Henry Bernhard (Hg.): “Ich habe nur noch den Wunsch, Scharfrichter oder Henker zu werden” – Briefe an Justice Jackson zum Nürnberger Prozess

17. März 2007 | Von | Kategorie: Rezensionen

Mitteldeutscher Verlag, Halle a.d. Saale 2006, 335 Seiten

Pünktlich zum 60. Jahrestag des Urteils von Nürnberg erschien diese Sammlung von Briefen, die der amerikanische Ankläger am Internationalen Militärtribunal, Robert Jackson seinerzeit erhielt. Sie befinden sich in Jacksons Nachlass in der Library of Congress in Washington und werden erstaunlicherweise hier – in einer Auswahl – zum ersten Mal veröffentlicht. Erstaunlich ist das deshalb, weil diese Briefe ein zeitgeschichtliches Dokument ersten Ranges darstellen, das einen höchst aufschlussreichen Einblick in die psychische Verfassung der deutschen Bevölkerung zur Zeit der Prozesse gibt. Zwar dürfen die in den Briefen zum Ausdruck gebrachten Ansichten sicher nicht als repräsentativ gelten. Schließlich ist es nicht jedermanns Sache, an fremde hochgestellte Persönlichkeiten Briefe zu schreiben. Nicht wenige der erhaltenen Briefe tragen denn auch den Eingangsvermerk “crank” – verrückt – von Jacksons Büro. Doch die Grenze zwischen Irrsinn und Realität war in Nazideutschland so verunklart worden, dass sie auch in diesen Nachkriegsbriefen schwer zu ziehen ist.

Dass die deutsche Bevölkerung das Tribunal von Nürnberg zu erheblichen Teilen ablehnte, als Siegerjustiz empfand, ist hinlänglich bekannt und auch nicht weiter erstaunlich. Briefe dieses Tenors finden sich entsprechend auch in dieser Sammlung. Doch sind sie die weniger interessanten. Das Bestürzende an vielen dieser Briefe ist vielmehr, dass sie Jackson zustimmen, das Tribunal befürworten – und dennoch den nationalsozialistischen Geist der Unmenschlichkeit atmen. Das beginnt schon mit den meist unzutreffenden, vor obrigkeitshöriger Unterwürfigkeit triefenden Anreden an den “Hochgeschätzten Herrn Oberrichter”, der als eine quasi-göttliche Autorität angesehen wird, deren Allmacht man im Guten wie im Bösen Alles zutraut. Dass Jackson zwar amerikanischer Bundesrichter gewesen war, als Ankläger in Nürnberg aber eben kein Richter war, sondern eine spezifische Rolle in einem Gerichtsverfahren auszufüllen hatte, war den Briefschreibern offensichtlich kaum verständlich. Die Rollen von Staatsanwalt, Richter und Henker verschmelzen in der Vorstellung von diesem Gericht als wäre es die Fortsetzung des Volksgerichtshofs mit anderem Personal. So schwingen sich eine Reihe von Schreibern zu Empfehlungen an Jackson auf, wie das Urteil ausfallen sollte und vor allem wie die Strafen zu vollziehen seien. Ein schwäbischer Pfarrer etwa würde es “mit großer Genugtuung begrüßen, wenn die Kriegsverbrecher eine Zeitlang, etwa ½ Jahr lang, bei Hunger und Durst eine Zwangsarbeit verrichten müssten und nach Ablauf dieser Zeit erhängt werden. Ein schneller Tod durch Hinrichtung mit Fallbeil oder durch Erschießen wäre zu gelinde und eine Gnade…” Andere haben noch weitergehende Fantasien.

Auch die Kultur der Denunziation wird in manchen Briefen bruchlos aus der Nazizeit hinein in die neue Herrschaft getragen, jetzt gewendet gegen die Nazi-Verbrecher. Eine Frau, die am Beginn ihres Briefes “herzlichst bittet, diesen Nazischweinen und Verbrechern die Strafe aufzuerlegen, die diese Brut verdient hat,” meldet an Jackson im weiteren Verlauf ihres Schreibens, dass “Frau Stahl aus Sachsenhausen bei Oranienburg” von dort “alle eingeschmolzene Butter abholt”, ein anderer ihr Verhasster “sogar ein Schwein gekauft hat zum Schlachten”, um schließlich den Bogen zum Anfang des Briefes zu schlagen: “Diese Brut muss mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, damit wir anderen die innerliche Ruhe bekommen.”

Diese “innerliche Ruhe” ist ein Kernmotiv derer, die Jackson beglückwünschen. Offenbar war die Botschaft seiner Rede zu Beginn des Prozesses, wonach nicht die Deutschen insgesamt, sondern die verantwortlichen Nazis vor Gericht stünden, für Viele ausreichend, sich und fast alle Anderen, die in Nürnberg nicht vor Gericht standen, gleich selbst freizusprechen. Differenzierte Reflexionen über persönliche Schuld oder über die historischen Fehlentwicklung, die zum Nationalsozialismus geführt haben, finden sich kaum irgendwo in diesen Briefen. Und noch weniger ein Verständnis dafür, was mit dem Prozess beabsichtigt war und was seine historische Größe ausmacht: die Chance eines fairen Verfahrens auch für schwerster Verbrechen Angeklagte. Die Vorstellung eines rechtsförmigen Verfahrens hatte in der Gedankenwelt der Briefschreiber kurz nach Ende der Naziherrschaft noch keinen Platz.

Es sind keine großen Geister, die sich in den Briefen äußerten, und manche Meinung und Formulierung ist extrem bis “crank”. Aber auch wenn die hier versammelten Ansichten nicht als repräsentativ für die Meinung der Deutschen zur damaligen Zeit genommen werden dürfen, stehen sie bei aller Unbeholfenheit doch auch für Manches, was sich in den folgenden Jahren als gewichtige Strömungen der deutschen Nachkriegspolitik durchgesetzt hat: Die Delegitimierungsversuche der Prozesse, die Kontinuität autoritärer Denkmuster, die reflexhafte Abwehr von tatsächlichen oder vermeintlichen “Kollektivschuld”-Vorwürfen, die blinde Gleichsetzung jeglicher politischer Verbrechen und vieles mehr.

Der Band enthält auch einige Briefe von US-Amerikanern, in denen sich die z.T. sehr kritische öffentliche Meinung spiegelt, gegen die Jackson sein Konzept der Prozesse durchzusetzen hatte. Dazu gibt es Kurzbiografien der Angeklagten und zwei Essays des Herausgebers. Im einen analysiert Bernhard selbst das Briefmaterial und weiß es klug in den zeitgeschichtlichen Kontext einzuordnen. Der zweite Beitrag, der sich im Wesentlichen auf Telford Taylors Anatomy of the Nuremberg Trials stützt, erzählt die Vorgeschichte des Nürnberger Prozesses und Jackson Rolle darin.

von Rainer Huhle

Schlagworte:

Kommentare sind geschlossen