Revolution in Bildern – Streetart und Graffiti in Kairo als Medium ungekannter Meinungsfreiheit

18. Oktober 2012 | Von | Kategorie: Menschenrechte verstehen

von Andrea Dänzer

 

1. Einleitung
imageWas Ende 2010 mit der Verzweiflungstat eines Einzelnen – der Selbstverbrennung des tunesischen Gemüsehändlers Muhammad Bouazizi – begann, entwickelte sich zum rasenden Lauffeuer von Protesten in der arabischen Welt und setzte Entwicklungen in Gang, die fast keiner mehr für möglich gehalten hatte. Die arabischen Völker begehrten mit der Forderung nach Freiheit gegen ihre repressiven Regime auf und leiteten eine bis dato ungesehene Götterdämmerung in diesem Teil der Welt ein. Langjährige Autokraten, angefangen bei Ben Ali in Tunesien, über den ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak, bis hin zu Ali Abdullah Salih im Jemen und dem libyschen Despoten Gaddafi, mussten das Ende ihrer Regierungszeit heraufkommen sehen.

18 Tage demonstrierten die Menschen in Kairo gegen ihren „Pharao“ Mubarak, der dreißig Jahre lang das Land am Nil regiert hatte, bis dieser am 11. Februar 2011 widerwillig seinen Rücktritt verkündete. Waren vormals noch Demonstrationen in der ägyptischen Hauptstadt eine Seltenheit, – mit wenigen Teilnehmern und dem Vielfachen an Sicherheitskräften, die erlaubten Straßenabschnitte für Protest winzige Flecken auf der Karte – sprengten nun wütende Volksmassen die Straßen. Die Eroberung des öffentlichen Raumes zum Ausdruck der eigenen Meinung zeigt sich auch exemplarisch hervorragend an der zunehmenden Bemalung und Verzierung der Wände mit allerlei politischen Bildern, Slogans und Forderungen. Triste Straßenzüge verwandelten sich in begehbare Kunstwerke. Besonders, die in den Tahrir-Platz mündende und im November hart umkämpfte Mohammad-Mahmoud-Straße nahe der Amerikanischen Universität, wurde zum Schauplatz sich stetig verändernder und eindrucksvoller Malereien. Gut geben diese Werke auch die Stimmungen wieder, welche die Menschen in einer wechselvollen Zeit ergriffen haben; sind dabei widersprüchlich, bunt, herausfordernd und entsprechen nicht immer den Anforderungen der „political correctness“. Sie reichen von ungelenkem Gekritzel bis zu ausgefeilten Bildern. Jeder, der sich dazu berufen fühlt, kann dazu beitragen, viele tun es. Es ist eine in diesem Ausmaß ungekannte Möglichkeit seine Meinung zu äußern, Missstände anzuklagen und einer großen Hörer- bzw. „Beobachterschaft“ zugängig zu machen und dabei meistens anonym zu bleiben.

Manche Künstler indes haben sich bereits einen gewissen Ruhm verschafft, ihre Bilder und Namen finden sich im Internet und in den Tageszeitungen wieder. Das Interesse ist groß. Eine Szene entwickelt sich und ganze Graffiti-Kampagnen werden organisiert, ob es nun darum geht, vom Militär errichtete Blockaden mit offenen Straßenzügen zu bemalen, oder gegen die Belästigung von Frauen aufzurufen. Jedenfalls kann man anhand der Bilder, welche die Kairoer Wände zieren, den Lauf der Revolution gut mitverfolgen. Mehrfach wurden diese zwar von den Behörden übertüncht, doch das gibt den Künstlern Raum für neue Werke, oftmals in Erweiterung und Anpassung der vorherigen an die aktuelle politische Situation.

Als das Militär in Gestalt des alternden Feldmarschalls Mohammed Hussein Tantawi, Vorsitzender des Obersten Militärrates (SCAF), die Macht in Ägypten übernahm, bis eine gewählte zivile Regierung mit dieser Aufgabe betraut werden konnte, explodierten beispielsweise in Kairo die Anti-SCAF-Graffiti, als Zweifel bezüglich der Intention des Militärs aufkamen, wieder in den Hintergrund zu treten. Nach dem Sturz des Präsidenten wurde das Militär noch als großer Retter gefeiert, da seine Verweigerung der weiteren Unterstützung Mubaraks den letztendlichen Ausschlag für dessen Rücktritt gab. Militär und Volk sind eine Hand, hieß eine bekannte Formulierung. Demonstranten ließen sich gern mit Panzern und Soldaten ablichten, sogar Säuglinge wurden zum Foto mit dem Militär gereicht. Die Streitkräfte genießen seit jeher in Ägypten ein besonderes Ansehen. Das Militär ist im Besitz enormer Landflächen, hält große Anteile an der ägyptischen Wirtschaft und stellt einen nicht unerheblichen Machtfaktor im Land dar. Nicht umsonst wiesen bisherige ägyptische Präsidenten stets einen Militär-Hintergrund auf.

Einmal an der Macht, zeigten Tantawi und seine Führungsriege kein sonderliches Interesse, diese so ohne Weiteres wieder abzugeben. Nach Verschiebungen der geplanten Parlamentswahlen flammten in Kairo Demonstrationen und Proteste auf, die vor allem im November an Schärfe zunahmen. Bereits am 9.Oktober gab es Zusammenstöße mit den Streitkräften, als Christen gegen die Zerstörung einer Kirche in Oberägypten demonstrierten. Das Militär griff verstärkt zu harten Repressionsmaßnahmen, setzte Gummigeschosse, Tränengas und Schlagstöcke ein. Die Szenen des Tahrir-Platzes im November glichen denen zu Beginn des Jahres 2011. Die anfängliche Euphorie der Revolution war bald vergessen, auch die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich zusehends. Ende November fanden nun dennoch die ersten freien Parlamentswahlen statt, aus denen die islamistischen Parteien als Sieger hervorgingen, allen voran die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbruderschaft mit circa 40 Prozent der Stimmen. Die Volksversammlung wurde jedoch vom Militärrat Mitte Juni aufgelöst, nachdem das Verfassungsgericht die Wahl für teilweise ungültig erklärt hatte. Auch die Entscheidung über die Befugnisse des noch zu wählenden Präsidenten behielt sich das Militär vor, was konkret zu einer Beschränkung dieser Befugnisse führte.

Das Amt des Präsidenten konnte schließlich Ende Juni 2012 der Muslimbruder Mohammad Mursi für sich in Anspruch nehmen, der in der Stichwahl gegen den Luftwaffekommandeur Ahmad Shafiq knapp vorne gelegen hatte. Mursi setzte als eine seiner ersten Amtshandlungen das suspendierte Parlament wieder ein und machte einige der vom Militärrat vorgenommen Einschränkungen seiner Präsidialbefugnisse rückgängig. Auch entließ er Mitte August Mohammad Hussein Tantawi in den Ruhestand. Wie der Machtkampf weitergeht, bleibt offen. Die Menschen in Ägypten haben allerdings ein neues Medium gefunden, die politischen Vorgänge zu hinterfragen, kritisch zu beleuchten und ihren Standpunkt klar auszudrücken. Dass sie sich nicht zum Schweigen bringen lassen wollen, haben sie bereits im November letzten Jahres demonstriert. Die Wände in Ägyptens Hauptstadt zeigen, dass ein weiterer Akteur Mitsprache für die zukünftige Gestaltung des Landes beansprucht: das einfache Volk.

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