Abschieben in die Türkei?

Deutsch-türkische Flaggen

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Bundesaußenminister, Ihre Bundesjustizministerin und Ihren Bayerischen Innenminister.

Die Nürnberger Ärztin Banu Büyükavci, die an der Psychiatrie des Nürnberger Klinikums arbeitet und ihr Ehemann Sinan Aydin, ebenfalls Arzt, sollen, so berichtet es die Presse, in die Türkei abgeschoben werden. Dr. Büyükavci arbeitet seit 2004 als Ärztin in Deutschland, seit etlichen Jahren als Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Nürnberg. In ihrer Gewerkschaft ver.di ist sie in etlichen Funktionen ehrenamtlich tätig.

Warum also soll die auch unter ihren KollegInnen beliebte Ärztin ausgewiesen werden?

Der Hintergrund liegt in dem vier Jahre mit 234 Hauptverhandlungstagen dauernden Prozess am Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München, das am 28. Juli 2020 die Urteile gegen 10 Personen verkündete, denen die Mitgliedschaft in der TKP/ML (Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) bzw. die Bildung des Auslandskomitees dieser Partei vorgeworfen wird. Konkret wurde den Angeklagten das Sammeln von Geldspenden und Abhalten von Versammlungen der Partei zur Last gelegt. Gemäß dem Urteil haben sie durch diese Unterstützung der kleinen kommunistischen Splitterpartei TKP/ML eine kriminelle oder terroristische Vereinigung im Ausland unterstützt und damit gegen § 129b des deutschen Strafgesetzbuchs verstoßen. Die vom OLG verhängten Haftstrafen bewegen sich zwischen 6 Jahren und 6 Monaten und 2 Jahren und 9 Monaten. Banu Büyükavci und Sinan Aydin wurden zu je dreieinhalb Jahren Haft verurteilt und auf freien Fuß gesetzt. Banu Büyükavci kehrte daraufhin unverzüglich an ihren Arbeitsplatz im Klinikum zurück.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da die Verteidigung Revision eingelegt hat. Bisher liegt noch nicht einmal der Urteilstext, also die Begründung der hohen Haftstrafen vor. Und trotzdem soll allein aufgrund der verhängten Haftstrafen die Ausweisung betrieben werden?

Alle in München Angeklagten leugnen nicht, mit der Partei TKP/ML zu sympathisieren. „Ich bin Kommunistin. Ich glaube an die Revolution, an eine bessere Welt,“ erklärte Banu Büyükavci in einem Interview nach dem Prozess. Für viele türkische KommunistInnen war ihre Zugehörigkeit oder Unterstützung einer linken Partei in der Türkei und die dadurch erlittene Verfolgung einst der Grund, dass ihnen Asyl in Deutschland gewährt wurde. Da fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, was KommunistInnen erwartet, wenn sie in die Türkei abgeschoben werden sollten.

Der deutsche Journalist mit türkischen Wurzeln Denis Yücel (zuletzt Reporter bei Die Welt) ist kein Kommunist. Gleichwohl geriet er in die Fänge des türkischen Repressionsapparats, auch ihm wurde Unterstützung einer Terrororganisation vorgeworfen. Über ein Jahr wurde er unter Bedingungen gefangen gehalten, die er als Folter beschreibt. Auch internationale Menschenrechtsorganisationen kommen zu dem Schluss, dass Oppositionelle in der Türkei willkürlich verfolgt und inhaftiert werden und Folter häufig ist. Auch Fälle von Verschwundenen werden berichtet.

Die deutsche Politik ist nicht durchgehend blind gegenüber diesen Zuständen. Selektiv nimmt sie Stellung, wie im Fall Yücel oder gegenwärtig für den Unternehmer und Mäzen Osman Kavala. Der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Michael Brand (CDU), verlangte im Zusammenhang mit der Verfolgung von Yücel eine Untersuchung der Vereinten Nationen über die Zustände in türkischen Gefängnissen, er sprach von „offenkundig systemischer Folter“. Eine umfassende Untersuchung neuen Datums über die Menschenrechtssituation in der Türkei gibt es freilich von der UNO ebenso wenig wie von der Bundesregierung. Dem Anti-Folter-Ausschuss der UNO (CAT) liegt allerdings seit Anfang 2020 eine förmliche Aufforderung mehrerer internationaler Menschenrechtsorganisationen vor, eine solche Untersuchung durchzuführen. In Deutschland berichtet die Presse, dass nach Einschätzung des Auswärtigen Amts die türkische Justiz „in weiten Teilen dysfunktional“ und die Medienlandschaft „nahezu vollständig gleichgeschaltet“ sei. Doch leider ist der Bericht unter Verschluss.

Unter Verschluss scheint auch die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für Opfer der türkischen Justiz. Ein Urteil des EGMR, das die Freilassung des ohne ausreichende Begründung in Haft gehaltenen Osman Kavala verfügte, ignorierte die türkische Justiz. Das Internationale Abkommen gegen das gewaltsame Verschwindenlassen hat die Türkei ohnehin nicht unterschrieben.

In diesen Staat also wollen die Nürnberger bzw. bayerischen Behörden tatsächlich ausweisen?

Zwei internationale Abkommen, die Deutschland ratifiziert hat, und für deren Beachtung es damit verantwortlich ist, sprechen hier eine deutliche Sprache. Die Anti-Folter-Konvention der UNO, die sowohl Deutschland als auch die Türkei ratifiziert haben, schreibt in ihrem Artikel 3:

1. Ein Vertragsstaat darf eine Person nicht in einen anderen Staat ausweisen, abschieben oder an diesen ausliefern, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie dort Gefahr liefe, gefoltert zu werden.

2. Bei der Feststellung, ob solche Gründe vorliegen, berücksichtigen die zuständigen Behörden alle maßgeblichen Erwägungen einschließlich des Umstands, dass in dem betreffenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht.

Artikel 16 des erwähnten Abkommens gegen das Verschwindenlassen, das Deutschland ebenfalls ratifiziert hat, übernimmt diese Bestimmung textgleich.

Die deutschen Behörden sind demnach verpflichtet, vor einer geplanten Ausweisung die Menschenrechtssituation in der Türkei sorgfältig zu überprüfen. Und sollten sie zu dem gut dokumentierbaren Schluss kommen, dass dort, in den Worten der Konvention, „eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht“, dürfen sie nicht abschieben oder ausliefern.

Eine Auslieferung setzt die Beendigung des Aufenthaltsrechts der Betroffenen voraus. Nach § 53 des Aufenthaltsgesetzes können Ausländer ausgewiesen werden, wenn deren „Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet…“

Gefährdet also die weitere, in all den Jahren nie beanstandete Arbeit der beiden Ärzte in Nürnberg die freiheitliche demokratische Grundordnung Deutschlands? Oder welches könnten die Interessen der BRD sein, die durch die Anwesenheit von Banu Büyükavci und Sinan Aydin in ihrer Nürnberger Heimat in Gefahr sind? Schwierige Fragen, die an dieser Stelle nicht mehr beantwortet werden können. Auf die Hintergründe, die überhaupt zu einem solchen Prozess führen konnten, soll es in einem folgenden Blogartikel gehen.

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