Lisa Ott: Enforced Disappearance in International Law, Cambridge, Antwerpen, Portland (Intersentia) 2011
Lisa Ott befasst sich in der von ihr vorgelegten Dissertation mit dem internationalen Rechtssystem zum Schutze und zur Verhinderung des Verschwindenlassens. Das erzwungene Verschwindenlassen von Personen, insbesondere von mutmaßlichen Regimegegnern, welches sich aus Freiheitsentziehung, Folter und oftmals der Ermordung der Gefangenen zusammensetzt, spielt bis heute eine erhebliche Rolle. Bekannt geworden durch die Militärdiktaturen in Lateinamerika, handelt es sich jedoch um ein weltweites Phänomen, dem jährlich tausende Menschen zum Opfer fallen.
Das Buch „Enforced Disappearance in International Law“ zählt zu den wenigen juristischen Büchern die sich ausschließlich mit dem erzwungenen Verschwindenlassen von Personen beschäftigen und dadurch dieses immer noch verhältnismäßig unbekannte Verbrechen in den Mittelpunkt rücken. Auf rund 300 Seiten stellt die Autorin die existierenden Regelwerke unter Einbeziehung des internationalen Menschenrechtsschutzes, des humanitärem Völkerrechts und des internationalen Strafrechts detailliert dar, um darauf aufbauend die Bestimmungen des 2010 in Kraft getretenen Internationalen Übereinkommens zum Schutze aller Personen vor dem Verschwindenlassen zu untersuchen.
Im ersten Kapitel stellt die Autorin die historischen Hintergründe des Verschwindenlassens und der internationalen Instrumente zur Verhinderung vor. Anschließend nähert sie sich dem Phänomen in einer ausführlichen Analyse der Definitionen in den verschiedenen internationalen und regionalen Konventionen und Deklarationen. Politische und soziale Zusammenhänge werden hingegen nur marginal behandelt, wodurch der spezielle Unrechtsgehalt des Verschwindenlassens, seine Zielrichtung und seine Auswirkungen für Opfer und Angehörige nur unzureichend dargestellt werden.
Im darauf folgenden Kapitel werden die Rechtsprechung des UN-Menschenrechtskommitees, des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Inter-Amerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte, der Menschenrechtskammer für Bosnien-Herzegowina und der Afrikanischen Kommission der Menschenrechte und der Rechte der Völker analysiert und einander gegenübergestellt. Dabei unterscheidet die Autorin zwischen den Rechten der Verschwundengelassenen, deren Angehörigen und verschwundenen Kindern und kategorisiert die Urteile nach jeweils verletzten Rechten wie beispielsweise dem Recht auf Leben oder dem Folterverbot. Dies ermöglicht, die einzelnen Rechte in einer besonderen Tiefe auf ihre Anwendbarkeit auf das Verschwindenlassen hin zu untersuchen. Allerdings lässt die Autorin prozessrechtliche Fragen sowie die Befolgung und Umsetzung der Urteile unberücksichtigt. Dies ist insbesondere im Hinblick darauf, dass der Inter-Amerikanische und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bis heute die effektivsten Organe für Opfer dieses Verbrechens darstellen, bedauerlich.
Das dritte und vierte Kapitel widmet sich dem Verschwindenlassen im humanitären Völkerrecht und im internationalen Strafrecht. Die Untersuchung des humanitären Völkerrechts auf seine Verletzung durch das Verschwindenlassen und die damit verbundene Darstellung präventiver Reglungen stellt eine sehr selten gewählte Perspektive auf dieses Verbrechen dar. Diese detaillierte Analyse in einem bisher unterbelichteten Bereich in der Auseinandersetzung mit diesem Phänomen bietet womöglich den größten Erkenntnisgewinn dieser Arbeit. Die Untersuchung im Bereich des internationalen Strafrechts beschränkt sich hingegen im Wesentlichen auf die Beschreibung der konstituierenden objektiven und subjektiven Elemente des Verbrechens gegen die Menschlichkeit des Art. 7 des Rom-Statuts unter besonderer Berücksichtigung des Verschwindenlassens.
Das Kernstück der Arbeit stellt Kapitel fünf dar, in dem auf rund 100 Seiten die einzelnen Vorschriften der Internationalen Konvention gegen das Verschwindenlasssen vorgestellt werden. Die Konvention ist das erste universell geltende Rechtsinstrument gegen das Verschwindenlassen. Die Bestimmungen des ersten Abschnittes der Konvention, welcher materiell-rechtliche Regelungen enthält, werden wie bei einem juristischen Kommentar dargestellt: Nach dem Abdruck des jeweiligen Artikels wird dessen Entstehungsgeschichte nachgezeichnet und die jeweilige Norm interpretiert und evaluiert. Für den Leser besteht so die Möglichkeit, sich gezielt mit einem Artikel der Konvention auseinander zu setzen oder auch die Konvention im Ganzen zu erfassen. Bedauerlich ist, dass der Abschnitt über die Aufgaben des Ausschusses zur Konvention gegen das Verschwindenlassen knapp gehalten wurde. Auch wenn der Ausschuss zum Erscheinungstermin der Publikation noch nicht konstituiert war, erscheint es gerade im Hinblick darauf, dass er eine der ersten Anlaufstellen für Opfer des Verschwindenlassen darstellt, wichtig, dessen Aufgaben und Zuständigkeiten genauer aufzuzeigen.
Die Autorin hat alle verschiedenen Bereiche des Verschwindenlassens im internationalen Recht mit großer Detailtreue zusammengestellt und so ein umfangreiches Werk zum Verschwindenlassen vorgelegt. Auch für juristische oder völkerrechtliche Laien ist die Arbeit durch ausführliche Darstellungen der Grundlagen des Völkerrechts gut verständlich. Es ist sehr erfreulich, dass die Thematik des Verschwindenlassens in einem Buch so umfangreich behandelt wird, auch wenn es aufgrund der thematischen Breite an einigen Stellen an wissenschaftlicher Tiefe mangelt.
Nina Schniederjahn