Asylpolitik der Union: Rechtsbruch im Namen der Sicherheit?

by Pauline B. –

Die Zahl neuer Asylbewerber*innen in Deutschland ist zuletzt zurückgegangen. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden im Jahr 2024 rund 237.000 Erstanträge gestellt – das entspricht einem Rückgang von fast 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Hauptursache dafür sei nach Angaben des Chefs des BAMF die Schließung der Flüchtlingsroute nach Ungarn durch Serbien im November 2023. Doch obwohl die Zahlen sinken, ist das Thema der Asyl- und Migrationspolitik so aufgeladen wie lange nicht mehr. Der Ton hat sich unter anderem durch die Wahlerfolge der AFD bei der vergangenen Bundestagswahl noch einmal verschärft. Die Union reagiert in der aktuellen Bundesregierung mit einer restriktiven Asylpolitik unter dem Vorwand der inneren Sicherheit, aber zu welchem Preis?

Aktuelle Asylpolitik: Zurückweisung an deutschen Außengrenzen und Aussetzung des Familiennachzugs

Seit dem 7. Mai 2025 gilt in Deutschland eine verschärfte Grenzpolitik. Nach Anweisung Alexander Dobrindts, aktueller Bundesinnenminister, wurden Polizeipräsenz und Grenzkontrollen verstärkt, um Asylsuchende, mit Ausnahme sogenannter vulnerabler Gruppen, bereits an den Außengrenzen abzuweisen. Die Maßnahme soll darauf abzielen, die Einreise aus sogenannten sicheren Drittstaaten zu verhindern, etwa aus Polen oder Tschechien. Doch genau dieses Vorgehen ist juristisch höchst umstritten.

Außerdem wurde Ende Juni 2025 der Familiennachzug für subsidiär geschützte Geflüchtete für 2 Jahre ausgesetzt. Begründung der Union: Man wolle „illegale Migration“ eindämmen. Doch das ist faktisch falsch. Der Familiennachzug ist vielmehr ein streng kontrolliertes Instrument der regulären Migration. Seit 2018 durften monatlich maximal 1.000 Menschen nachziehen, darunter insbesondere Kinder, Ehepartner oder Eltern minderjähriger Geflüchteter. Von einer unkontrollierten Migration kann hier keine Rede sein.

Die Begründung der Union

Innenminister Dobrindt rechtfertigt die Zurückweisungen mit §18 des deutschen Asylgesetzes. Demnach darf die Einreise verweigert werden, wenn Migrant*innen aus einem sicheren Drittstaat, sprich aus allen Nachbarstaaten Deutschlands, einreisen. Da deutsches Recht jedoch nur dann greift, wenn das eigentlich vorrangige EU-Recht nicht mehr zur Anwendung kommt, stützt er sich zusätzlich auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Dieser erlaubt es Mitgliedsstaaten aus Gründen der öffentlichen Sicherheit europäisches Recht auszusetzen. Doch dieser Artikel greift nur unter strengen Bedingungen, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit in dem Mitgliedsstaat in Gefahr sei. Eine solche Gefahr wurde im Fall Dobrindts weder belegt noch überzeugend dargestellt.

Juristische und gesellschaftliche Kritik

Anhand eines konkreten Falls vor dem Verwaltungsgericht Berlin wurde besonders deutlich, dass die Begründung der Union für die Zurückweisung an den Grenzen nicht nur rechtlich fragwürdig ist, sondern in der Praxis auch gegen geltendes EU-Recht verstößt:

Am 9. Mai 2025 wurden drei somalische Geflüchtete, die mit dem Zug aus Polen nach Deutschland reisten, von der Bundespolizei am Bahnhof Frankfurt (Oder) kontrolliert. Nachdem sie ein Asylgesuch geäußert hatten, wurden sie noch am selben Tag nach Polen zurückgewiesen. Die Begründung: sie seien aus einem „sicheren Drittstaat“ eingereist, weshalb eine Einreise nach deutschem Recht (§ 18 AsylG) verweigert werden könne. 

Das Verwaltungsgericht Berlin stellte in seinem Urteil unmissverständlich klar: Eine solche Zurückweisung ist rechtswidrig, solange das sogenannte Dublin-Verfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Denn: Die Dublin-III-Verordnung verpflichtet alle EU-Mitgliedsstaaten, bei Asylgesuchen zunächst zu prüfen, welcher Mitgliedsstaat für das Verfahren zuständig ist. Eine direkte Zurückweisung ohne Durchführung dieses Verfahrens ist nicht zulässig.

Auch Dobrindts Versuch, sich auf Artikel 72 des AEUV zu berufen, wurde vom Gericht verworfen. Dieser Artikel erlaubt es Mitgliedsstaaten zwar in Ausnahmefällen, europäisches Recht zum Schutz der Öffentlichen Ordnung auszusetzen. Doch das Gericht sah keinerlei tragfähige Begründung für eine solche Gefährdung.

Der entscheidende Punkt: Bei dem Berliner Urteil handelt es sich wahrscheinlich nicht um einen juristischen Ausnahmefall, da u.a. NGO-Berichte ähnliche Fälle entlang der Grenzen zu Polen, Tschechien und Österreich dokumentieren. Die Berliner Entscheidung betrifft somit keinen ungewöhnlichen Fall, sondern wahrscheinlich eine systematische Verletzung geltenden EU-Rechts.

Trotz der klaren Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts hält Dobrindt an seinem Kurs fest. Er stuft das Urteil politisch als Einzelfall ein und kündigt an, künftig detailliertere Begründungen für seinen harten Kurs nachzuliefern. Warum nicht gleich entsprechend begründet wurde, lässt er dagegen offen. Ein Hauptsachverfahren hält er für möglich, obwohl es angesichts der bereits unanfechtbaren Beschlüsse und der erfüllten Klageziele der Betroffenen unwahrscheinlich ist. Dies lässt Fragen am rechtsstaatlichen Verständnis des Ministers aufkommen.

Fragliche Umsetzbarkeit der Migrationspolitik Dobrindts

Außerdem stellt sich die Frage, wie tragfähig die Maßnahmen des Innenministeriums unter CDU/CSU-Führung in der Realität sind.

Zum einen stehen die realen Zahlen an asylsuchenden Menschen, die an der Grenze abgewiesen werden, in keinem Verhältnis zu dem horrenden Aufwand, welchen die Bundespolizei täglich leistet. Die Gewerkschaft der Bundespolizei hatte davor bereits vor dem hohen Personalaufwand und der damit verbundenen Überlastung der Einsatzkräfte gewarnt. Hier stellt sich die Frage, ob wir als Gesellschaft die begrenzten Ressourcen unserer ohnehin häufig überarbeiteten Sicherheitsbehörden nicht zielorientierter und sinnbringender einsetzen sollten – etwa zur Bekämpfung von Extremismus, organisierter Kriminalität oder Geldwäsche. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die aktuellen Grenzkontrollen tatsächlich zu einem Mehr an Sicherheit führen, oder ob die Bundespolizei stattdessen vor allem mit der Zurückweisung überwiegend nicht-krimineller Schutzsuchender beschäftigt ist, wodurch weniger Kräfte für die tatsächliche Gefahrenabwehr zur Verfügung stehen.

Zum anderen begann Polen als Reaktion auf die verschärfte Grenzpolitik Deutschlands am 07. Juli 2025 die eigenen Grenzen zu kontrollieren. Dies hat negative Auswirkungen auf Pendler und Lieferketten und könnte der deutschen Wirtschaft schaden.   

Diese Faktoren deuten an, dass die Union mit ihrer Politik ihre Handlungsfähigkeit um jeden Preis unter Beweis stellen möchte, dies aber unter anderem auf Kosten notbedürftiger Menschen und der Wirtschaft tut. Stattdessen bräuchte es langfristigere Lösungsansätze: Bekämpfung der Fluchtursachen und Unterstützung der Kommunen.


Pauline B. ist Praktikantin im Nürnberger Menschenrechtszentrum und angehende Jurastudentin. Sie interessiert sich für Menschenrechtsarbeit und möchte später beruflich in diesem Bereich tätig sein.

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