Franz-Josef Hutter: No rights, Menschenrechte als Fundament einer funktionierenden Weltordnung.

14. Februar 2004 | Von | Kategorie: Rezensionen

Aufbau-Taschenbuch 2003, 391 Seiten

Hutter ist Politikwissenschaftler und gibt seit 1999 im Suhrkamp-Verlag (inzwischen im Auftrag des Deutschen Instituts für Menschenrechte) das Jahrbuch Menschenrechte heraus. Er kennt also die Menschenrechtsarbeit und Diskussion in Deutschland wie wenig andere.

Der Autor zeichnet die Entwicklung der Menschenrechtsideen nach und führt in die grundlegenden Begriffe ein. Er beschränkt sich dabei nicht auf die ideengeschichtlichen Hintergründe. Hutter geht direkt auf die aktuellen Fragen nach den politischen Voraussetzungen der Menschenrechte (Staat und Demokratie) oder nach der Erweiterung des Menschenrechtskonzeptes zu. Er setzt sich mit der Bedeutung der sozialen Menschenrechte von einem sozial-liberalen, der Aufklärung, den sozialen Freiheitsbewegungen wie auch den Bürgerrechtsbewegungen verpflichtetem Blickwinkel aus auseinander. Das Konzept der Menschenrechte, wie es Hutter engagiert vertritt, ist einem kulturoffenen Universalismus verpflichtet, ist also kein “elaboriertes Konzept menschlicher Bedürfnisse oder eine Gebrauchsanweisung für die Errichtung einer gerechten oder anständigen Gesellschaft” (S. 133). Auf Menschenrechtsprinzipien kann keine Weltanschauung aufgebaut werden (S.98). Sie sind offen für Verknüpfungen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Projekten. Sie können umgekehrt aber als Meßlatte gerade für politische Herrschaftsformen wie die parlamentarische Demokratie verstanden werden (S.89) Hutter verweist auf eine den Gehalt der Menschenrechte erfassende, system- und epochen-übergreifende Definition des israelischen Philosophen Avishai Margalit:, der von einer “anständigen Gesellschaft” dann sprechen würde, wenn ihre Institutionen die Menschen nicht demütigen (S. 112).

Im Unterscheid zu manchen abstrakten Freunden der Menschenrechte stürzt sich Hutter im dritten Teil seines Buches ins politische Handgemenge: Menschenrechtspolitik im Zeitalter der Globalisierung heißt, die Fragen nach der Rolle der Wirtschaft, nach der Legitimität der humanitären Intervention, nach dem Weltflüchtlingsproblem oder nach der Relevanz der Menschenrechte auch in der deutschen Innenpolitik zu beantworten. Hutters Antworten sind immer auf der Höhe der aktuellen politischen Diskussion. Das zeigen auch die umfassenden, häufig auch kommentierenden Anmerkungen und eine Menschenrechts-Bibliographie, die gut als gegenwärtiger Literatur-Stand genommen werden kann.

Besonders engagiert bezieht der Autor bei folgenden Streitfragen Stellung:

Können auch Individuen oder nichtstaatliche Gruppen (“Befreiungsbewegungen”) die Menschenrechte gefährden? Insgesamt war es für Hutter ein fataler Blickwechsel in den 90er Jahren, als der Einzelne als Gefährder der Menschenrechte in den Blick kam (S. 75). Der Staat bleibt, positiv als schützende Instanz wie negativ als verletzende, im Focus der Menschenrechtsfragen.

Vom Standpunkt eines sozialen wie liberalen Menschenrechtsindividualismus her sind Hutter zwei weltanschaulich-politische Strömungen besonders verdächtig: Der Kommunitarismus und die Fundamentalismen. Er plädiert gegen die Erweiterung der Menschenrechte auf Gemeinschafts- oder Kollektivrechte: “Menschenrechte sollten sinnvollerweise auf Rechte, die den Menschen als Individuum betreffen, begrenzt sein.” (S.77) Denn Menschenrechte leiten sich von fundamentalen Unrechtserfahrungen her, die Individuen durch Kollektive erleiden.

Hier wird Hutter m.E. der Einbettung der Menschen in ihre jeweiligen Gemeinschaften nicht ganz gerecht. Der Schutz der Rechte von Einzelnen kann in manchen Konflikt- oder Unterdrückungssituationen nicht anders als das Recht von Gruppen gedacht werden. Ich kann aber die Reserve verstehen, weil dann immer auch die Gefahr der “Überhöhung” durch ethnische oder andere kollektive Mythen droht.

Zu einseitig fällt m.E. auch Hutters Auseinandersetzung mit dem aus, was gemeinhin als “religiöser Fundamentalismus” etikettiert wird. Fundamentalismus ist für ihn eine antimodernistische Grundhaltung in Religionen, in der ein “antisäkular orientierter Terrorismus wurzelt” (S.118). Ohne dass ich die Gefahren verkennen will: Fundamentale religiöse Positionen beinhalten keinen zu Gewalt und Terrorismus führenden Automatismus. Es gibt schließlich auch biblische Fundamentalisten der Gewaltfreiheit. Zudem und aufs Ganze der Moderne gesehen: Bei allem Recht der Säkularisierung, hat nicht auch eine Rückwendung zur Religion ihre Plausibilität angesichts der Verwüstungen und weißen Flecken der wissenschaftlich-technischen Zivilisation und der Ersatz-Weltanschauungen des 20. Jahrhunderts?

Hutter setzt sich auch mit der christlichen Begründung und Vereinnahmung der Menschenrechte auseinander. Er sieht z.B. in der Menschenrechtsbegründung von Hans Maier einen christlichen Neokolonialismus (S.122). Jedoch: Die Praxis der häufig auch christlich motivierten Menschenrechtsaktivisten wird wohl nur von menschenrechtsverletzenden Regimen als Neokolonialismus angegriffen werden. Auf der Begründungs und Herleitungsebene wird aber eine zu starke Identifizierung der Menschenrechte mit einer Religion oder Kultur die Verankerung der Menschenrechte erschweren.

Sind die Menschenrechte eine eurozentristische Idee? Hutter betont, dass die Menschenrechte kein automatisches Produkt des Westens sind, sie mussten auch hier erkämpft werden (S. 155). In der ganzen Welt gibt es Konflikte, die ähnlich gelagert sind wie die der europäischen Geschichte und die eben hier zur Ausformulierung der Menschenrechte geführt haben. Hutter tritt daher für einen weltweiten interkulturellen Menschenrechtsdiskurs ein.

Das vorliegende Menschenrechtsbuch kann als die fundierte und zugleich aktuelle, theoretisch anspruchsvolle wie praktisch relevante Einführung in die Menschenrechtsarbeit empfohlen werden.

von Otto Böhm

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