Klima und Menschenrechte: Vier spannende Klagen, die man im Auge behalten sollte (Teil I)

Die Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen wurden bisher kaum vor menschenrechtlichen Instanzen verhandelt. Doch das ändert sich. Seit 2019 reichen immer mehr Personen Klagen ein, oft unterstützt durch Nichtregierungsorganisationen. Mit Spannung wird erwartet, wie die Gerichte auf die Klagen reagieren, die die immensen Folgen des Klimawandels sichtbar machen. Wird es zu der Anerkennung von Menschenrechtsverletzungen kommen oder scheitern die Klagen bereits an den formalen Fragen der Zulässigkeit? Denn gerade diese formalen Kriterien zu erfüllen, ist in Fällen mit Bezug zur Klimakrise sehr herausfordernd.

Aufgeteilt auf zwei Artikel untersuche ich vier Klagen, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder einem Ausschuss der UN eingegangen sind. Dabei gehe ich auf die zentralen Themen sowie besonderen juristischen Herausforderungen der einzelnen Fälle ein. Diese zunächst dröge und technisch wirkenden Debatten genauer zu verfolgen, lohnt sich. Denn auch hinter ihnen versteckt sich die drängende gesellschaftspolitische Frage, wie der Klimakrise begegnet werden kann.

Fall 1: Von der Schwierigkeit Verantwortung zu messen – Der Torres Strait Climate Justice Case


Die Torres Strait Inselgruppe während einer Flut 2012
(Foto von Brad Marsellos, “Saibai Island in the Torres Strait Islands” CC BY-SA 2.0)

Sie werden auch TorresStrait8 genannt: Im Herbst 2019 haben acht Bewohner_innen der Torres Strait Inseln, eine Beschwerde beim UN-Menschenrechtsschuss eingereicht. Die Inselgruppe ganz im Norden Australiens wird seit Jahrtausenden hauptsächlich von Indigenen bewohnt und ist akut vom Klimawandel bedroht: Immer häufigere Fluten erzeugen Erosion und zerstören die Häuser und Kulturstätten der Insulaner_innen. Der Anstieg der Wassertemperatur und die Versauerung der Meere führt bereits jetzt zu Veränderungen des marinen Ökosystems, beispielsweise zu Korallenbleiche. In ihrer Beschwerde, die nicht öffentlich einsehbar ist, wollen die TorresStrait8 eine Verletzung des Rechts auf Leben (Artikel 6), des Rechts auf ein Privat- und Familienleben (Artikel 17) sowie des Rechts auf die Pflege kulturellen Lebens (Artikel 27) gemäß UN-Zivilpakt geltend machen. Sie argumentieren, dass Australien zu wenig tut, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern und ihr Zuhause und Kulturerbe nicht genug vor dem Klimawandel beschützt.

Die australische Regierung hingegen hat den Ausschuss dazu aufgefordert, die Beschwerde abzuweisen – unter anderem, weil Australien weder der einzige noch der größte Emittent sei. Deshalb könne der Staat nicht für einzelne, konkrete Folgen des Klimawandels verantwortlich gemacht werden.

Australien wird mit diesem Versuch, die Verantwortung vollständig zurückzuweisen, vermutlich wenig Erfolg haben. Die Schwierigkeit, einen Zusammenhang zwischen dem Ausstoß von Treibhausgasen durch einen Staat und der Verletzung der Rechte von konkreten Individuen nach zu weisen, stellt vor Gericht jedoch tatsächlich ein Problem dar. Der menschengemachte Klimawandel ist keine Tat, die einem einzelnen Akteur zugeschrieben werden kann, sondern der von verschiedenen Akteuren über einen langen Zeitraum verursacht worden ist und noch immer wird. Dieses Problem wird in der naturwissenschaftlichen Zuordnungsforschung diskutiert, in der Forscher_innen versuchen, kausale Zusammenhänge zwischen den Aktivitäten von Akteuren und extremen Wetterereignissen oder dem Steigen von Temperaturen herzustellen. Auswirkungen des Klimawandels einzelnen Staaten zuzuschreiben, ist jedoch schwierig und letztlich immer politisch, nämlich beeinflusst von der Wahl von Messparametern.

Die Rechtswissenschaftlerin Feria-Tinta argumentiert jedoch, dass der einwandfreie Nachweis von Kausalzusammenhängen gar nicht notwendig ist. Erstens habe jeder Vertragsstaat des UN-Zivilpakts die Pflicht, unabhängig von der Zuordnungsfrage für den Klimawandel seine Bevölkerung vor vermeidbaren und vorhersehbaren Gefahren zu beschützen. Zweitens, und darüber hinaus – verlangt das Pariser Klimaabkommen, welches von Australien ratifiziert wurde, dass Staaten die Reduzierung von Treibhausgasen mit „größtmögliche[r] Ambition“ verfolgen und „gemeinsame[…], aber unterschiedliche[…] Verantwortlichkeiten“ zwischen den Staaten bestehen. Was das im konkreten Fall heißt, ist nicht klar. Der UN-Menschenrechtsschuss hätte hier die Möglichkeit Kriterien zu entwickeln, um fest zu stellen, ob Australien genug gegen den Klimawandel tut. Er könnte etwa bewerten, ob die bestehende klimaschützende Maßnahmen konsistent durchgesetzt und in einem angemessenen Verhältnis zur Größe der Gefahr gestaltet werden. Ganz ohne die Feststellung von Kausalzusammenhängen könnte so die grundsätzliche Verantwortung Australiens für den Schutz der Rechte der TorresStrait8 geklärt und Klimaschutzmaßnahmen auf ihre Angemessenheit zum Schutz von Menschenrechten hin überprüft werden.

Wenn du die Kampagne der TorresStrait8 unterstützen möchtest, kannst du ihre Petition an die australische Regierung unterschreiben. Mehr Informationen über den Fall findest du hier.

Fall 2: Portugiesische Jugendliche gegen die grenzenlose Klimakrise

André und Sofia Oliveira, Mariana, Cláudia und Martim Duarte sowie Catarina Mota haben Klage gegen 33 Staaten eingelegt
(1. Foto von GLAN, 2. Foto von Nuno Gaspar de Oliveira)

Das Problem der Zuordnung von klimaschädlichen Handlungen haben auch sechs jugendliche Kläger_innen aus Portugal vor dem Europarat. Sie argumentieren, dass sie durch die schweren und immer häufiger werdenden Waldbrände in ihrer nahen Umgebung gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihrem Recht auf Leben (Artikel 2), dem Recht auf Familienleben (Artikel 8) eingeschränkt und im Hinblick auf ihr Alter diskriminiert werden (Artikel 14). Ihre Beschwerde richteten sie im September 2020 an 33 Vertragsstaaten, darunter Deutschland. Darin heißt es, dass diese ihrer Verpflichtung, Menschenrechte zu schützen, nicht nachkommen. Die Reduktion von Emissionen gehe außerdem zu langsam voran, sodass die Folgen des Klimawandels nicht begrenzt werden können. Die Jugendlichen betonen, dass die Staaten dafür eine gemeinsame Verantwortung trügen. Sie sehen bewusst davon ab, über die Klimafolgen einzelnen Staaten zuzuordnen, da dies nicht die Aufgabe von ihnen als die Opfer der Menschenrechtsverletzungen sei.

Weil die Jugendlichen sich nicht nur gegen ihren eigenen Staat wenden, sondern die Beschwerde an 32 weitere Staaten richten, ist ihr Fall noch komplizierter als der der TorresStrait8. Menschenrechte sind grundsätzlich eine Vereinbarung zwischen einem Staat und seiner Bevölkerung. In der Praxis der Menschenrechtsgerichte und -ausschüsse wird die Verantwortung für den Schutz von Menschenrechten deshalb in den meisten Fällen auf das Staatsgebiet begrenzt. Dies macht es für Personen außerhalb des Territoriums schwer, Beschwerde einzulegen. Dieses Prinzip der sogenannten territorialen Gerichtsbarkeit ist jedoch nicht absolut. Ausnahmen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zum Beispiel im Fall von militärischen Operationen anerkannt, wo eine Besatzungsmacht „effektive Kontrolle“ über ein anderes Territorium oder zumindest über Regierungsfunktionen ausübt. In diesen Fällen wurde entschieden, dass Personen auch Klagen gegen die Besatzungsmacht richten können. Kontrolle über ein fremdes Gebiet liegt im Fall des Klimawandels freilich nicht vor. Die Jugendlichen argumentieren in der Beschwerde daher, dass ihr Heimatstaat Portugal sie alleine nicht ausreichend vor den Folgen des Klimawandels beschützen kann und die übrigen 32 Staaten durch ihre Beiträge zum Klimawandel „signifikante Kontrolle“ über ihr Leben ausüben. Deshalb würden auch diese Staaten eine Schutzverantwortung gegenüber den Jugendlichen haben, also extraterritoriale Gerichtsbarkeit ausüben.

Die Jugendlichen werden vom Global Legal Action Network (GLAN) vor Gericht unterstützt. Deren Arbeit wird durch Crowdfunding finanziert. Auch du kannst die Arbeit von GLAN unterstützen.
Hier erfährst du mehr über die Jugendlichen und ihren Fall.

Fazit: Wer ist verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen im Klimakontext?

Beide Fälle zeigen typische Probleme auf, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen im Kontext des Klimawandels vor Gerichten erwartet: Die Zuordnung der Verletzung sowie die Feststellung von Gerichtsbarkeit. Es lohnt sich den Umgang der Gerichte mit diesen zunächst technischen Problemen zu verfolgen. Denn letztlich verstecken sich dahinter zutiefst politische Fragen nach der Bemessung der Schutzpflichten von Staaten und der gerechten Verteilung von Kosten und Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel. Wird der UN-Ausschuss konkrete Vorschläge zur Reduzierung von Treibhausgasen einbringen, wie den Kohleausstieg? Und wird das Pariser Klimaabkommen bei der Bestimmung der Verantwortung Australiens im Kampf gegen den Klimawandel eine Rolle spielen? Wie wird der UN-Ausschuss das Konzept von gemeinsamen aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten auslegen? Zu hoffen ist, dass der UN-Ausschuss die Rolle Australiens als Land des Globalen Nordens mit immensen finanziellen Möglichkeiten und als einer der größten Pro-Kopf-Emittenten von Treibhausgasen berücksichtigt. In den letzten Jahren hat sich der Ausschuss durch progressive Arbeit im Bereich Klimagerechtigkeit ausgezeichnet. Dass der UN-Ausschuss der Beschwerde zumindest in Teilen zustimmt, ist nicht unwahrscheinlich. Da die durchschnittliche Länge eines Beschwerdeverfahrens vor dem UN-Ausschuss vier Jahre beträgt, wird es bis zur Verkündigung der Entscheidung jedoch wohl noch dauern. Auch die Frage nach der Gerichtsbarkeit ist eine politische: Denn bisher ist ungeklärt, inwiefern Staaten die Verantwortung für die Effekte des Klimawandels jenseits ihrer Grenzen tragen. In seiner Auslegung von Gerichtsbarkeit ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Vergangenheit zwischen weiten und engen Auslegungen geschwankt. Viele dieser Entscheidungen sind auf den Kontext Klimawandel jedoch nicht anwendbar. Dass das Gericht anerkennt, dass Staaten Kontrolle über klimaschädliche Aktivitäten haben, die Auswirkungen auf die Rechte von Menschen jenseits ihrer Grenzen haben, ist zu hoffen. Ganz ähnlich hatte 2017 der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Gutachten zu grenzüberschreitenden Umweltzerstörungen entschieden. Der Europäische Gerichtshof musste sich bisher jedoch noch nicht festlegen, wie er mit solchen Beschwerden im Bereich des Umweltschutzes und Klimawandels begegnet. Bis jetzt läuft es gut für die Jugendlichen und ihre Unterstützer_innen. Im November erklärte der Gerichtshof, das Verfahren aufgrund seiner Dringlichkeit mit Priorität zu behandeln. Die angeklagten Staaten haben nun Zeit, Stellung zu beziehen. Es bleibt also spannend.

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