Was ist so falsch an einem Lieferkettengesetz?

by Hani Elkhader

„Life is super nice, da wo man die Schuhe trägt. Life is nich so nice, da wo man die Schuhe näht. (KUMMER – Wie viel ist dein Outfit wert)“

Am 13.10.2020 wurde der Abschlussbericht des Monitorings des Umsetzungsstandes der im Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) beschriebenen Sorgfaltspflichten von Unternehmen veröffentlicht. Die Ergebnisse sind ebenso eindeutig wie ernüchternd. Gerade einmal 15% der Unternehmen mit Sitz in Deutschland und mehr als 500 Beschäftigten kommen ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nach. Vor dem Hintergrund der offenkundigen Wirkungslosigkeit des Freiwilligkeitsprinzips erscheint mir die Verabschiedung eines Lieferkettengesetzes durch den Gesetzgeber deshalb eigentlich als gute Idee.

Leider kämpfen Unternehmensverbände unermüdlich, um gegen ein Lieferkettengesetz Stimmung zu machen. Es benötigt schon ein hohes Maß an Kreativität, Ressourcen und Hingabe, um die Forderungen nach der extraterritorialen Achtung der Menschenrechte durch deutsche Unternehmen und nach den entsprechenden Regulierungen durch den deutschen Gesetzgeber ihrer Selbstverständlichkeit zu berauben. Es bedarf dagegen weniger Kreativität, um den ‚Argumenten‘ der Unternehmensseite entgegenzutreten. Hier meine Top drei:

„Es ist unmöglich, die Achtung von Menschenrechten innerhalb der gesamten Produktionskette zu garantieren. Haftung für etwaige Verletzungen sind deshalb ungerecht.“

Ein kurzer Blick auf die fortgeschrittene Debatte rund um ein Lieferkettengesetz genügt, um deutlich zu sehen, dass von Garantien gar nicht die Rede ist. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die durchsickernden Pfeiler eines möglichen Wertschöpfungskettengesetzes, Forderungen aus dem deutschen Bundestag und sogar zivilgesellschaftliche Initiativen sind in diesem Punkt ziemlich realistisch und fast schon pessimistisch. Es geht in der Debatte nicht um Garantien, sondern um glaubhafte Bemühungen von den in Deutschland ansässigen Unternehmen, das Risiko ihrer Tätigkeit bezüglich der Verletzung von Menschenrechten zu analysieren, wo möglich zu mindern und wo nötig zu kompensieren. Der Begriff der menschenrechtlichen Sorgfalt ist in seinem Kern also prozedural und nicht ergebnisorientiert. Zudem ermöglicht das Konzept der menschenrechtlichen Sorgfalt differenzierte Urteile darüber, was möglich oder erforderlich ist, etwa indem es Unternehmen zur Stellungnahme einlädt. Niemand erwartet das Unmögliche.

Deshalb sind Einwände gegen das Lieferkettengesetz oder gegen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, die letztlich auf eine Kritik an ihrer Realitätsferne bzw. an ihrer Umsetzbarkeit hinauslaufen, im Grunde genommen fehl am Platz. Der Diskurs ist nämlich äußerst differenziert. Im Kommentar zu Artikel 19 der VN-Leitprinzipien heißt es etwa:

„Zu den Faktoren, die bei der Bestimmung geeigneter Maßnahmen […] zu berücksichtigen sind, zählen das Einflussvermögen des Unternehmens über die betreffende Organisation, die Frage, wie ausschlaggebend die Beziehung für das Unternehmen ist, die Schwere der Verletzung, und die Frage, ob die Beendigung der Beziehung zu der Organisation selbst nachteilige menschenrechtliche Folgen hätte.“

Als eine Person, die realistisches politisches Denken erforscht, bin ich ehrlich gesagt beeindruckt davon, dass die Diskussion nicht zu Vereinfachungen und pauschalen Forderungen, sondern stattdessen zu differenzierten Urteilen tendiert, die zu der Komplexität unserer Welt passen. Natürlich sind die Profiteure der gegenwärtigen Situation daran interessiert, das Drängen auf ein Lieferkettengesetz als utopische Spinnerei abzutun. Diese ‚Argumentation‘ hat aber selbst wenig mit der Realität zu tun.

„Ein Lieferkettengesetz schadet den Armen. Es nimmt ihnen ihre Arbeit.“

Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung würden Unternehmen ihre Produktion nämlich panisch aus Regionen auslagern, innerhalb welcher ein erhöhtes menschenrechtliches Risiko für die Arbeitnehmer_innenschaft besteht. Immer wenn der Arbeitnehmer_innenschutz auf der Tagesordnung steht, wird ein Argument dieser Form aus der Mottenkiste geholt. Insofern das partikulare Interesse der Gruppe der Arbeitgeber_innen fälschlicherweise als allgemeines Interesse dargestellt wird, handelt es sich hierbei um Ideologie in ihrer Reinform. Warum genau sollte so eine massive Konzernflucht überhaupt durch ein Gesetz verursacht werden, welches keine Garantien, sondern Bemühungen, welches keine Haftstrafen, sondern milde Sanktionsmechanismen, und welches keine radikale Umgestaltung von heute auf morgen, sondern eine stetige Verbesserung der menschenrechtlichen Situation abverlangt? Es findet nicht ohne Grund ein großer Teil der Wertschöpfung in sogenannten Entwicklungsländern statt. Konzerne – und auch wir – profitieren von den niedrigen Löhnen vor Ort. Das Drängen auf die allmähliche Wahrnehmung der Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte kann diesen ‚Standortvorteil‘ nicht so einfach aufwiegen. Auch mit einem Lieferkettengesetz wird die Produktion in ‚Entwicklungsländern‘ noch relativ profitabel sein. Ein Lieferkettengesetz schadet ‚den Armen‘ genauso wenig wie der Mindestlohn, die Freiheit zur Bildung von Gewerkschaften oder ein System der sozialen Absicherung und Gesundheitsversorgung.

„Deutsche Unternehmen dürfen in Zeiten von Corona nicht noch zusätzlich belastet werden.“

Und auch dieser neuesten Ausrede fehlt es meiner Meinung nach an Substanz. Zwar ist die Wirtschaft offensichtlich angeschlagen und es sollte einiges (nicht alles!) daran gesetzt werden, eine möglichst schnelle Erholung zu erwirken. Dass dieses Ziel allerdings mit der baldigen Verabschiedung eines Lieferkettengesetzes unvereinbar sein soll, ist falsch. Denn erstens zeigen Studien, dass die Kosten für die Schaffung entsprechender Strukturen in Relation zum Umsatz von insbesondere großen Unternehmen marginal sind. Zweitens ist der Verweis auf die derzeitige Krisensituation überhaupt kein sinnvoller Einwand, weil ein entsprechendes Gesetz eine mehrjährige Übergangsphase beinhalten würde, die im Angesicht der Coronakrise, falls nötig, angepasst werden könnte. Darüber hinaus hat die gegenwärtige Krise einmal mehr vor Augen geführt, wie schlecht es um die menschenrechtliche Verantwortung in der deutschen Wirtschaft steht: Viele Unternehmen haben die großen Verluste zu Beginn der Pandemie einfach externalisiert, indem sie sie auf den Anfang der Wertschöpfungskette verschoben haben. Durch die Stornierung von Aufträgen, die Verweigerung der Abnahme bereits produzierter Ware und die Verweigerung von Zahlungen haben deutsche Unternehmen zig tausende Arbeiter_innen in die absolute Armut geschickt. Die Verluste wurden einfach auf die Schwächsten, von deren Ausbeutung die entsprechenden Konzerne seit Jahrzehnten profitieren, abgewälzt. Das zeigt, dass die Coronapandemie kein Argument gegen, sondern eher ein Argument für die Verabschiedung eines Lieferkettengesetzes ist.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Bei all den Nebelkerzen sollte der Sinn eines Lieferkettengesetzes nicht aus den Augen verloren werden. Das prioritäre Ziel ist es nicht, ein für Unternehmen möglichst angenehmes Gesetz auf den Weg zu bringen. Es geht darum, prekäre Produktionsbedingungen zu verbessern. Es geht darum, das Leben von Menschen zu verbessern. Unternehmen müssen hierfür zur Wahrnehmung ihrer moralischen Verantwortung gebracht werden. Dass die Geschäftstätigkeit von Unternehmen negative menschenrechtliche Auswirkungen haben kann, und dass Unternehmen deshalb bestimmte Sorgfaltspflichten haben, ist internationaler Konsens. Staaten haben überdies die rechtliche Verpflichtung die Träger von Menschenrechten vor Dritten – so etwa vor Konzernen – zu schützen. Ein Lieferkettengesetz kann also auch als Mittel verstanden werden, durch welches der Staat seiner Schutzpflicht nachkommt, indem er deutsche Unternehmen zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung zwingt. Es geht also auch um die Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen. Es geht auch um das Einhalten eines Versprechens der Regierungsparteien. „Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung ein-setzen“ – so der Wortlaut des Koalitionsvertrages aus dem Jahr 2018.

Die Überprüfung des NAP 2020 hat mehr als deutlich gemacht, dass freiwillige Selbstverpflichtung nicht ausreicht. Deutschland hat momentan die EU-Ratspräsidentschaft inne. Wann, wenn nicht jetzt, sollen die Regierungsparteien national gesetzlich tätig werden und sich intensiv für eine EU-weite Regelung einsetzen? Jetzt ist der richtige Zeitpunkt!

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