– von Jakob Nehls
Mit der Klub-Weltmeisterschaft findet in diesen Tagen in den USA ein weiteres umstrittenes „Herzensprojekt“ des FIFA-Präsidenten Gianni Infantino statt. 32 Teams, zwölf Stadien und ein erwarteter Umsatz von zwei Milliarden US-Dollar, von dem rund die Hälfte an vorrangig europäische Spitzenteams ausgeschüttet wird – die nackten Zahlen unterstreichen den gigantischen Anspruch dieses neu aufgelegten Mega-Formats. In den vergangenen Jahren kreisten die Debatten um die menschenrechtliche Verantwortung des Weltmännerfußballs zurecht um die WM in Katar und zuletzt die Vergabe an Saudi-Arabien. Mit der Austragung der Klub-WM in Trumps USA sollte die Debatte in die nächste Runde gehen und über die Golfstaaten hinausblicken.
Katar und Saudi-Arabien – eine Bilanz der Debatte der letzten Jahre
Ein kurzer Rückblick: Kurz vor der Katar-WM sprach sich der heutige DFB-Elf-Kapitän Joshua Kimmich gegen einen von zahlreichen Fangruppen geforderten Boykott des umstrittenen Turniers aus – man sei „einfach 12 Jahre zu spät dran“. Die bekannten menschenrechtlichen Missstände und katastrophalen Arbeitsbedingungen der Arbeitsmigranten hätte man vor der Vergabe berücksichtigen müssen. Diese Argumentation ignoriert natürlich die Tatsache, dass bereits vor der WM-Vergabe zahlreiche Organisationen auf die problematischen Zustände vor Ort hingewiesen haben, wie zum Beispiel Amnesty International, Human Rights Watch, International Trade Union Confederation und Freedom House. Man wollte ihnen nur nicht zuhören.
Auch der DFB rechtfertigte die Teilnahme seiner Auswahl mit dem Einwand, man wolle vor Ort Einfluss nehmen und Dinge so zum Besseren wenden. Und so fand das Turnier letztlich in einem Land statt, in dem etwa Homosexualität unter Strafe steht. An der Situation von queeren Katarer*innen änderte auch die leidige Diskussion um die „One Love“-Binde und die darauffolgende Protestaktion des deutschen Teams nichts. Ganz grundsätzlich lässt sich knapp zweieinhalb Jahre später konstatieren, dass die Hingehen-und-Verbessern-Strategie weitgehend gescheitert ist: Die erhoffte menschenrechtliche Kehrtwende ist nicht eingetreten.
Dass aus der Katar-WM keine menschenrechtlichen Lehren gezogen wurden und die von der FIFA selbst aufgestellten Menschenrechtsleitlinien bedeutungslos sind, zeigt die Vergabe der WM 2034 an Katars Nachbarland Saudi-Arabien – erneut ein Land, in dem Homosexualität mit Peitschenhieben oder gar dem Tod bestraft wird und dessen Kronprinz mutmaßlich die brutale Zerstückelung des kritischen Journalisten Khashoggi genehmigte. Es ist anzunehmen, dass die Joshua Kimmichs von 2034 vor der WM-Abreise in Pressemikrofone sagen werden, dass ein Boykott viele Jahre zu spät käme – man hätte sich früher damit befassen sollen. Recht hätten sie, und dieses “früher” ist jetzt.
Die Rolle der FIFA in einer neuen Weltlage
Dabei darf allerdings nicht aus dem Blickfeld geraten, dass die Welt sich aktuell im Umbruch befindet: Sicher geglaubte Allianzen zerbrechen, demokratische Institutionen werden angegriffen, rechtsextreme Parteien gewinnen an Macht, libertäre Milliardäre kaufen sich politischen Einfluss, und Konzerne sind nicht selten mächtiger als Staaten. Während viele Akteure straucheln und in diesem Chaos um ihre eigene Rolle ringen, hat der organisierte Weltfußball seine eigene längst gefunden: Er steht Seite an Seite mit autoritären Regimen und illiberalen Populisten, die Freiheit und Menschenrechte bekämpfen und entsolidarisierte Ellbogengesellschaften anstreben.
Wohl niemand repräsentiert diese Rolle so sinnbildlich wie der mächtige FIFA-Präsident Gianni Infantino, der von Katar so begeistert ist, dass er seinen Wohnsitz zwischenzeitlich sogar dorthin verlegte. Er, der enge Beziehungen zu autoritären Machthabern pflegt, führt „seine“ FIFA ebenfalls autoritär. Er war es, der die WM 2034 mit durchschaubaren Tricks nach Saudi-Arabien holte und dabei nebenbei ein absurdes Super-Turnier für das Jahr 2030 schuf, das in Marokko, Portugal, Uruguay, Argentinien und Paraguay ausgetragen werden soll.
Verwertung statt Werte – die Trumpisierung der FIFA
In seinem Stil erinnert er an einen, der wie kein anderer für den aktuellen Umbruch der Weltordnung steht: Donald Trump, US-Präsident und damit Gastgeber der derzeit laufenden Klub-WM und Ko-Gastgeber der WM 2026. Seine Nähe zu Trump demonstriert Infantino öffentlich. Er besuchte dessen Amtseinführung, war zu Gast in Trumps Anwesen Mar-a-Lago – und gerät ins Schwärmen, wenn Trump ihn beim Namen nennt. Die beiden inszenieren eine Männerfreundschaft, die lediglich von Trumps restriktiven Einreiseregeln auf die Probe gestellt wird: Berechtigterweise fürchtet Infantino Anreiseschwierigkeiten internationaler Fans.
Dass aber Trump gerade einen systematischen Abbau von Menschenrechten betreibt, indem er etwa die Rechte von Migrant*innen beschneidet, Gesundheits-, Umwelt- und Sozialstandards abbaut sowie den Rechtsstaat aushöhlt, spielt für die FIFA keine Rolle. Im Gegenteil, der Politikansatz Trumps gleicht dem der FIFA unter Gianni Infantino: Verwertung statt Werte. Ziel ist allein der Deal – möglichst gewinnbringend für das eigene Klientel. Moralische Prinzipien stören nicht, sie sind schlicht egal. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte brechen als relevante Kategorien gänzlich weg. So wie Trump in der Ukrainepolitik weniger an Frieden als an profitablen Rohstoffabkommen interessiert ist, geht es Infantino bei der WM in Saudi-Arabien um Milliardendeals und Marktanteile – nicht um den Fußball oder gar um Menschenrechte.
Debatte ausweiten, Unmut bündeln, Verantwortung einfordern
Die Debatte um Menschenrechte im Weltfußball sollte sich daher nicht auf die Golfstaaten verengen – sie muss grundsätzlicher werden und die politischen Ökonomien des globalen Fußballs ins Auge fassen. Dazu gehört auch eine kritische Auseinandersetzung mit den aktuellen weltpolitischen Verschiebungen und einer zunehmend interessengeleiteten, moralfreien Machtpolitik, in die der Weltfußball verstrickt ist.
Die FIFA agiert dabei als Knotenpunkt eines weit verzweigten Netzwerks aus ökonomischen und politischen Interessen. Einzelne Turniere lassen sich nicht isoliert voneinander betrachten: So konnte die Klub-WM in den USA erst durch das milliardenschwere Sponsoring des saudischen Staatsfonds finanziell abgesichert werden. Wer diese Strukturen angehen will, muss den Blick daher aufs große Ganze richten.
Als Chance begriffen werden sollte dabei der gesellschaftliche Unmut, der sich – zumindest in Deutschland – bereits während der WM in Katar entlud. Damals sprachen sich fast zwei Drittel der Deutschen gegen eine Teilnahme der Nationalelf aus – selbst unter Fußballinteressierten war die Zustimmung zur Teilnahme kaum höher. Die Einschaltquoten blieben niedrig, die Ablehnung war greifbar. Darauf lässt sich aufbauen. So sollten auch Spieler in die Pflicht genommen werden: Man würde ihnen das unbeschwerte Fußballspielen von Herzen gönnen – doch die FIFA hat den Sport derart politisiert, dass sie sich dieser Realität nicht entziehen können. Wer auf dem Platz steht, steht auch in der Öffentlichkeit – und trägt damit Mitverantwortung.
Der Fußballsport lebt von jenen Werten, die Infantino und seine Funktionärsriege aushöhlen. Malcolm Bidali, ehemaliger Arbeitsmigrant in Katar und Träger des Nürnberger Menschenrechtspreises, fand dafür bei der Verleihung 2023 klare Worte: „They failed football“ – „Sie haben den Fußball verraten.“ Für die Zukunft gilt es, Plattformen zu schaffen, um Unmut zu bündeln und Druck zu erzeugen. Es gibt zahlreiche Initiativen, die den Fußball menschenrechtsorientiert von unten denken – aus der Perspektive der Fans, der Aktiven, der Engagierten. Doch sie brauchen mehr Raum, mehr Bündnisse, mehr Kraft, um sich gegen autoritäre Logiken zu behaupten.
Dazu gehört auch ein Schulterschluss zwischen politisch engagierten Fußballfans, zivilgesellschaftlichen Gruppen und Menschenrechtler*innen. Nur gemeinsam lassen sich politische Potenziale ausschöpfen. Dabei kann auf Fanproteste, investigative Recherchen und bestehende Kampagnen aufgebaut werden. Die Grundsteine sind gelegt – jetzt braucht es Breite, Koordination und den klaren Willen, den Fußball nicht denen zu überlassen, die ihn missbrauchen.
Jakob Nehls studierte Geographie und Menschenrechtspolitik in Göttingen und London. Aktuell promoviert er an der FAU Erlangen-Nürnberg im Internationalen Doktorandenprogramm „Business and Human Rights: Governance Challenges in a Complex World“. Er war und ist für verschiedene Organisationen und Initiativen im Bereich der Menschenrechte tätig – unter anderem für Amnesty International und die SOS-Kinderdörfer.