen zeigte sie Flagge. Auf diese Weise zog Asma Jahangir unvermeidlich Feindschaften auf sich, fand zugleich aber viel Bewunderung. Vor allem für Frauen und Mädchen war sie eine Hoffnungsträgerin.

Die innerpakistanischen politischen Fronten schlugen gelegentlich sogar in die Gremien der UNO durch. Als UN-Sonderberichterstatterin für Religions- und Weltanschauungsfreiheit (2004-2010) legte Asma Jahangir regelmäßig Widerspruch ein gegen die von Pakistan – im Namen der Organisation der Islamischen Konferenz – eingebrachten Resolutionsentwürfe zum Kampf gegen „Religionsdiffamierung“. Sie stellte klar, dass repressive Maßnahmen zum Schutz bestimmter Religionen gegen Kritik, Satire und Ironie mit den Menschenrechten völlig unvereinbar sind und deshalb auch nichts mit Religionsfreiheit zu tun haben. „Es gibt kein Recht darauf, von Kritik verschont zu sein“, so die Pointe, die sie immer wieder einhämmern musste. Dass der schärfste Widerspruch gegen die von Pakistan vorgelegten Resolutionen ausgerechnet von einer pakistanischen Menschenrechtsanwältin kam, ließ international aufhorchen.

Es ist ein Glücksfall für die UNO, wenn engagierte „human rights defenders“ auch direkt in der internationalen Menschenrechtspolitik Funktionen und Positionen übernehmen. Dass Asma ihr Mandat als Sonderberichterstatterin für Religions- und Weltanschauungsfreiheit ausgerechnet auf dem Höhepunkt der hitzigen Kontroverse über Religionsdiffamierungen innehatte, war gleich ein doppelter Glücksfall. Sie sorgte für klare Orientierung in einer Debatte, in der viele Nebelwerfer unterwegs waren. Außerdem hat sie immer wieder eingeschärft, dass die Religionsfreiheit, die ja schließlich ein Menschenrecht ist, niemals als Vorwand für eine religiös motivierte Unterdrückung der Frau herhalten kann. Nach Ablauf ihres Mandats nahm sie weitere internationale Aufträge an, so zuletzt noch im Herbst letzten Jahres die Funktion der UN-Sonderberichterstatterin über Menschenrechtsverletzungen in der Islamischen Republik Iran. Asma war nicht nur unerschrocken, sondern auch unermüdlich.

Als prominente Menschenrechtsverteidigerin hat Asma Jahangir zahlreiche renommierte Preise erhalten. Persönlich blieb sie gleichwohl immer bescheiden. Sie verband unverwüstlichen Humor mit einer Neigung zu bissigem Sarkasmus und Selbst-Ironie. Politisches Pathos war ihr eher fremd. Auf die Gründe ihres Engagements angesprochen, sagte sie einmal lapidar: „It seems to run in the family“. Damit spielte sie vor allem auf ihre Schwester Hina Jilani an, die eine Zeit lang ebenfalls als UN-Sonderberichterstatterin, nämlich zum Thema „Human Rights Defenders“ unterwegs war. Dass man Widerstand gegen Unrecht leisten und die Stimme stellvertretend für die erheben muss, die durch Einschüchterung zum Schweigen gebracht werden, bedurfte für Asma keiner großen Begründung. Sie sah darin eine schiere Selbstverständlichkeit.

Am 11. Februar ist Asma mit nur 66 Jahren in ihrer Heimatstadt Lahore verstorben. In Pakistan hat die Nachricht über ihren überraschenden Tod landesweit eine öffentliche Trauer ausgelöst, die durchaus Züge einer politischen Demonstration annehmen konnte – sogar während der Beerdigung. Auch über Pakistan hinaus trauern Menschen um eine unerschrockene Menschenrechtsverteidigerin. In Nürnberg, wo sie einige Jahre Mitglied der Jury des Internationalen Menschenrechtspreises war, hat ihre Persönlichkeit alle beeindruckt, die ihr begegneten. Wer wie ich das Glück hatte, Asma persönlich kennen zu lernen, wird sie nicht vergessen.

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