Neue Leitlinien für die Suche nach Verschwundenen

26. November 2018 | Von | Kategorie: Aktuelles, Menschenrechte verstehen, Verschwindenlassen

Am 21.11. veröffentlichte der UN-Ausschuss gegen das Verschwindenlassen (CED) „Leitlinien für die Suche nach Verschwundenen“.  Unser Mitglied Rainer Huhle ist seit acht Jahren Mitglied des CED und war maßgeblich an der Ausarbeitung dieser Leitlinien beteiligt. Wir haben uns mit Rainer getroffen und mit ihm über dieses neue Tool gesprochen.

Nürnberger Menschenrechtszentrum (NMRZ): Acht Jahre nach dem Inkrafttreten des Internationalen Übereinkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (CEPD) veröffentlichet der UN- Ausschuss gegen das Verschwindenlassen „Leitprinzipien für die Suche nach Verschwundenen“. Waren Sie mit der Bilanz des Übereinkommens nicht zufrieden und dienen diese Leitprinzipien als eine Ergänzung?

Familienangehörige von mexikanischen Verschwundenen im „Garten der Verschwundenen“ in Genf/Meyrin

Rainer Huhle (RH): Wir haben im Ausschuss bisher weit über 500 Einzelfälle von „Eilaktionen“ zur Suche nach verschwundenen Personen bearbeitet. Vor allem bei der Forschung nach diesen Personen, im ständigen Austausch mit den Verwandten bzw. Antragstellern und den staatlichen Behörden, stießen wir immer wieder auf viele, oft grobe Nachlässigkeiten oder Fehlverhalten, die das Verschwindenlassen fördern oder die Suche nach Verschwundenen behindern. Gleichzeitig gibt es in etlichen Staaten durchaus Vorschriften, was die Behörden zu tun haben, wenn sie von einem Verschwinden Nachricht erhalten. Aber auch mit diesen Vorschriften sind die Angehörigen der Verschwundenen oft sehr unzufrieden.

NMRZ: Wie war der Entstehungsprozess der Prinzipien ausgestaltet und welche Parteien und Akteure haben mitgewirkt?

RH: In diesem Zusammenhang entstand allmählich bei uns die Idee, dass man die guten und die schlechten Praktiken einmal genauer und systematisch ansehen müsste, um daraus dann Empfehlungen zu entwickeln, was zu einer effektiven, aber auch mit Respekt für die Opfer vorangetriebenen Suche mindestens gehören sollte. Mit Mitteln vor allem des Deutschen Instituts für Menschenrechte, der Heinrich-Böll-Stiftung und einiger anderer Geber haben wir 2017 in Berlin und 2018 in Bogotá zwei internationale Konferenzen gehalten, die uns eine große Fülle zusätzlicher Erfahrungen brachten. Danach habe ich mit einer Kollegin aus dem Ausschuss einen ersten Entwurf geschrieben, den wir mit einigen internationalen Fachleuten mehrfach durchgegangen sind und der jetzt auf der 15. Sitzung des CED im November 2018 noch einmal vom gesamten Ausschuss diskutiert und modifiziert wurde. Dieser Entwurf liegt nun allen Staaten, Fachleuten und –Organisationen, NRO und vor allem den Opferorganisationen in aller Welt zur Kommentierung vor. Für die 16. Sitzung des Ausschusses im April 2019 ist dann geplant, unter Einbezug dieser Kommentierungen das endgültige Dokument zu verabschieden.

Dabei handelt es sich um Leitprinzipien (in der englischen Fassung: „Guiding Principles“), d.h. sie sind ausdrücklich als Anleitung zur bestmöglichen Interpretation des Übereinkommens, nicht als Schöpfung neuen Rechts zu verstehen (dazu hätte der Ausschuss auch gar keine Befugnis). Insofern fügen sie dem Übereinkommen, rechtlich gesehen, nichts hinzu, präzisieren lediglich die Pflichten der Staaten bzw. die Rechte der Opfer hinsichtlich der Suche nach Verschwundenen. Wir verstehen diese Prinzipien ganz im Sinn der Konvention als konstruktiven Beitrag, dass die Staaten ihre Verpflichtungen aus der Konvention bestmöglich erfüllen können.

NMRZ: Welche Reaktion erwarten Sie von der Staatenwelt auf Ihre Veröffentlichung?

RH: Die Staaten, die das Übereinkommen ratifiziert haben, haben sich den in ihm enthaltenen Verpflichtungen ja freiwillig unterworfen und damit ihren Willen ausgedruckt, alles zu tun, um das Verschwindenlassen zu verhindern, Täter zu bestrafen und Personen, die dennoch verschwunden werden oder es bereits sind, mit allen Mitteln zu suchen. Insofern hoffen und glauben wir, dass die Staaten die „Prinzipien“ als ein Angebot zur konstruktiven Hilfestellung seitens des Ausschusses verstehen und annehmen. Ich bin sehr gespannt auf die Kommentare, die uns die Staaten jetzt im Lauf der Konsultation in den nächsten Monaten zukommen lassen.

 

Gemeinsame Sitzung des Ausschusses (CED) mit der Working Group on Enforced and Involuntary Disappearences (WGEID)

NMRZ: Können Sie uns abschließend einen kleinen Ausblick über die zukünftige Situation des Menschenrechts auf Schutz vor Verschwindenlassen geben?

RH: In den siebziger und achtziger Jahren entwickelten vor allem in einigen südamerikanischen Staaten die Diktaturen eine neue Form der Repression: Sie ermordeten ihre Gegner nicht nur, sondern man versuchte offenbar systematisch, diese Morde zu vertuschen, indem man keine Toten hinterließ und jede Verantwortung für das Schicksal dieser Personen von sich wies. Dafür suchten und fanden die Opfer neue Begriffe, unter denen sich schließlich das „gewaltsame Verschwindenlassen“ am meisten einbürgerte, so auch im Namen des Übereinkommens (International Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearance). Heute ist das Verschwindenlassen häufig nicht mehr einfach Folge der politischen Repression einer Diktatur gegen ihre Bürger. In Ländern wie z.B. Mexiko, dem Irak, Syrien oder Kolumbien sind die Verantwortlichen – und damit auch die Verantwortlichkeiten – oft viel komplexer. Das entbindet die Staaten keineswegs von ihrer eigenen Verantwortung als Garant der Menschenrechte, aber gerade für die Suche nach den Verschwundenen ist es wichtig, eine realistische Vorstellung von den Kontexten zu haben, in denen dieses Verbrechen geschieht. „Kontextanalyse“ ist denn auch eines der Themen, das wir in den „Prinzipien“ ansprechen.

NMRZ: 2019 wird Ihr letztes Jahr im UN-Ausschuss gegen das Verschwindenlassen sein. Wenn Sie auf ihre Tätigkeit im Ausschuss zurückblicken, welche Bilanz ziehen Sie?

RH: Ich schlage vor, dass wir Bilanz ziehen, wenn meine Arbeit im Ausschuss nach acht Jahren tatsächlich vorbei ist. Derzeit schaue ich noch nach vorne…

 

Sose Baghumyan & Erik Schmidt

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