Zu Hintergründen und Folgen der Zerstörung der staatlichen Entwicklungsorganisation USAID
*Präsidentialer Sprachgebrauch für Länder, die nicht dem amerikanischen way of life entsprechen.
Wenige Monate nach seiner Amtseinführung 1961 gründete Präsident Kennedy eine neue Entwicklungsagentur mit dem hehren Ziel, den Kampf gegen „the common enemies of man: tyranny, poverty, disease, and war itself“ zu eröffnen, wie er in seiner Antrittsrede im Januar proklamiert hatte. Aus den auf verschiedene Ministerien verstreuten Programmen von Auslandshilfe formte seine Regierung die US Agency for International Development (USAID oder schlicht AID).
Weder der neue Name noch die neue Organisationsstruktur änderten etwas daran, dass die amerikanische Entwicklungs- und Nothilfe immer auch innen-, wirtschafts- und außenpolitischen Interessen der USA diente – was im Übrigen für so ziemlich jede Entwicklungshilfe gilt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD hat dies gerade unverblümter als gewohnt formuliert:
Unsere Entwicklungspolitik ist zugleich werte- und interessengeleitet. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte gehen einher mit unseren außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen.
Das interessegeleitete Sündenregister von AID ist nun allerdings sehr eindrücklich. AID trainierte in Guatemala Polizeikräfte für den brutalen Kampf gegen die Guerilla. In Vietnam unterstützte AID das „Phoenix Program“ zur Verfolgung von der Unterstützung des Vietcong verdächtigter Personen in Südvietnam. In Zaire half AID, den Diktator Mobutu an der Macht zu halten. In Nicaragua unterstützte sie AID die Contra, und in Chile finanzierte sie den Einzug der „Chicago Boys“ des ultraliberalen Ökonomen Milton Friedman, der Pinochets Regime stützte – die Liste ist um einiges länger als dieser Blog erlaubt.[1]
Wenn die AID also über all die Jahre ein nützliches Instrument amerikanischer Außenpolitik war und ihre Nothilfeprogramme eine wichtige Stütze des Exports überschüssiger amerikanischer Landwirtschaftsprodukte sind, warum dann der Furor, mit dem Trump und Musk diese Institution zerstörten? Es waren natürlich nicht diese Programme, sondern das, was AID auch machte: Unterstützung von Menschenrechts- und Basisorganisationen; Förderung von Demokratieentwicklung, Arbeit gegen Diskriminierung, und ja, gelegentlich sogar von Selbstbestimmung von Frauen und Transgenderpersonen über ihre Körper. Und nicht zuletzt war AID weltweit der größte private Akteur in Nothilfesituationen, sei es bei Hungersnöten, in Lagern von Geflüchteten, bei Naturkatastrophen oder beim Räumen von Minen nach Kriegen. Das erklärt, warum auch sehr viele politisch links denkende Menschen, auch Menschenrechtsverteidiger*innen über die Zerschlagung der USAID entsetzt sind.
Und es erklärt eben auch, warum Trump und Musk sich so schnell und so brutal an die Zerschlagung der Institution machten. Im Drehbuch für Trumps Machtübernahme, dem „Project 2025“ der rechtsextremen Heritage Foundation, findet sich ein langes Kapitel über die AID. Dort wird ein anderes Sündenregister aufgemacht als das oben erwähnte: Die AID habe Abtreibungen und gender-Radikalismus, Klima-Extremismus und Aktivitäten gegen angeblichen Rassismus unterstützt. Sie sei von einer Hilfsorganisation für Opfer von Naturkatastrophen zu einer Agentur für „chronische, menschengemachte Krisen“ geworden. Und nicht zuletzt habe sie ihre Arbeit von den nötigen marktwirtschaftlichen Reformen entkoppelt. Alles zusammen habe AID zu einer von der Linken gekaperten „Auslandshilfeindustrie“ gemacht, die amerikanischen Interessen widerspreche. Was die Autoren von Project 2025 allerdings nicht vorschlagen, ist die Zerschlagung von AID. Sie wollten eine andere AID, deren Idealbild sie so beschreiben:
Im Einklang mit den nationalen Sicherheitsinteressen der USA fördert die Agentur den amerikanischen Wohlstand durch Initiativen für die Erweiterung amerikanischer Exportmärkte; sie ermutigt Innovation; sie schafft ein ebenes Spielfeld für US-Unternehmen; und sie unterstützt stabilere, widerstandsfähige und demokratische Gesellschaften, die weniger geneigt sind, gegen US-Interessen zu handeln und eher Familie, Leben und Religionsfreiheit respektieren.

Auch da wäre nicht mehr viel von der AID der letzten Jahre geblieben. Doch als dann Elon Musk mit DOGE auf dem Shirt und Kettensäge in der Hand kam, bot sich AID als besonders geeignetes Objekt des Sparens und der Zerstörung einer vorgeblich woken Elite an. Ein halbes Jahr später sind die Folgen, jenseits der Entlassung tausender Mitarbeiter*innen, allmählich erkennbar. Und damit eben auch, was die AID, bei all ihrer Instrumentalisierung für die US-Interessen, für wichtige humanitäre Aufgaben erfüllt hat. Mehr als 350.000 Menschen starben bereits aufgrund der plötzlich gestoppten Hilfsprogramme, schätzten die UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte und für das Recht auf Nahrung in einer Erklärung vom 31. Juli 2025. Und internationale Hilfsorganisationen unterfüttern diese globalen Zahlen mit detaillierten Berichten aus zahlreichen Ländern.
Ein internationales Forschungsteam hat Ende Juni in der renommierten internationalen medizinischen Fachzeitschrift The Lancet eine Studie über die Folgen des Endes der (ganz überwiegend medizinischen) Hilfsprogramme von AID veröffentlicht. Die Studie versuchte, unter Auswertung von Daten aus 133 Ländern die Wirkung der dortigen AID-Hilfsprogramme auf die Sterberaten in den Jahren 2001 bis 2021 zu messen. Auf Basis dieser Daten erstellten sie dann in komplexen statistischen Verfahren eine Prognose für die Entwicklung in den nächsten fünf Jahren. Die Ergebnisse sind erschütternd: Wenn die Hilfsprogramme gestoppt und nicht von anderen Trägern ersetzt werden (was realistisch nicht zu erwarten ist), würden bis 2030 über 14 Millionen Kinder unter fünf Jahren mehr sterben als wenn die Programme, hauptsächlich gegen ansteckende und tropische Krankheiten, fortgeführt würden. Dazu kommen die Folgen auch für Erwachsene durch Unterernährung und Krankheiten verschiedenster Art, die das Lancet-Team nicht zu beziffern vermochte. Eine andere, ebenfalls für Lancet erarbeitete Studie beziffert die erwartete Zahl von zusätzlichen verhinderbaren Todesfällen in armen Ländern bis 2040 auf über 25 Millionen.
Auch wenn man die Unsicherheiten aller statistischer Methoden berücksichtigt, liefern diese Prognosen ein unerträgliches Bild von Inhumanität. Wie konnte es zu dieser vorhersehbaren Katastrophe kommen? Wie gesagt, sah das von seinen rechtsextremen Ratgebern aus dem Project 2025 vorgeschlagene Programm eine radikale Neuausrichtung der AID im Sinn des „America First“ vor. Einer an dieser Devise ausgerichteten Trump-Politik hätte dies gute Dienste leisten können. Die Initiative zur Zerschlagung kam mit dem Alleinherrscher über das DOGE, das Department of Government Efficiency. Und Musk hatte seine eigenen Gründe. Kaum im Amt, bezeichnete er AID als “a viper’s nest of radical-left marxists who hate America,” “a ball of worms,”und “a criminal organization,” die in großem Stil Geldwäsche betreibe. Verschiedene absurde Verschwörungslügen, etwa dass AID 50 Millionen Dollar für Kondome für Hamas ausgegeben habe, oder an der Entstehung des COVID-19 Virus und an angeblichen Wahlfälschungen beteiligt gewesen sei, lieferte Musk seinen X-Anhängern dazu. Logische Schlussfolgerung: “Time for it to die.”

In den heutigen USA sind solche Verschwörungslügen nicht mehr einfach beiseite zu schieben. Dennoch sind sie nur die krude Oberfläche einer tiefersitzenden Feindschaft gegen die Idee internationaler Zusammenarbeit und humanitärer Hilfe überhaupt, die die gesamte Trump-Regierung und ihr ideologisches Umfeld prägen. Wir Amerikaner “should love their family first, then our neighbors, then love our community, then our country, and only then consider the interests of the rest of the world,” erklärte Vizepräsident und katholischer Konvertit J.D. Vance unter Berufung auf Thomas von Aquin so unmissverständlich wie falsch, dass sich der Papst persönlich veranlasst sah, ihn theologisch zu korrigieren. Aber die Vance’sche Abstufung der Menschheit in solche, um die wir uns kümmern sollen und solche, auf die es nicht so ankommt, ist tief verankert nicht nur in der fundamentalistisch-religiösen Ideologie. „Der Satan predigt brüderliche Liebe, um die Menschen in Apostasie festzuhalten,“ definiert etwa der Prediger Carl McIntire das Evangelium.[2] Die religiöse Rechte ist ein einflussreicher Faktor in der Trumpregierung und der republikanischen Partei. Für die Ablehnung internationaler Hilfe ist aber vor allem die Wiederauferstehung des pseudowissenschaftlich grundierten Rassismus und der Eugenik maßgeblich.
Von einem weltweit aktiven Unternehmer, der auf Arbeitskräfte aus allen möglichen Ländern angewiesen ist, sollte man eine liberale Sicht auf Fragen der Migration und Bevölkerungsentwicklung erwarten. Eine Zeitlang war das auch Musks Haltung. Doch in den letzten Jahren übernahm er, wie der australische Politologe Henry Maher nachverfolgt hat, in rasantem Tempo verschwörungsfantastische und rechtsradikale Positionen, die er weltweit über X verbreitet. Dazu gehören der identitäre Glaube an den „Bevölkerungstausch“ durch Migration und durch unterschiedliche Geburtenraten, ebenso die Überzeugung, dass „Empathie mit Immigranten, die gegensätzliche und unnachgiebige religiöse Überzeugungen haben, zum zivilisatorischen Selbstmord führen.“
Mit diesen Ansichten bewegt sich Musk in einem breiten Strom rechtsradikaler Ideologen, die sich um zahlreiche Thinktanks, aber inzwischen auch in Regierung und Parlament bewegen. Extrem libertäre Begründungen des Kapitalismus sind dort kein Widerspruch zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Einen gemeinsamen Bodensatz finden diese Ideologien oft in der angeblich genetisch begründbaren Notwendigkeit menschlicher Ungleichheit. Die Bibel dieses neuen Glaubens ist ein schon in den Siebzigerjahren erschienener Aufsatz des Biologen Garrett Hardin mit dem unmissverständlichen Titel „Lifeboat Ethics: the Case Against Helping the Poor“. Er wandte sich gegen die damals von der aufkeimenden ökologischen Bewegung geprägte Metapher vom „Raumschiff Erde“:
But does everyone on earth have an equal right to an equal share of its resources? The spaceship metaphor can be dangerous when used by misguided idealists to justify suicidal policies for sharing our resources through uncontrolled immigration and foreign aid. In their enthusiastic but unrealistic generosity, they confuse the ethics of a spaceship with those of a lifeboat.
[…]
Metaphorically each rich nation can be seen as a lifeboat full of comparatively rich people. In the ocean outside each lifeboat swim the poor of the world, who would like to get in, or at least to share some of the wealth. What should the lifeboat passengers do?
Die Antwort ist für die Musks, Vances und Trumps heute die gleiche wie damals für Gardin: Nichts. Jedenfalls keine Hilfe für die Armen da draußen im Ozean oder in ihren „shithole countries“. Sie kann und darf nicht unsere Antwort sein. Was aber kann/muss getan werden, um diese Katastrophe aufzuhalten? Gerne schauen wir uns eure Ideen in der Kommentarspalte an.
[1] Für eine Übersicht s. William Blum: Killing Hope – U.S. Military and CIA Interventions Since World War II (London 2003)
[2] Zitiert nach Annika Brockschmidt: Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet, Hamburg (Rowohlt) 2021, S. 118