Das Lieferkettengesetz – zugegeben, ein sperriger Begriff, jedoch politisch höchst aktuell und mindestens genauso heiß umkämpft. Tatsächlich geht es beim Lieferkettengesetz um nichts weniger als die Frage, wie deutsche Unternehmen vor allem im Ausland endlich zu menschenrechtlicher Verantwortung verpflichtet werden können.
Als Konsument*innen kommt uns das Thema spätestens beim nächsten Gang in den Supermarkt nahe. Als wäre es nicht schon schwierig (wenn nicht unmöglich) genug, Lebensmittel und Kleidung mit gutem Gewissen zu kaufen, finden Menschenrechtsverletzungen in den Wertschöpfungsketten deutscher Unternehmen auch in der Automobil- und Maschinenbaubranche, der Chemiebranche und in der Produktion von elektronischen Geräten statt, um nur einige Beispiele zu nennen. Vor allem in Ländern des Globalen Südens sind ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, Kinderarbeit und Umweltzerstörung in Zuliefer- und Produktionsbetrieben wohl eher die Regel als die Ausnahme. Eine Abwälzung der Verantwortung (allein) auf die Konsument*innen kann also kaum die Lösung sein.
Ich erlaube mir deshalb ein kurzes Zwischenfazit: ein (Lieferketten-)Gesetz muss her!
Doch warum sollten Unternehmen überhaupt gesetzlich den Menschenrechten verpflichtet werden?
Menschenrechtliche Relevanz oder „Schutz, Achtung, Abhilfe“
Aufschluss darüber geben die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die 2011 vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen verabschiedet wurden. Demnach obliegt der Schutz von Menschenrechten zuallererst dem Staat. Dies entlässt Unternehmen allerdings nicht aus ihrer Verantwortung, denn diese müssen sich glaubhaft bemühen, Menschenrechte in ihrer gesamten Lieferkette zu achten und zwar auch dann, wenn der Staat selbst Menschenrechte nicht effektiv schützt oder schützen kann! In Zusammenhang mit dem Lieferkettengesetz wird daher oft von „menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht“ gesprochen. Kommt es zu Menschenrechtsverletzungen, haben Staat und Unternehmen die Pflicht, Abhilfe zu leisten und den Zugang zu Beschwerdemaßnahmen und Gerichtsverfahren zu ermöglichen. Diese Prinzipien finden sich nun zum Teil auch in dem Gesetzentwurf zum deutschen Lieferkettengesetz wieder. Aber mal von Beginn an.
Was lange währt, wird endlich gut?
Im Februar dieses Jahres einigten sich Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU), Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nach zähem Ringen auf einen gemeinsamen Vorschlag zum Lieferkettengesetz. Manch eine*r hatte schon nicht mehr damit gerechnet, dass mit der auch im Koalitionsvertrag vereinbarten Regelung, in diesem Jahr doch noch ernst gemacht wird.
Anfang März wurde ein Gesetzentwurf der Regierung beschlossen, der am 22. April in erster Lesung im Bundestag debattiert wurde und sich nun im Ausschuss für Arbeit und Soziales befindet. Der politische Wille, Unternehmen nun endlich gesetzlich zu menschenrechtlicher Verantwortung zu verpflichten, ist erst einmal positiv zu bewerten.
Dennoch bleibt der Gesetzesentwurf hinter den Standards der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zurück und es ist fraglich, inwiefern das Gesetz in seiner jetzigen Form Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten überhaupt wirksam entgegen steuern könnte. Der eher schwache Gesetzentwurf kommt nicht von ungefähr, ein erheblicher Einfluss von Wirtschafts- und Industrieverbänden insbesondere auf das Bundeswirtschaftsministerium ist gut dokumentiert, der Lobbyismus lässt grüßen.
Im Folgenden sollen vier Personen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Kommunalpolitik zu Wort kommen, die sich für ein Lieferkettengesetz starkmachen. Denn die sehr breite Unterstützung aus verschiedensten Bereichen der Gesellschaft ist im Fall des Lieferkettengesetzes sicherlich be(tr)achtenswert.
Wie bewerten Sie den aktuellen Gesetzentwurf zum Lieferkettengesetz, Prof. Dr. Markus Krajewski?
„Der Entwurf geht […] meiner Meinung nach nicht weit genug und enthält auch einen fundamentalen systematischen Fehler, da er sich grundsätzlich auf die erste Stufe der Lieferkette beschränkt. Das widerspricht der UN-Leitprinzipien und entspricht auch nicht der Praxis der wenigen Unternehmen, die jetzt schon vorbildlich ihrer menschenrechtlichen Sorgfalt genügen. Insofern setzt der aktuelle Gesetzentwurf falsche Anreize für Unternehmen und bietet kaum zusätzlichen Schutz für die betroffenen Menschen.“
Prof. Dr. Markus Krajewski
Prof. Dr. Markus Krajewski ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander Universität in Erlangen und beschäftigt sich als Wissenschaftler unter anderem mit Menschenrechtsschutz in globalen Lieferketten.
Damit ist er nicht allein, denn die Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte werden seit langem auch intensiv wissenschaftlich begleitet. Neben Jurist*innen äußerten sich auch zahlreiche Ökonom*innen positiv zu einem Lieferkettengesetz und dessen Machbarkeit für Unternehmen.
Der hier angesprochene Fokus auf die erste Stufe der Lieferkette ist mitunter der größte Kritikpunkt am aktuellen Gesetzesentwurf, da die schwersten Menschenrechtsverletzungen meist am Anfang der Kette stehen, in Minen, Fabriken und Plantagen im Ausland. Hier müssten Unternehmen aber nicht präventiv handeln, sondern nur anlassbezogen.
Wie bewerten Sie den aktuellen Gesetzesentwurf zum Lieferkettengesetz, Dr. Jürgen Bergmann?
„Jetzt ist nicht die Zeit für faule Kompromisse. […] Wir brauchen klare Haftungsregelungen entlang der gesamten Lieferketten und eine Gültigkeit des Gesetzes auch für Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitenden!“
Dr. Jürgen Bergmann
Dr. Jürgen Bergmann ist Leiter des Referats Entwicklung und Politik bei Mission EineWelt in Nürnberg, eine zivilgesellschaftliche Organisation der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
Die Zivilgesellschaft spielt im Bemühen um ein deutsches Lieferkettengesetz eine große Rolle. Insbesondere die im Jahr 2019 gegründete „Initiative Lieferkettengesetz“, ein breites Bündnis aus 128 Entwicklungs- und Umweltorganisationen, Gewerkschaften und Kirchen, die sich für ein starkes Lieferkettengesetz einsetzen und die Öffentlichkeit mobilisieren.
Mit den Worten von Frank Zach vom Deutschen Gewerkschaftsbund und damit ebenfalls Mitglied der Initiative Lieferkettengesetz: „Ich wüsste nicht, dass es schon einmal so ein großes Bündnis zu einem politischen Thema gegeben hat“.
Ein wesentlicher Kritikpunkt zivilgesellschaftlicher Organisationen an dem aktuellen Gesetzentwurf ist das Fehlen zivilrechtlicher Haftungsansprüche, also der Möglichkeit für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz zu klagen. Vorgesehen ist bisher nur, dass Betroffene durch die sogenannte Prozessstandschaft vertreten durch deutsche NGOs oder Gewerkschaften klagen können.
Wie bewerten Sie den aktuellen Gesetzesentwurf zum Lieferkettengesetz hinsichtlich der Umsetzbarkeit für große und kleinere Unternehmen, Frau Barbara Fehn-Dransfeld?
„Aus meiner Sicht ist die Umsetzung für kleinere Unternehmen unter Umständen einfacher als für große Unternehmen, da die Lieferkette überschaubarer ist. […] Die Unterscheidung nach der Anzahl von Mitarbeiter*innen leuchtet mir persönlich allerdings nicht ein, da aus meiner Sicht Menschenrechte und Arbeitsrechte ab einer Person Gültigkeit haben müssen.“
Barbara Fehn-Dransfeld
Frau Barbara Fehn-Dransfeld ist Geschäftsführerin der mittelständischen Heunec Plüschspielwarenfabrik GmbH und Vorstandsmitglied der Fair Toys Organisation.
Große und kleinere Unternehmen in Deutschland sind in der Debatte um ein Lieferkettengesetz sowohl als Befürworter wie auch als Gegner vertreten. Tatsächlich gibt es nicht wenige Unternehmen, die sich für ein starkes Lieferkettengesetz einsetzen und darin offensichtlich keinen Wettbewerbsnachteil sehen, ganz im Gegenteil. Auf der anderen Seite ist der Druck auf die Politik durch Wirtschafts- und Industrieverbände, die das Lieferkettengesetz am liebsten ersatzlos von der politischen Agenda streichen würden, enorm groß.
Der momentane Gesetzesentwurf sieht vor, dass ab 2023 nur Unternehmen mit über 3000 Mitarbeitenden und ab 2024 Unternehmen mit über 1000 Mitarbeitenden zur Einhaltung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten gesetzlich verpflichtet werden sollen. Insgesamt beträfe dies 2.891 Unternehmen, wobei davon ausgegangen wird, dass nur 2.217 Unternehmen aufgrund der menschenrechtlichen Risiken in ihren jeweiligen Geschäftsfeldern tatsächlich von dem Gesetzesvorhaben betroffen wären.
Warum setzt sich die Stadt Nürnberg für ein Lieferkettengesetz ein, Frau Britta Walthelm?
„Als Kommune wollen wir keine Steuergelder für Produkte ausgeben, die unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt wurden und die Umwelt zerstören. Wir agieren als Stadtverwaltung als Vorbild und können hier unsere Marktmacht als Beschafferin nutzen.“
Britta Walthelm
Frau Britta Walthelm ist Referentin für Umwelt und Gesundheit der Stadt Nürnberg. Der Stadtrat unterzeichnete gemeinsam mit mittlerweile 65 Kommunen die Resolution für ein starkes Lieferkettengesetz und fordern damit die Bundespolitiker*innen auf, nachzubessern.
Kommunen sind mit einem Volumen von rund 350 Milliarden Euro die „Haupteinkäufer“ der öffentlichen Hand und haben somit eine nicht zu unterschätzende Marktmacht.
Der aktuelle Gesetzesentwurf sieht vor, dass Unternehmen, die gegen ihre Pflichten verstoßen für 3 Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden können.
Also wird was lange währt, endlich gut?
Das bleibt abzuwarten. Noch in dieser Legislaturperiode soll das Lieferkettengesetz verabschiedet werden und im Januar 2023 in Kraft treten. Ein Gesetz ist sicherlich besser als kein Gesetz, aber es wäre doch an der Zeit, dass deutsche Unternehmen künftig mit einem Gesetz und nicht nur einem „Gesetzchen“ zu menschenrechtlicher Sorgfalt verpflichtet werden.
Hanna Stieger war Praktikantin im NMRZ und ist nach Ende ihres Praktikums Mitglied geworden. Sie studiert Soziale Arbeit in München und schreibt gerade ihre Bachelorarbeit in Sozialrecht. Neben sozialen Menschenrechten interessiert sie sich vor allem für globale Gerechtigkeit, insbesondere das Thema Wirtschaft und Menschenrechte.