Am 12. Oktober feiert das Nürnberger Menschenrechtszentrum Geburtstag. Ganz Amerika , und noch einige andere Teile der Welt, feiern den Tag stattdessen in Erinnerung an den 12. Oktober 1492, an dem ein Matrose den Kolumbus mit dem Schrei „Land in Sicht“ erschreckte. Zwar wusste schon im 18. Jahrhundert Georg Christoph Lichtenberg: „Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung.“ Gleichwohl ist der Tag der „Entdeckung Amerikas“ von Alaska bis Feuerland ein Feiertag mit einer langen Geschichte. Und mit vielen Namen: In den USA wird er seit 1934 landesweit als Columbus Day gefeiert, auf Initiative der fundamentalistisch-katholischen Knights of Columbus.
Dieses Jahr allerdings ging es Kolumbus schlecht in den USA. Mindestens dreißig seiner Statuen wurden gestürzt oder entfernt, darunter auch die in den undankbaren Städten Columbus (Wisconsin) und Columbia (South Carolina), deren Namenspatron er doch ist. Ob deren Namen auch geändert werden – man darf gespannt sein, Diskussionen haben jedenfalls begonnen, ebenso wie in New Yorks Eliteuniversität Columbia University.
Weitaus komplizierter dürfte eine Namensänderung aber z.B. in Kolumbien werden. Während in den USA das Gedenken an Kolumbus immer ein bisschen gebremst war, weil er nun mal für den hispanischen Katholizismus steht, der weißen Rassisten dort fast genauso verhasst ist wie Schwarze und Juden, stehen Kolumbus, die übrigen Conquistadores und überhaupt die spanische Kultur im Zentrum der lateinamerikanischen Tradition. Der 12. Oktober ist daher in Lateinamerika mehr als nur ein Kolumbustag: der Día de la Raza, der „Tag der Rasse“, oder genauer, nach dem Beschluss der Unión Ibero-Americana von 1914, der Tag der Fiesta de la Raza Española, der „Festtag der spanischen Rasse“.
Wie schon die Rede von einer „spanischen Rasse“ zeigt – nicht einmal die Nazis wagten von einer „deutschen Rasse“ zu sprechen – hat raza im Spanischen einen ziemlich breiten Bedeutungshorizont, der wenig mit dem biologistischen Rassebegriff gemein hat. So können ihn sogar auch indigenistische Gruppen für sich beanspruchen, wie etwa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der bolivianische Romanschriftsteller Alcides Arguedas, der in seinem Hauptwerk La Raza de bronze (La Paz 1919) den Wert der indigenen Bevölkerung als „bronzene Rasse“ feiern wollte, deren Farbe mit ihrer Stärke korrespondierte. Umgekehrt entwarf 1925 der mexikanische Philosoph und Politiker José Vasconcelos in seinem einflussreichen Buch La Raza Cósmica (Die kosmische Rasse) die mexikanische Staatsideologie einer einzigen großen mestizischen Bevölkerung. Dank dieser Umdeutung feiert man in Mexiko auch bis heute am 12. Oktober den Día de la Raza.
Trotzdem kann die Rede vom Día de la raza natürlich ihren Ruch von Dominanz- und Überlegenheitsanspruch nicht verbergen. Und so ist auch in den übrigen lateinamerikanischen Ländern der 12. Oktober zwar immer noch Feiertag, aber die raza ist weitgehend aus dieser fiesta verschwunden. In Argentinien etwa, wo man noch unter der Regierung von General Perón den 12. Oktober unter dem Motto Por una raza fuerte, laboriosa, pacifista y soberana (für eine starke, tüchtige, friedliche und souveräne Rasse – siehe Bild) beging, heißt der Tag heute Día del Respeto a la Diversidad Cultural (Tag des Respekts für kulturelle Vielfalt). In Peru nennt er sich mittlerweile einigermaßen sperrig Día de los Pueblos Originarios y del Diálogo Intercultural (Tag der Ursprungsvölker und des interkulturellen Dialogs), im benachbarten Ecuador etwas einfacher Día de la Interculturalidad, und in Costa Rica Día de las Culturas.
Einigen Ländern mit linksnationalistischen Regierungen (oder was immer daraus geworden ist) geht das nicht weit genug. Sie stellen sich rhetorisch gegen alles spanische Erbe und ganz auf die Seite der indigenen Bevölkerung. In Bolivien wurde der Tag unter der Regierung von Evo Morales, der den Namen des Landes in „Plurinationaler Staat Bolivien“ änderte und insgesamt 36 indigene Sprachen zu offiziellen Staatssprachen erklärte, in Día de la Descolonización (Tag der Entkolonialisierung) umbenannt. In Venezuela und Nicaragua heißt er heute Día de la Resistencia Indígena (Tag des indigenen Widerstands).
So schön es ist, wenn das Symbol einer kolonialen Eroberung aus der Bezeichnung des Tags, an dem diese ihren Anfang nahm, verschwindet: noch schöner wäre es, wenn dem auch eine Politik entspräche, die den Interessen der indigenen Völker und aller Menschen gerecht wird, die für wirkliche Gleichberechtigung, für soziale Gerechtigkeit und den Erhalt der Lebensgrundlagen kämpfen. Die vielen neuen Namen für den Día de la raza sind zweifellos auch das Ergebnis langer Kämpfe der unterdrückten indigenen Völker und anderer sozialer Kämpfe. Sie sind aber auch der Versuch der dominanten Politikkasten, die sich nach wie vor zu großen Teilen aus den Familien der Eroberer rekrutieren, sich ein nationalistisch-indigenes Mäntelchen umzuhängen. Die in den USA ausgebildete mörderische Eliteeinheit der salvadorianischen Militärs, die unter anderem für die Ermordung der sechs Jesuiten und ihrer Haushälterin im Jahr 1989 verantwortlich war, nannte sich stolz Batallón Atlacatl, nach dem legendären indigenen Fürsten, der als einer der letzten Anfang des 16. Jahrhunderts gegen die spanischen Eroberer Widerstand geleistet haben soll. Auch in Guatemala, Peru und andern Staaten schmückten sich die repressiven Eliteeinheiten gerne mit alten indigenen Namen, während sie gegen die lebende indigene Bevölkerung vorgingen. Namen ändern noch nicht die Herrschaftsverhältnisse, auch wenn sie deren Krise andeuten. So bleibt der Kampf um die Bezeichnung des 12. Oktober in ganz Amerika ein interessanter Spiegel der Verhältnisse. Der Weg von der Symbolpolitik zu den Veränderungen, die die neuen Namen darstellen sollen, ist noch immer weit.
Das Nürnberger Menschenrechtszentrum ist einstweilen mit seinem Namen ganz zufrieden. Und feiert am 12. Oktober wie jedes Jahr schlicht Geburtstag.