by Carina Rößler –
Anfang dieses Jahres wurde die sehr kontroverse Debatte um Homosexualität und LGBT+ Rechte im westafrikanischen Land Ghana erneut entflammt.
(Hinweis: LGBT+ steht für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender. Im westafrikanischen medialen und politischen Diskurs wird hauptsächlich dieser Terminus verwendet. LGBTQIA+ (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Intersexual, Asexual) ist ein Konzept, welches dort noch nicht so gebräuchlich und geläufig ist, wie beispielsweise in Deutschland oder den USA.)
Am 24. Februar führte die ghanaische Polizei in einem Community Center (Gemeindezentrum) am Rande der Hauptstadt Accra eine Razzia durch, nachdem es massiven Druck von Seiten des Vermieters des Gebäudes, der inländischen katholischen Kirche und einigen Regierungsmitgliedern gegeben hatte, das Center zu schließen. Das Zentrum mit dem Namen „LGBT+ Rights Ghana“ wurde schließlich einen Monat nach seiner Eröffnung von den Sicherheitskräften wieder geschlossen.
Abdul-Wadud Mohammed, Kommunikationschef von LGBT+ Rights Ghana berichtete gegenüber Agence France-Presse, dass die 13 leitenden Mitglieder des Zentrums nun Drohungen erhielten und sich nicht länger sicher fühlen könnten. Mit einer Welle an Homophobie hätte man gerechnet – allerdings nicht in diesem Ausmaß. Es zeigte sich noch einmal deutlich, dass der Kampf für die Rechte und gesellschaftliche Akzeptanz von LGBT+ Personen in Westafrika unbedingt weitergeführt werden muss – auch unter Berücksichtigung der Geschichte von Sexualität in Afrika, worauf ich später noch genauer eingehen werde.
„Our names and faces are known, we receive very specific threats. We are no longer safe“
Abdul-Wadud Mohammed
Homosexueller Geschlechtsverkehr ist in Ghana illegal. Dass der entsprechende Gesetzestext dazu allerdings sehr vage ist, scheint die Regierung dabei nicht zu interessieren. Sektion 104 des Criminal Code besagt, dass jede Person, die „unnatürlichen“, konsensuellen Geschlechtsverkehr mit einer anderen Person durchführt, zu bis zu drei Jahren Haft verurteilt werden kann. Wie Menschenrechtsanwältin Joyce Opoku Boateng gegenüber dem ghanaischen Radiosender Starr FM erklärte, sei jedoch nur homosexueller Geschlechtsverkehr an sich eine Straftat, nicht das Abhalten von Meetings oder Homosexualität generell. Die Schließung des Zentrums verstoße also gegen die Versammlungsfreiheit, welche in Artikel 5.21 in der ghanaischen Verfassung festgeschrieben ist.
Wie sieht es in anderen Ländern Westafrikas aus?
Auch in anderen Ländern Westafrikas ist die Lage für LGBT+ Personen angespannt. Per Gesetz ist konsensueller homosexueller Geschlechtsverkehr in acht von 15 westafrikanischen Ländern illegal. Benin, Burkina Faso, Kap Verde, die Elfenbeinküste, Guinea-Bissau, Mali und Niger gehören zu den Staaten, die gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehr nicht kriminalisiert haben. Allerdings werden LGBT+ Menschen auch in diesen Ländern wenig bis gar nicht geschützt. Die gleichgeschlechtliche Ehe bzw. Partnerschaft beispielsweise wird immer noch von keinem einzigen westafrikanischen Land anerkannt. Ein weiteres Problem ist die anhaltende Diskriminierung durch die Gesellschaft, denn in breiten Teilen Westafrikas treten LGBT+ Personen tagtäglich Verurteilungen, Stigmatisierungen und Misshandlungen von Seiten der Bevölkerung entgegen.
Ein menschenrechtliches Problem
Besonders drastisch ist die Lage in Nigeria. Zwölf nördliche Bundesstaaten des Landes, in denen das Scharia Gesetz angewandt wird, haben für Homosexualität die Todesstrafe durch Steinigung ausgesprochen. Zu der Frage, ob dort tatsächlich Menschen hingerichtet worden sind und von welchen Zahlen man dann sprechen müsste, gibt es allerdings keine bekannten Daten.
Seit der ehemalige nigerianische Präsident Jonathan Goodluck im Jahr 2014 den „Same Sex Marriage Prohibition Act“ verabschiedet hat, herrscht in der LGBT+ Community des Landes laut Human Rights Watch ein Angstklima. Das Gesetz, welches homosexuelle Handlungen mit 14 Jahren Gefängnis bestraft, hat die Situation von LGBT+ Personen immens verschlimmert. Das liegt auch daran, dass nun für alle Personen, die LGBT+ Clubs, Organisationen oder Vereine unterstützen, eine 10-jährige Haftstrafe vorgesehen ist. Polizei- und Sicherheitskräfte sowie Zivilpersonen nutzen das Gesetz, um Gewalt und Menschenrechtsverletzungen an LGBT+ Personen zu legitimieren. Wie Human Rights Watch berichtet, haben Folterungen, sexuelle Übergriffe, willkürliche Verhaftungen, Erpressungen und Mob-Attacken in den letzten Jahren stark zugenommen. Weil viele LGBT+ Personen Verbrechen gegen sie aus Angst nicht melden und oftmals bei Körperverletzungen keine medizinische Hilfe suchen, ergibt sich für sie auch ein großes Gesundheitsproblem. Dies wird dadurch verstärkt, dass einige Nichtregierungsorganisationen, die Personen der LGBT+ Community HIV-Schutz und Aufklärung boten, von Polizeikräften überfallen und geschlossen wurden.
Nigeria und einige andere westafrikanischen Länder verletzten damit Menschenrechte, für die sie sich 1986 durch das Inkrafttreten der Banjul Charter – so wird die afrikanische Menschenrechtscharta genannt – verpflichtet haben.
Unter anderem werden dabei Artikel 5, welcher Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Strafen und Behandlungen verbietet und Artikel 6, welcher jedem Individuum das Recht auf Freiheit und auf die Sicherheit seiner/ihrer Person garantiert, missachtet.
“Every individual shall have the right to the respect of the dignity inherent in a human being and to the recognition of his legal status. All forms of exploitation and degradation of man particularly slavery, slave trade, torture, cruel, inhuman or degrading punishment and treatment shall be prohibited.„
Artikel 5, Banjul Charter
„Every individual shall have the right to liberty and to the security of his person. […] In particular, no one may be arbitrarily arrested or detained.”
Artikel 6, Banjul Charter
Die Afrikanische Kommission der Menschenrechte und der Rechte der Völker, deren Aufgabe es laut Artikel 45 der Banjul Charter ist, die Inhalte der Charta zu interpretieren, äußerte sich 2014 zum ersten Mal zu den Rechten von LGBT+ Personen. Sie verabschiedete die Resolution 275, in der sie Menschenrechtsverletzungen an Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität durch staatliche und nicht-staatliche Akteure stark kritisiert und verurteilt. Außerdem erinnert sie Staaten an Artikel 2 der Banjul Charter, in der Diskriminierung des Individuums aufgrund von Unterscheidung jeglicher Art verboten wird.
“Every individual shall be entitled to the enjoyment of the rights and freedoms recognized and guaranteed in the present Charter without distinction of any kind such as race, ethnic group, color, sex, language, religion, political or any other opinion, national and social origin, fortune, birth or other status.”
Artikel 2, Banjul Charter
Neben der regional gültigen Banjul Charter werden zudem auch internationale Menschenrechtsabkommen, wie beispielsweise der UN-Zivilpakt, verletzt. Der Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den alle Staaten Westafrikas ratifiziert haben, garantiert unter anderem, dass alle Menschen ohne jede Diskriminierung Anspruch auf den gleichen Schutz durch das Gesetz haben.
Großes Tabu-Thema
In vielen afrikanischen Ländern ist Homosexualität ein großes Tabu-Thema und gesellschaftlich geächtet. Wie eine Studie von ACILA (Africa Center for International Law and Accountability) in Ghana aus dem Jahr 2018 zeigt, ist mit 87% ein großer Teil der ghanaischen Bevölkerung dagegen, dass LGBT+ Personen öffentliche Versammlungen abhalten dürfen. Außerdem finden ungefähr 60% der Bevölkerung nicht, dass LGBT+ Personen die gleiche Behandlung verdienen wie Heterosexuelle. Ähnliche Ergebnisse liefert ein 2019 erschienener Report von TIERS (The Initiative for Equal Rights), welcher sich auf die soziale Wahrnehmung von LGBT+ Personen in Nigeria fokussiert. 87% der Nigerianer*innen würden demnach ein homosexuelles Familienmitglied nicht akzeptieren.
Auch afrikanische Politiker*innen äußern sich regelmäßig zum Thema und kritisieren dabei westliche Länder, die in Afrika „unafrikanische“ Werte durchsetzen möchten. Eines der prominenteren Beispiele dafür ist sicherlich der ehemalige simbabwische Präsident Robert Mugabe, der zu seinen Lebzeiten immer wieder gegen homosexuelle Menschen wetterte. Auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2015 sagte er, Rechte für Homosexuelle stünden im Gegensatz zu afrikanischen Werten und Normen, denn sie seien „keine Schwule“.
„We equally reject attempts to prescribe new rights that are contrary to our norms, values, traditions and beliefs. We are not gays“
Robert Mugabe
Nach den anfangs erwähnten Ereignissen in Ghana im Februar dieses Jahres äußerte sich Moses Foh-Amoaning, ein ghanaischer Anwalt und Politiker in ähnlicher Weise und forderte die EU auf, ihre „sogenannten Werte und Überzeugungen Ghanaern, die gegen Homosexualität sind, nicht aufzuerlegen.“
“EU should not impose their so-called values and beliefs on Ghanaians who are against homosexuality.”
Moses Foh-Amoaning
Aber ist Homosexualität wirklich “unafrikanisch“?
Um eine meiner Lieblingsschriftsteller*innen, Bernardine Evaristo, zu zitieren: Eins der lächerlichsten Mythen über den afrikanischen Kontinent ist die Annahme, Homosexualität hätte dort nicht existiert, bevor Weiße sie dort „importiert“ haben. Mittlerweile gibt es ein paar nennenswerte Studien, die zeigen, dass an verschiedensten Orten Afrikas nicht nur homosexuelle, sondern auch bi- und transsexuelle Praktiken und Lebensweisen auftraten. Dass diese von den dort lebenden Menschen nicht als solche bezeichnet und vielleicht auch gar nicht wahrgenommen wurden, ist natürlich klar.
In Südafrika gab es beispielsweise seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts und bis in die 70er Jahre hinein sogenannte „mine marriages“ (dt.: Bergwerk-Ehen) zwischen männlichen Arbeitsmigranten, die in industriellen Gebieten lebten. Um ihre traditionellen Ehen mit Frauen vom Land zu sichern und eine unangesehene Beziehung mit weiblichen Prostituierten zu vermeiden, gingen einige Arbeiter bewusst sexuelle Beziehungen in Form von interkruralem Geschlechtsverkehr miteinander ein.
Die Hauptstadt des Senegal, Dakar, wurde in der Mitte des 20. Jahrhunderts sogar als die „Gay City of Africa“ beschrieben. Sogenannte „men-women“ oder „gor-digen“, wie man in der Lokalsprache Wolof sagt, waren Männer, die sich wie Frauen kleideten und verhielten, und zudem von homosexueller Prostitution lebten. Sie waren in der Straßen von Dakar ein gewöhnlicher Anblick und in keiner Weise gesellschaftlich geächtet. Seit den 1990er Jahren ist die Szene jedoch eher in den Untergrund getaucht, denn auch im Senegal gilt Homosexualität heute als „unafrikanisch“.
Wie kann also etwas verändert werden?
Alle Menschen dieser Erde verdienen die Achtung ihrer Rechte. Der Kampf für LGBT+ Rechte in Westafrika muss also weitergeführt werden. Es stellt sich nur die Frage, was dabei die „richtige“ und klügste Vorgehensweise ist. Das Weiße Haus veröffentliche im Februar dieses Jahres ein Memorandum von Präsident Biden, in dem er Ländern mit Sanktionen droht, wenn sie die Rechte von LGBT+ Menschen nicht achten. Das mag ihm vielleicht im Inland einige Wähler*innenstimmen einbringen und in LGBT+-freundlichen Ländern Sympathie wecken, jedoch kann dies in Ländern wie Ghana oder Nigeria auch einen sehr negativen Effekt haben. Der Glaube, man wolle afrikanischen Ländern etwas „Unafrikanisches“ auferlegen, wird ja dadurch erst recht aufrechterhalten – und verändert wird dadurch auch nichts.
Sinnvoller wäre es sicherlich, afrikanischen Forscher*innen aus den Geschichts- und Kulturwissenschaften sowie einheimischen Aktivist*innen, die sich mit der Thematik beschäftigen, deutlich mehr Unterstützung anzubieten. Es ist unbedingt notwendig, vermehrt über die Geschichte von Sexualität in Afrika aufzuklären und einen neuen Dialog über „afrikanische Werte und Normen“ zu begründen. Wir müssen außerdem begreifen, dass wir unser westliches Verständnis von LGBT+ mitsamt unseren Annahmen und Überzeugungen nicht überall gleich anwenden können. Was nicht vergessen werden darf, ist, dass Religion in Afrika auch bei Personen der LGBT+ Community eine viel wichtigere Rolle spielt. Viele LGBT+ Personen in Afrika identifizieren sich nämlich selbst sehr stark mit den religiösen Traditionen und Institutionen, die so lautstark gegen sie sind, wie zum Beispiel die Pentecostal Church in Nigeria. Diese dämonisiert gleichgeschlechtliche Beziehungen und argumentiert, dass die sexuelle Reinheit einer Nation von „Kräften des Bösen“ bedroht sei.
Um diesen Artikel noch mit ein bisschen Hoffnung zu beenden: Erfreulich ist, dass die Afrikanische Kommission der Menschenrechte in den letzten Jahren angefangen hat, sich vermehrt (wenn auch nicht ausreichend) zum Thema der Rechte von LGBT+ Personen zu äußern. Kommissionsmitglied Reine Alapini-Gansou stellte beispielsweise 2017 einen Report vor, in dem sie Staaten dazu auffordert, „Gesetze, Politiken und Praktiken zu beseitigen, die das Recht auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit verletzen“ einschließlich solcher, die auf „sexueller Orientierung, Identität und Ausdruck des Geschlechts beruhen.“ Ob die Kommission in Zukunft noch mehr Druck ausüben wird, ist abzuwarten.
Carina Rößler studiert derzeit Sozialwissenschaften an der Universität Augsburg. Sie wurde nach ihrem Praktikum Mitglied beim NRMZ und interessiert sich vor allem für Menschenrechtsthemen in West- und Zentralafrika.