Neues Polizeiaufgabengesetz in Bayern

12. Oktober 2018 | Von | Kategorie: Europa

„Umstrittener Rechtsbegriff, Eingriff in die Freiheit, kein Mehr an Sicherheit.“

von Felix Krauß

(Interview ist hier auch als PDF nachlesbar)

Eines der großen Themen im Bayerischen Landtagswahlkampf ist das Polizeiaufgabengesetz (PAG) für die bayerische Polizei, welches letztes und dieses Jahr überarbeitet wurde und die Behörden mit weiteren Kompetenzen ausgestattet hat. So kann die Polizei beispielsweise aufgrund von Indizien bei „drohender Gefahr“ früher eingreifen. Ebenso ist es möglich, dass Menschen länger in Präventivgewahrsam genommen werden können. Das neue PAG ist auf großen Widerstand in der Opposition, bei Bürger- und Menschenrechtsorganisationen und in der Gesellschaft gestoßen und hat zu mehreren Großdemonstrationen in ganz Bayern geführt. In diesem Zusammenhang hat unter anderem der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Völkerrecht der Friedrich-Alexander-Universität, Prof. Dr. Markus Krajewski, eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht.

Foto: Polizeiaufgabengesetz (@ Felix Krauß)

Nürnberger Menschenrechtszentrum (NMRZ): Sie haben im Mai dieses Jahres (2018) zusammen mit zwei anderen Professoren und Studierenden der Universität Würzburg und München eine Popularklage gegen die Gesetzesänderungen des PAG von 2017 eingereicht. Wie weit ist hier das Verfahren?

Markus Krajewski (MK): Der aktuelle Stand ist, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof unsere Klage mit weiteren Klagen verbunden und zu einem Verfahren zusammengeschlossen hat. Außer uns haben ja noch beispielsweise die Grünen geklagt. Nun muss die Bayerische Staatsregierung noch Stellung beziehen, was wohl im Herbst oder Winter passieren wird. Anschließend wird das Verfassungsgericht wahrscheinlich nächstes Jahr eine mündliche Verhandlung ansetzen. Im Moment ist der genaue Zeitrahmen also noch offen, wobei ich mir schon vorstellen kann, dass sich im Laufe des nächsten Jahres (2019) eine Entscheidung abzeichnen könnte.

 NMRZ: Die Einschätzungen zum neuen PAG gehen weit auseinander. Sehen Sie einen potentiellen Nutzen für das neue PAG oder überwiegen die potentiellen Gefahren?

MK: Also ich sehe im Moment keinen Nutzen. Das ist der Punkt. Das ist ja auch der Anlass unserer Klage: wir sagen, der Staat, der in die Freiheitsrechte von Bürger*innen eingreift, muss sich rechtfertigen. Und wenn der Staat bislang, und das ist jetzt der zentrale Punkt, einem nicht glaubhaft sagen kann, wo der Nutzen sein soll, dann reicht das aus juristischer Sicht, um zu sagen, dass der Staat keine weiteren Freiheitsrechte beeinträchtigen darf.

NMRZ: Wir haben in Deutschland die paradoxe Situation, dass wir statistisch betrachtet eine abnehmende Kriminalitätsrate haben, andererseits aber die subjektive Wahrnehmung vieler Deutscher laut diversen Umfragen eher gegenteilig ist. Wie würden Sie das PAG in diesem Kontext einordnen?

MK: Ich glaube, die Sachen hängen in der Tat miteinander zusammen. Es ist in Bayern noch nie so sicher gewesen wie heute. Wenn man jetzt gleichzeitig den Bürger*innen signalisiert, wir brauchen aber neue Kompetenzen, fragt man sich ja, wie kommt das bei den Bürger*innen an. Entweder wird gesagt, wir können noch viel sicherer werden, damit gar nichts mehr passieren kann oder es wird signalisiert, dass sich der Freistaat für eine bevorstehende Gefahr wappnen muss. Und ich denke, dass genau dadurch so ein subjektives Unsicherheitsgefühl entsteht.

NMRZ: Mit der Reform von 2017 wurde der Begriff der „drohenden Gefahr“ neu eingeführt, der es der Polizei erlaubt, schon viel früher in eine Situation einzugreifen. Sehen Sie das kritisch?

MK: Das ist ja einer der zentralen Kritikpunkte. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dass dies in bestimmten Fällen bei der Terrorismusbekämpfung zulässig sein kann, jedoch wird hiermit im Grunde genommen eine völlig neue Kategorie in das Polizeirecht eingeführt. Dies ist aus drei Gründen besonders problematisch. Erstens ist nicht klar, inwiefern sich diese Kategorie von den bisherigen Kategorien unterscheidet. Zweitens wurde diese schwierige Kategorie ohne große Not eingeführt und drittens ist es nicht absehbar, wie sich diese neue Kategorie auswirken wird. Gerade in Zeiten, in denen man sich nicht so sicher sein kann, wie die politische Zukunft ausschauen wird, sollte der Gesetzgeber davon ablassen, irgendwelche Gesetze zu machen, bei denen die Auswirkungen unklar sind.

NMZR: Welche Konsequenzen könnte diese neue Kategorie der „drohenden Gefahr“ mit sich bringen?

MK: Das ist genau das Problem, das können wir (noch) nicht wirklich abschätzen. Die Staatsregierung hat in ihrer Argumentation Szenarien aufgezählt, bei denen die Polizei auch jetzt schon eingreifen könnte. Mit der „drohenden Gefahr“ wird ein Gedanke oder ein Begriff geschaffen, der signalisiert, dass die Polizei irgendwie schon früher eingreifen kann. Aber was dieses ‚irgendwie‘ sein soll, ist nicht klar.

NMRZ: Ein weiterer großer Kritikpunkt an dem neuen PAG ist auch die Erweiterung, dass jemand präventiv länger in Gewahrsam genommen werden kann. Sehen Sie das ähnlich problematisch?

MK: Der Präventivgewahrsam war ja ursprünglich an die „drohende Gefahr“ geknüpft. Dies hat man wieder entkoppelt. Und hier ist die Tatbestandsgrundlage im Gegensatz zu der „drohenden Gefahr“ nicht unklar. Es muss die klassische unmittelbare Gefahr gegeben sein, dass man jemanden präventiv in Gewahrsam nehmen kann. Hier ist eher die Frage, ob jemand rein theoretisch unbegrenzt in Haft genommen werden kann. Natürlich muss alle drei Monate eine rechtsprechende Person beurteilen, ob noch eine konkrete Gefahr besteht. Diese Prüfung nach der konkreten Gefahr kann sich jedoch in der Praxis als recht schwierig erweisen. Zusätzlich stellt sich die Frage, wer eigentlich was beweisen muss. Im Strafrecht muss der Staat die Schuld beweisen und nicht die angeklagte Person ihre Unschuld. Wie ist es hier? Muss der Gefährder beweisen, dass er nicht mehr gefährlich ist oder muss der Staat beweisen, dass er immer noch gefährlich ist? Hier erkannt man, dass die Dinge beginnen, sich vollkommen zu verschieben. Ebenso stellt sich die Frage nach der Länge des Präventivgewahrsam. In vielen anderen Bundesländern waren das ungefähr 48 Stunden. In Bayern waren es ja vorher schon immer 14 Tage. Dies wurde nun auch noch deutlich ausgeweitet und es ist schwer absehbar, ob und wie es sich in der polizeilichen Praxis auswirken wird.

Foto: Prof. Dr. Markus Krajewski (@ Felix Krauß)

NMRZ: Sie haben eben schon die anderen Bundesländer angesprochen. Inwiefern beeinflusst das neue PAG in Bayern die Polizeiaufgabengesetze anderer Bundesländer?

MK: Wir haben in Deutschland Musterpolizeigesetze, mit denen versucht wird, die Polizeigesetze der Länder zu vereinheitlichen. Was wir natürlich schon sehen, ist, dass Baden-Württemberg ein ähnlich strenges Polizeirecht formuliert hat und dass auch die anderen Bundesländer diese Kategorie mit der „drohenden Gefahr“ aufgreifen.

NMRZ: Befürworter*innen des PAG heben hervor, dass das neue PAG den Datenschutz verbessert. Wie würden Sie das bewerten?

MK: Das ist ein interessanter Einwand. Der Gesetzgeber musste das PAG an die europäische Datenschutzgrundverordnung anpassen, was ihm auch anscheinend nicht schlecht gelungen ist. Jedoch sind die anderen Verschärfungen des Gesetzes davon völlig unabhängig. Das sind letztlich zwei Paar Schuhe. Man hätte das PAG problemlos an die Datenschutzvorschriften anpassen können, sodass diese verbessert sind und den Rest so lassen wie er war.

NMRZ: Die Reformen des PAG sind vor allem durch die absolute Mehrheit der CSU im Landtag möglich gewesen. Sehen Sie, dass sich das PAG nach der Landtagswahl und dem möglichen Verlust der absoluten Mehrheit der CSU ändern könnte?

MK: Das kommt drauf an, mit wem die CSU dann koalieren wird. Zwar haben sich einzelne Parteien wie beispielsweise die Grünen deutlich dagegen ausgesprochen, aber bei den anderen Parteien – zum Beispiel bei der SPD – kann man es nicht so genau sagen. Das wird das politische Spiel zeigen, welchen Kompromiss man bereit ist, einzugehen. Da die Staatsregierung das neue PAG auch öffentlichkeitswirksam verteidigt hat, müsste schon sehr viel passieren, dass das auch in der Koalitionsregierung rückgängig gemacht wird. Aber natürlich kann das prinzipiell rückgängig gemacht werden. Das haben wir in der Vergangenheit auch schon öfter in anderen Bundesländern beobachtet.

NMRZ: Wenn Sie abschließend das neue PAG ganz knapp erklären müssten, wie würden Sie es herunterbrechen?

MK: Umstrittener Rechtsbegriff, Eingriff in die Freiheit, kein Mehr an Sicherheit.

NMRZ: Vielen Dank für das Interview!

 

Das Interview führte Felix Krauß.

 

Mehr Informationen zur Entwicklung des Polizeiaufgabengesetzes lassen sich hier nachlesen.

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