Recht auf Stadt – Recht auf Freiraum?

by Theresa Braun –

Gibt es ein Recht auf Stadt? Im Idealfall, ja. In der Realität nicht. Bei knappem Wohnraum fallen Orte, die kein Geld bringen, als erstes weg. Dazu zählen oft auch Freiräume, in denen Subkulturen gelebt werden. Die Stadtpolitik richtet sich in erster Linie nach den meist leeren Haushaltskassen. Agiert sie unternehmerisch und schafft Anreize für eine lebenswerte Stadt, sorgt das für mehr Zuzug. Allerdings sind dabei Unternehmen, Wohlhabende und Touristen meist profitabler als die Durchschnittsbürger*in. Während also immer mehr nutzbarer Raum an Immobilienunternehmen vergeben wird, werden selbstorganisierte Freiräume und alternative Kulturstandorte aufgegeben. Da sie rein kommerziell gesehen, wenig wert für Städte besitzen, gelten sie in der Regel nicht als erhaltens- und fördernswert. Dabei wird übersehen, welchen Mehrwert sie für die Gesellschaft eigentlich besitzen. Für jeden zugängliche Kulturangebote sind eine Möglichkeit, auch sozial schwächere Gruppen zu integrieren. Und nicht umsonst gilt das Recht auf soziale und kulturelle Teilhabe als ein Menschenrecht. Gemeinsamkeiten, die in Kultur Ausdruck finden, haben einen identitätsstiftenden Wert für Gruppen.

Zu beobachten ist diese Entwicklung auch in Nürnberg. Besonders im Winter fällt dies auf, wenn es draußen kalt wird und ein fehlendes Wohnzimmer zuhause einen Alternativen suchen lässt. Ich sitze im Projekt 31, einer der wenigen Orte hier, an dem man zwangsfrei miteinander Zeit verbringen kann, ohne zu konsumieren. Gegründet wurde das Projekt von dem Verein Alternative Kultur Nürnberg e.V. und befindet sich im zentralen Stadtviertel Steinbühl.

Zu Besuch im Projekt 31

Bereits der Innenhof hinterlässt Eindruck: viele Farben, viel grün, viel Kunst und viele politische Statements. Es wirkt laut und ungeordnet. Im Vergleich zur hinführenden Straße lebendig. Leider nicht mehr lange, denn in absehbarer Zeit soll hier ein neuer Block Eigentumswohnungen mit Parkplätzen entstehen. Das selbstverwaltete Jugend- und Kulturzentrum an den Rampen 31 wurde in diesem Jahr von einer Investmentfirma aus Erfurt aufgekauft. Für 630.000 Euro stand es zum Verkauf auf einem Immobilienportal, wurde letztendlich jedoch um einiges günstiger verkauft. Seit kurzem steht es nun für satte 970.000 Euro zum Weiterverkauf. Eine Investor*in verkündet bereits Interesse. Die Spekulation mit Immobilien wird seit Jahren kritisiert, da sie Gebäudewerte vervielfachen und somit auch die Mietpreise steigen.

“Don’t go breaking my heart”

Unter diesem Motto kämpfen die Mitglieder des Vereins Alternative Kultur Nürnberg e.V., Bewohner*innen und Besucher*innen seit über einem Jahr für den Erhalt des Gebäudes. Höhepunkt war unter anderem ein aufwendig organisiertes Straßenfest anlässlich des fünf-jährigen Bestehens letztes Jahr mit etwa 1.000 Besucher*innen. An den Wänden hängt noch der sorgsam geplante Jahresplan mit Veranstaltungen, um auf die Notlage aufmerksam zu machen. Wegen der Corona-Maßnahmen konnten viele Veranstaltungen der Kampagne dieses Jahr nicht stattfinden. Die Hoffnung liegt nun vor allem auf einem Optionsrecht, welches den Anwält*innen zufolge im Sinne des Mietrechts weitere fünf Jahre in der Unterkunft sichern sollte.

Währenddessen suchen die Unterstützer*innen des Projekts weiterhin nach neuen Unterkünften. In Absprache mit verschiedenen Vertreter*innen des Stadtrats und der Verwaltung wurde bereits nach geeigneten leerstehenden Gebäuden gesucht, allerdings ohne Erfolg. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion Claudia Arabackyj im Stadtrat Nürnberg, die ebenfalls jugendpolitische Sprecherin ist, unterstützt die Erhaltung des Projekts. Weitere Unterstützer sind die Politbande und die Grünen Nürnberg. Nach eigenen Recherchen und Informationen durch die Stadt, seien die meisten bereits von Investmentfirmen aufgekauft oder zu teuer. Und dass obwohl dieselben Areale oft über Jahre hinweg leer stehen. Bisher konnte das Projekt hauptsächlich über die Mieteinnahmen der Wohnung darüber finanziert werden, die von zwei Mitgliedern des Vereins bewohnt wird, sowie durch die Einnahmen der Getränke. Obwohl der Verkauf auf Spendenbasis angeboten wird, reicht es meistens für die Miete. Der Sinn dahinter ist es, einen Raum zu schaffen, zu dem jeder Zugang hat – egal ob mit oder ohne Geld. Der soziale Status solle nicht über die Teilhabe an Kultur entscheiden.

Angesichts der Tatsache, dass das Projekt 31 erst im Jahr 2014 nach jahrelanger Planung realisiert werden konnte, ist es für die Mitglieder nun umso ernüchternder das Projekt so bedroht zu sehen. Den Entschluss ein selbstverwaltetes Zentrum zu gründen gab es zwar schon länger, jedoch dauerte allein die Suche nach einer geeigneten Unterkunft in Nürnberg bereits über zehn Jahre. Unterstützt wird der seit 2001 bestehende Verein vom Kreisjugendring Nürnberg, der sich für die Interessen junger Menschen einsetzt.  

„Wir wollen einen Raum, in dem Abende ohne Zwänge und Diskriminierung gelebt werden können“

Ein Raum, der von sozialen Zwängen und Normen befreit? Dass das nicht ganz möglich ist, ist ihnen trotzdem bewusst, erklärt mir Nico, einer der Mitglieder. Trotzdem sei es wichtig, dass junge Menschen ein Miteinander kennenlernen, in dem materieller Besitz, die Herkunft oder sozialer Status keine Rolle spielen, und welches so frei wie möglich von hierarchischem Denken ist. Also auch mal eine Kultur kennenlernen, die abseits des Mainstreams und unseres täglichen Erlebens ist. Einfach hingehen können und teilzuhaben an einer Gemeinschaft, wirkt der Vereinsamung durch zunehmenden Individualismus in unserer Gesellschaft entgegen. Nischen wie diese schaffen außerdem Raum für kleine und unkommerzielle Künstler und Bands, die dort kostenlos proben können. Hier hat Kultur, die auch hobbymäßig und abseits des Mainstreams ausgelebt wird, einen Platz. Gleichzeitig wird jungen Menschen die Möglichkeit gegeben, mitzugestalten und auszuprobieren. Denn obwohl wir heute zahlreiche Möglichkeiten in unserer Lebensgestaltung haben, fühlt es sich oft an, als wäre es unmöglich, eigens in der immer komplexer werdenden Welt etwas zu verändern und zu gestalten. Dies liegt zum einen daran, dass sich unsere Gestaltungsmöglichkeiten durch Prozesse der Globalisierung und einer marktorientierten, durchorganisierten Welt geradezu reglementiert anfühlen. Gleichzeitig wird das Potenzial, auf kleiner Ebene Einfluss zu nehmen, weniger wahrgenommen. Bereits in der Schule werden kreative Freiräume, um eigene Stärken zu entdecken und auszubauen, als nicht ausreichend wahrgenommen. Zusätzlich erschwert sozialer Druck vielen Kindern, diese Freiräume für sich zu nutzen. Später nehmen dann mehr soziale und zeitliche Faktoren Einfluss auf die Entscheidung, sich diesen Raum in jeglicher Möglichkeit selbst zu nehmen. Und obwohl wir heute mehr Entscheidungsfreiheit besitzen, Selbstbestimmung wie auch Verwirklichung mehr denn je gefragt sind, fällt es oft schwer aus alten Mustern auszubrechen.  Anregungen, sich auszuprobieren und Ideen alleine oder in der Gruppe zu verwirklichen gibt es hier genug.

Kultur braucht Luft zum Atmen

Immer mehr kulturelle Freiräume sind zudem institutionalisiert und funktionalisiert. Sie dienen einem bestimmten Zweck und sind nur innerhalb eines vorgegebenen Rahmens nutzbar. Meistens zusätzlich mit finanziellem Aufwand verbunden. Beispiel hierfür ist auch das ehemalige selbstverwaltete Kultur- und KOMMunikationszentrum in Nürnberg. Früher ein Treffpunkt für junge Leute, die sich nach einem Ort zum Austausch sehnten, den sie nach eigenen Vorstellungen gestalten konnten. Heute eine kulturelle Anlaufstelle für die breite Bevölkerung Nürnbergs. Zwar erhielten somit verschiedene kulturelle Initiativen und Vereine einen Ausstellungsort, allerdings alles im Rahmen und somit unter Vorstellung einer städtischen Verwaltung. Die geplanten Freiräume der Stadt unterliegen dabei Autoritätsvorstellungen und Fremdregulationen, von denen sich besonders junge Menschen oft distanzieren wollen. Dabei ist eigentlich klar, dass mit einem Blick auf Gentrifizierungsprozesse gerade Stadtteile mit unkommerziellen Projekten einen wichtigen Teil zu deren Aufwertung und Prestige beitragen – siehe Berlin oder Leipzig. Wenn junge Menschen Subkultur suchen, bleiben sie in den meisten Fällen nicht in Bayern. Und auch die Stadt Nürnberg hat in dieser Hinsicht keinen bemerkenswerten Ruf und erschien für mich und meine Freunde als Personen von außerhalb als kultureller Standort weniger attraktiv für junge Menschen.

Kultur kommt von unten

Das Projekt 31 ist ein Ort, der deutlich macht, was für uns Menschen als kulturelle und soziale Wesen wichtig ist. Der Innenhof des Geländes zeigt bereits Wünsche und Narrative der jungen Menschen, die hier aktiv mitgestalten. Es wirkt wie ein Mikrokosmos für zahlreiche Vorstellungen, die auf der gesellschaftlichen Ebene für einen großen Teil der jungen Generation wünschenswert sind: So gibt es ein Gemüsebeet und einen Foodsharing-Verteiler, die regelmäßig zum gemeinsamen veganen Kochen genutzt werden, Plakate gegen Sexismus, Gewalt und Faschismus, und bunte Sitzmöglichkeiten, die in der hauseigenen Werkstatt gebaut wurden.

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Im Keller findet sich neben dem Bandraum ein kleiner Umsonstladen, der für jeden offen steht. Für politische und gesellschaftliche Arbeit gibt es einen Seminarraum, in dem regelmäßige Workshops veranstaltet werden. Es geht eben nicht nur darum Ideen und Werthaltungen zu diskutieren und ausdrücken zu können, sondern auch um die aktiven Mitgestaltungsmöglichkeiten in der Gesellschaft. Wie wir politische Prozesse auf verschiedenen Ebenen beeinflussen können. Wie werden Demonstrationen organisiert? Wie bringe ich mich außerhalb von staatlichen Institutionen und Parteien in Politik mit ein? Wie setzen wir uns weiterhin für Geschlechtergerechtigkeit und soziale Gleichheit ein? Fragen, die die Gestaltung unserer Lebenswelt betreffen und eine Selbstpositionierung verlangen.

„Freiraum verlangt die Suche nach einer klaren Position und hat trotzdem Platz für ein vielleicht.“

Mim Schneider, Kulturelle Bildung

 „Bayern ist ein Kulturstaat“ heißt es in der bayerischen Verfassung. Dass Kultur nicht nur von oben gefördert werden kann, weil sie besonders durch die Vielfalt in der Gesellschaft gebildet wird, fällt hierbei kaum noch ins Gewicht. Das verankerte Gesetz ist bewusst knapp gehalten, der Kulturbegriff weit definiert. Die Randbereiche fallen somit in entsprechenden Handlungs- und Krisensituationen nicht automatisch unter die Verantwortung des bayerischen Staates. Bekannt ist Bayern bundesweit vor allem für die Bierzelt- und Oktoberfestkultur. Dass es hier auch zahlreiche andere kulturelle Projekte gibt, findet kaum Raum in der gegenwärtigen Kulturpolitik. Die meisten dieser selbstgestalteten Nischen verschwinden langsam, wie sich in Nürnberg seit Jahren zeigt. Das ist schade, denn genau diese tragen unmittelbar zum Bildungsauftrag, der im öffentlichen Kulturauftrag Bayerns quasi mitschwingt, bei. Willensbildung und auch die Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit außerhalb der geformten Institutionen steht insbesondere in selbstgestalteten Projekten von jungen Menschen im Vordergrund. Die Verdrängung der kulturellen, unkommerziellen Freiräume zeigt, dass Kultur, die andere politische Perspektiven eröffnet und vertritt, nicht gerne gesehen wird. Dabei ermöglicht der niedrigschwellige Zugang zu solchen Angeboten die kulturelle Teilhabe für jede einzelne Person. Damit werden explizit Menschen aus sozial schwachen Milieus angesprochen, die sonst nicht denselben Zugang zu Kultur erhalten. Stichwort Chancengleichheit – die soziale und kulturelle Teilhabe für jeden Einzelnen ist ein Menschenrecht, welches durch die Verwirklichung des bayerischen Staates, unterstützt werden sollte.

Das Projekt 31 kann als eine Chance gesehen werden, Prozesse der sozialen Ungleichheit und der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft entgegen zu wirken. Angesichts zunehmend knapperen Wohnraums, Gentrifizierungsprozessen und der Privatisierung von Raum und öffentlichen Gütern, werden kulturelle Freiräume wie diese aktuell mehr benötigt denn je.

Am Samstag, den 12.12.2020 findet um 14 Uhr am Aufseßplatz in Nürnberg eine Demonstration für den Erhalt des Projekts 31 statt. Mit dem Motto „Kultur braucht Freiräume – Projekt 31 erhalten“ wird der Verein Alternative Kultur Nürnberg e.V. bereits von über 50 Initiativen unterstützt.

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