ACAB: taz II

Am Montag, den 15.6. war eine Kolumne der Autorin Hengameh Yaghoobifarah in der Tageszeitung „taz“ eher marginal im Teil taz-zwei der Zeitung erschienen. Es ging darum, wo Polizisten arbeiten könnten, wenn die Polizei abgeschafft würde, der Kapitalismus aber nicht. Am Ende stand die Schlussfolgerung, dass Polizeibeamte am besten auf einer „Mülldeponie“ aufgehoben seien, und zwar als Müll, nicht als Müllarbeiter. Text und Autorin stehen inzwischen vor allem durch die polemische Verbindung mit den Stuttgarter Krawallen im Fokus der Öffentlichkeit.

Mein Blogartikel „danke, taz“ zum Polizei-Müll-Vergleich konnte als ’neben der Sache‘ empfunden werden. Was wäre die eigentliche Sache?

  1. Die deutsche Polizei ist keine diskriminierte Minderheit, sie übt die Staatsgewalt aus und findet sich nicht in einer Opferrolle. Dennoch kann es – das war mein Motiv – menschenrechtlich nicht egal sein, ob Gesellschaft und Demokratie in Deutschland durch Hetze gegen Polizei insgesamt weiter gespalten werden. Polizistinnen und Polizisten sind zudem mehr als nur Funktionsträger des „Repressionsapparates“; sie sind auch Teil der Bevölkerung; sie empfinden sich als Prügelknaben und bringen diese Stimmung mit „nach Hause“.
  2. Ich musss weiter nachtragen: nicht zuerst der Kommentar in der taz, sondern rassistische Verhaltensweisen und mentale Strukturen von Polizisten sind das Problem. Und auch die beleidigten Prügelknabe-Empfindungen können leicht in Selbstmitleid und dann in Aggressionen übergehen.
  3. In der taz selbst gibt es inzwischen eine Auseinandersetzung um Meinungsfreiheit und Satire, aus der gelernt werden kann. „taz“-Chefredakteurin Barbara Junge betonte dabei: „Satire darf fast alles – sogar in ihrer Wortwahl danebengreifen. Aber Menschen, egal welcher Berufsgruppe, als Müll zu bezeichnen, widerspricht fundamental dem Selbstverständnis der ‚taz‘, die sich einer menschlicheren Gesellschaft verschrieben hat.“… „Wir streiten darum, wie stark der subjektive Blick, wie stark Diskriminierungserfahrung den Journalismus prägen soll oder darf. Identität, Repräsentation und Antidiskriminierung haben in den gesellschaftlichen Debatten inzwischen einen ganz anderen Stellenwert“… „Eine Kolumne, so satirisch sie auch gemeint gewesen sein mag, die so verstanden werden kann, als seien Polizisten nichts als Abfall, ist daneben gegangen. Das tut mir leid.“

In dieser Debatte gibt es zwei weitere Stichworte, die für das Verstehen von Menschenrechten und das Selbstverständnis unserer Bildungsarbeit auch zukünftig wichtig sein werden:

„Ist das Satire und darf Satire alles?“

Mag der Text auch als satirische Frage begonnen haben, er endet nicht als Satire. Dazu ist der Schluss zu brutal und grob. Im Übrigen ist auch keiner der gemeinten linken Intellektuellen und Künstler  auf die Idee gekommen, den Ratten- und Schmeißfliegen-Vergleich des Franz-Josef Strauß (1978) als Satire zu verstehen. Der Kommentar der Politischen Korrespondentin- Bettina Gaus lässt sich auf das Satire-Thema erst gar nicht ein: „Journalismus, wie seriös oder unseriös auch immer, hat stets ein Ziel: von einem möglichst breiten Teil des Publikums verstanden zu werden. Es geht in unserem Beruf nicht um Textexegese, und wir befinden uns nicht in einem germanistischen Proseminar. Sie wusste, was sie schrieb. Deshalb fasse ich zusammen: Polizeibeamte wurden in dem Manuskript, um das es hier geht, mit Abfall gleichgesetzt. Ich denke, die Autorin wollte genau das sagen. Es wäre herablassend, ihr zu unterstellen, dass sie ahnungslos über ein Feld von Tretminen tanzte.“
Auch taz-Mitbegründer Johannes Eisenberg, zugleich Rechtsanwalt von Hengameh Yaghoobifarah, nennt den Text „satirisch geformt“, ohne das als juristisches Verteidigungsargument stark zu machen. Bemerkenswert an seinem Artikel unter der Überschrift „Wieso soll das verboten sein?“ ist die Formulierung, mit der er den entscheidenden Unterschied zwischen Menschen und Müll, den Hengameh Yaghoobifarah ja eigentlich betont, eliminiert: „Allein auf einer Müllhalde geht keine Macht mehr von den autoritären Persönlichkeiten …aus.“
Eröffnet hatte die Debatte Stefan Reinicke vom taz-Parlamentsbüro: „Der Text ist keine Satire. Damit macht man sich einen schlanken Fuß. Denn Satire darf ja irgendwie alles. Auch das stimmt nicht. In der taz ist die Liste der zu vermeidenden Worte und von satirischen Bemerkungen auszusparenden Gruppen im Laufe der Jahre länger geworden.“

„Identitätspolitik – ein Totschlagargument?“

In seinem furiosen, wütenden und doch auch sehr genauen Artikel spricht Stefan Reinicke einen zentralen Punkt an: „Die Sprecherposition aber zu essentialisieren und zum entscheidenen Dreh-und Angelpunkt zu machen macht den Dialog fast unmöglich. Wird die Sprecherposition als finales Argument benutzt (Betroffenheit versus Nichtbetroffenheit), schrumpfen Argumente zur B-Note. Das ist die Persiflage jedes aufklärerischen Diskurses. Wenn nur Betroffene legitimiert sind zu reden, zerfällt die Öffentlichkeit. Der Austausch und Abgleich von Interessen und Symbolen mit allgemein anerkannten Regeln schützt die Gesellschaft vor der Barbarei, vor dem puren Recht des Stärkeren. Die Hybris, diskursive Regeln ignorieren zu dürfen, gedeiht offenbar auf dem Humus des Bewusstseins, Betroffene zu repräsentieren, recht gut. Aber dieses Recht hat niemand in der taz. Kein Opferstatus rechtfertigt Kollektivherabwürdigungen. Polemik? Gerne. Menschenfeindliche Metaphorik? Nein. Es ist befremdlich, dass einige in der taz diese zivile Selbstverständlichkeit für eine Zumutung halten.“

Das konnte Saskia Hödl, Leiterin des Gesellschafts- und Medienressort der taz (taz II), in der der Kommentar erschien, so nicht stehen lassen. Sie verteidigt „ihre“ Autorin mit einer weit ausholenden Argumentation. In der Kritik ihres Kollege Reinicke sieht sie das „Totschlagargument Identitätspolitik“. „Identität, Repräsentation und Antidiskriminierung“ hatte oben schon Barbara Junge mit einem hohen Stellenwert für den Journalismus versehen. Und Hödl unterstreicht: „Es heißt für viele, in Themengebieten zu arbeiten, wo es wenig Prestige, aber umso mehr Hate-Speech gibt. Und für manche heißt es, sich den diskursiven Basisregeln, die andere aufgestellt haben, zu widersetzen. Denn Gesellschaften haben sich noch nie geändert, weil man so lieb gefragt hat. Für manche Veränderungen muss man auf die Straße gehen, sich Plätze in den mehrheitlich weißen Redaktionen erkämpfen, mit spitzer Feder schreiben oder, wie es auch in der taz 1980 für die Frauenquote getan wurde, zu ganz anderen Mitteln greifen und sich entblößen.“ Das klingt nicht unplausibel; als Verteidigung der Kolumne heißt das aber dann wohl, dass Hassrede schon mal als Kampfmittel erlaubt ist und dass sich nicht um diskursive Basisregeln kümmern muss, wer sich moralisch und historisch im Recht fühlt.

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