Zum Dank an Dani Karavan, dem Schöpfer der „Straße der Menschenrechte“ in Nürnberg
Ob wohl Passantinnen und Passanten, die täglich durch die Kartäusergasse in Nürnberg eilen oder bummeln, auch mal spontan an einer von Dani Karavans Menschenrechts-Säulen stehen bleiben und sich anregen lassen? Wer weiß. Sicher ist aber, dass die Straße der Menschenrechte eine zentrale Adresse für politische Aktionen in Nürnberg ist. Und, dass sie ein idealer Ausgangspunkt für Menschenrechtsbildung sein kann. Ich war regelmäßig mit Gruppen unterwegs, um hier mit ihnen einen Einstieg in einzelne Menschenrechtsfragen oder auch in die ganze Erklärung zu finden. Natürlich waren immer die Erfahrungen und Fragen, die die Menschen dabei mitbringen, wichtig. Aber was konnte ich noch zu den in Stein gemeißelten Menschenrechtsartikeln ergänzen?
Dani Karavan selbst gibt eine Reihe von Hinweisen auf den Geist, in dem er diese imposant, fundamental und auch sakral wirkenden Säulen mit den kurzen Rechtstexten versehen hat.
„Lo tirzach“ (Du sollst nicht töten) steht an der Innenseite des Tores. Das grundlegende Gebot der Weltreligionen galt dem jetzt im Alter von 90 Jahren verstorbenen israelischen Künstler als erstes Gebot jeder Ethik, als Satz am Eingang zum Rechtekatalog. Den ersten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ – schreibt er in Jiddisch in Erinnerung an seine 1941 in Lemberg (Lwow) von den Nazis ermordeten Großmutter.
Wenn ich mit der Gruppe weitergehe zu Säule drei, kann ich den Geist Karavans mit den Sätzen aus seiner Einweihungsrede von 1993 zu Wort kommen lassen: „Ich nehme Dich an der Hand, kleine Anne Frank – zu dieser Zeit war ich kleiner als Du –und wir gehen gemeinsam den dritten Artikel der Menschenrechtserklärung lesen, geschrieben in Deiner Sprache, auf Holländisch, auf dem dritten Pfeiler: ‚Recht op Leven, Vrijheid en Onschendbaarheid van de Person‘ (Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person). Und ich sehe Kinder, viele Kinder, deren Recht auf Leben nicht geachtet worden ist.“
In der Mitte: Artikel 15
Über die Säule 15 sagte Karavan am 24. Oktober 2013, bei der Feier zum 20. Jahrestag der Einweihung: „Ivrit, wie hebräisch auf hebräisch heißt, befindet sich auf der 15. Säule – was der Entfernung zwischen Nürnberg und Jerusalem entspricht. Auf dieser Säule ist das ‚Recht des Menschen bezüglich seines Heimatlandes und Staates‘ eingemeißelt. Diesen Artikel haben auch wir, die Israelis unterzeichnet, und vielleicht ist es endlich an der Zeit, dies in die Tat umzusetzen, und die Rechte der Palästinenser auf eine eigene Heimat, und einen eigenen Staat anzuerkennen. Auf ein Leben in Freiheit und Würde.“ Der dies sagt, war kein Außenseiter in Israel. Er gestaltete die Stirnseite der Knesset mit einem großen Relief gestaltet. Allerdings forderte er 2015 aus Protest gegen die undemokratische Politik der Parlamentsmehrheit dessen „Entfernung“. Das Kunstwerk macht die ganze Wand aus und kann somit nicht entfernt werden. Es trägt den Vermerk: „Geschaffen von einem Mitglied von Yesh Din.“ (nach Deutschlandfunk)
Yesh Din ist eine israelische Menschenrechtsorganisation in Tel Aviv-Jaffa, die Palästinensern aus den besetzten Gebieten Rechtsbeistand anbietet. Der Name bedeutet auf hebräisch „Es gibt Recht“. Die Organisation wurde im März 2005 gegründet.
Zurück zu meiner Führung, in der ich auch schon mal gefragt wurde, ob denn Karavan ein religiöser Mensch sei. Ich habe dann auf einen weiteren Bezug zur Bibel hingewiesen: In der Rede zum 20. Jahrestag der Einweihung der Straße der Menschenrechte im Jahr 2013 fragte er angesichts der Shoah: „Gibt es trotzdem einen Gott? Ist der Mensch nach seinem Bilde erschaffen worden? Im Levitikus, dem 3. Buch Mose des Alten Testaments, steht geschrieben: ‚Véahavta Léréacha Camocha‘ (Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst). Drei Worte, und die gesamte Menschenrechtserklärung ist ausgedrückt.“
Wir im Nürnberger Menschenrechtszentrum betonen zwar gerade auch in der Bildungsarbeit den politisch-rechtlichen Charakter der Menschenrechte gegenüber ihrer ‚nur moralischen‘ Dimension; aber motivierend und verbindend ist auch der Geist der Menschenrechte. Karavans Säulenreihe lässt ihn für aufmerksame Menschen spürbar, auf jeden Fall aber sichtbar werden.