Ein die Welt umspannendes Netz … Zur Aktualität der Menschenrechtsidee

17. August 2005 | Von | Kategorie: Menschenrechte verstehen

von Otto Böhm

Die Durchsetzung der Menschenrechte – der politischen wie der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen – ist ein wichtiger Teil der Anstrengungen zur Überwindung von Gewalt. Aber die häufige Machtlosigkeit der Menschenrechtsbewegung, die gelegentliche Hilflosigkeit der internationalen Gemeinschaft und ihre oft verspäteten Reaktionen sowie die Doppelstandards der demokratischen Staaten in Sachen Menschenrechte tragen zur Skepsis gegenüber ihrer politischen Relevanz bei. Demgegenüber soll hier die Stärke der Menschenrechtsidee und die Leistung der Menschenrechtsbewegung skizziert werden.

Die Menschenrechte sind fundamentale vorstaatliche Rechte, die der Einzelne der politischen Gemeinschaft gegenüber geltend machen kann. Sie schützen die körperliche Unversehrtheit und die menschliche Würde aller Angehörigen der Menschengattung. Dazu gehört die Freiheit und Gleichheit aller Menschen sowie ihre Teilhabe an Gütern und politischen Entscheidungen. Nicht nur die Vereinten Nationen machen sich (neben der Sicherung des Friedens zwischen den souveränen Einzelstaaten) die Durchsetzung der Menschenrechte zu einer zentralen Aufgabe, sondern zunehmend auch die einzelnen Staaten der demokratischen Welt. Dennoch: Der Missbrauch des an sich legitimen staatlichen Gewaltmonopols, der potestas, und die endemische und strukturelle Gewalt verstoßen gegen die internationalen Verpflichtungen, die die meisten Staaten in den Menschenrechtspakten von 1966 eingegangen sind. Die Opfer von staatlicher (wie auch von privatisierter Warlords, Guerilla-Gruppen, paramilitärische Gruppen) Gewalt sind Weltbürger, die sich an die Vereinten Nationen und an die Welt-Öffentlichkeit wenden können.

Die Menschenrechtsideale –hilflos gegen Gewalt?

So einfach es ist, Normen außer Kraft zu setzen, so schwierig es in manchen Ländern sein mag, als Opfer seine Rechte einzuklagen: Für einen Teil der Menschenrechte gibt es inzwischen internationale Klagewege und Schutzmechanismen. Und langfristig entfalten Rechte auch eine normative Kraft. Menschenrechtsforscher gehen davon aus, dass die Idee und Diskussion der Menschenrechte eine eigenständige Wirkung haben, zumal sie ja auch Bedürfnisse und Interessen vieler Menschen ausdrücken. “Wir verstehen die Verankerung der Menschenrechte in den einzelnen Ländern als Sozialisationsprozess der Staaten in die internationale Gesellschaft, vergleichbar der Sozialisierung von Individuen in die Gesellschaft, indem die Menschenrechtsnormen in einer Weise internalisiert werden, die zu ihrer Verinnerlichung und Habitualisierung führt.” (Brigitte Hamm, Die Achtung der Menschenrechte als Grundlage für politische Gerechtigkeit im 21.Jahrhundert, in: Politik im 21. Jahrhundert, Hrsg. Leggewie, Claus/ Münch, Richard, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2001) Im Ständigen Internationalen Strafgerichtshof hat die Idee dieses menschenrechtlichen Weltbürgertums und “Weltinnenrechtes” eine bisher nicht gekannte Konkretisierung und rechtliche Umsetzung erreicht. Zwar gibt es zahlreiche Einschränkungen für den Gerichtshof: die “Weltgemeinschaft” besteht hier nur aus den Vertragsstaaten. Mächtige Staaten wie die USA blockieren den Gerichtshof, Täter müssen erst einmal verhaftet werden, eine präventive Wirkung ist nicht in jedem Fall gesichert, eine gemeinsame völkerstrafrechtliche Definition des Aggressionskrieges konnte nicht gefunden werden. Dennoch: Verantwortliche Politiker und Militärs, Geheimdienstchefs und Guerilla-Führer müssen wissen: Auch wenn ihre Opfer und deren Angehörige nicht direkt ein Verfahren einleiten können, werden doch Zeugen und Beweise nach Den Haag gelangen, die eine Vorermittlung durch das Gericht möglich machen und zu einer Anklage führen können. Zu den Straftatbeständen gehören Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also schwere und systematische Verstöße gegen den “harten Kern” der Menschenrechte: Recht auf Leben; Freiheit von Folter, Sklaverei und sexueller Gewalt; Freiheit von rassischer Unterdrückung und Völkermord. Wirtschaftliche und soziale Menschenrechte gegen strukturelle ökonomische Gewalt

Neben diesen “Kern-Rechten” (und neben den bürgerlich-politischen Freiheitsrechten) betonen Menschenrechtsgruppen zunehmend die Wichtigkeit der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, kurz “WSK-Rechte”. Beim Blick auf die wirtschaftliche Globalisierung wird unübersehbar, dass soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten das Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen annehmen und zur stummen Gewalt werden können. Im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung und der Schwierigkeiten, ihre sozialen Auswirkungen zu kontrollieren, kommt diesen Rechten eine immer stärkere Bedeutung zu. Zwar werden vielfach Einwände und Skepsis gegen eine “Ausweitung” des Kernbereichs der Menschenrechte formuliert: Ressourcen zur Verwirklichung der Wirtschaftsund Sozialrechte seien nicht beliebig vermehrbar; wirtschaftliche und soziale Not seien nicht durch Gesetze zu beseitigen, sondern nur im Rahmen der sozio-ökonomischen Entwicklung. Häufig geht es aber doch um den Zugang zu Ressourcen, den Bevölkerungsgruppen einmal hatten und der ihnen durch staatliche Politikmaßnahmen oder auch Entscheidungen Dritter zerstört wurde. Hier haben die WSK-Rechte also eine Abwehrfunktion. Staaten stehen in der menschenrechtlichen Pflicht, existierende Zugänge ihrer Bürger zu Ressourcen zu respektieren und sie vor Übergriffen Dritter zu schützen. Und sie müssen etwas tun für die, die überhaupt keinen Zugang zu Ressourcen haben (zum Beispiel zur Sicherung ihrer Ernährung). Diese Gruppe von Menschenrechten ist in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung (AEMR) von 1948, Artikel 22 bis 29 proklamiert und im Sozialpakt 1966 kodifiziert. Die BRD trat 1976 bei. Die Rechte im Sozialpakt sind:

  • Recht auf Arbeit, gerechte Arbeitsbedingungen,
  • Recht auf Bildung von Gewerkschaften und auf soziale Sicherheit,
  • Recht auf ausreichende Ernährung, Bekleidung und Wohnung,
  • Verpflichtung der Staaten zur Gesundheitsfürsorge,
  • Recht auf Bildung und Teilnahme am kulturellen Leben,
  • Verpflichtung zum Schutz der Familie und der Kinder.

Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat in ihrer Konvention die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen, das Verbot von Zwangsarbeit und von Kinderarbeit, das Recht auf gleichen Lohn für Männer und Frauen sowie ein Diskriminierungsverbot in Beschäftigung und Beruf festgelegt. Wir können also von folgenden international anerkannten Sozialstandards ausgehen: Recht, sich zu Vereinigung zusammenzuschließen, das Recht, sich zu organisieren und an Tarifverhandlungen teilzunehmen, das Verbot jeder Art von Zwangsarbeit, die Beachtung eines Mindestalters bei der Beschäftigung von Kindern, akzeptable Arbeitsbedingungen inklusive Mindestlöhne, Arbeitszeitbegrenzung, Sicherheit am Arbeitsplatz, auch vor gesundheitlichen Gefährdungen. Der Referenzpunkt für die Durchsetzung von Sozialstandards ist die ILO- Konvention. Auf sie Bezug nehmend, dringen Staaten und Nichtregierungsorganisationen (NROs) auf die Einführung sozialer und ökologischer Standards in das Regelsystem der Welthandelsorganisation WTO. Im GATT gibt es zum Beispiel schon einen Artikel 20e, der zur Ablehnung von Importprodukten berechtigt, die durch Zwangsarbeit hergestellt wurden. Bei manchen NROs und bei vielen Globalisierungskritikern ist eine Strategie, die sich derart auf die WTO bezieht, umstritten. Andrerseits versuchen zum Beispiel US-Gewerkschaften über WTO-Klauseln Sozialdumping, unfaire Preise und unwürdige Produktionsbedingungen zu bekämpfen. Darin steckt allerdings der Zündstoff “Protektionismus”, und entsprechend gibt es auch den Widerstand von Entwicklungsländern gegen die Sozialklauseln. Sozialklauseln müssten aber in jedem Fall durch die ILO und nicht durch die WTO überwacht werden. Die Einführung von Soziaklauseln in bi- und multilaterale Handelsverträge (zum Beispiel Abkommen der EU mit den AKP-Staaten) ist inzwischen eine verbreitete Forderung, die auch vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit getragen wird. Andere Strategien verfolgen das Ziel, Sozialklauseln in Verträge einzufügen, es gibt Kampagnen für fairen Handel und für die “Siegelinitiativen” sowie für Verhaltenskodizes von Firmen. Ziel dieser vielfach auch von kirchlichen Initiativen unterstützten Bemühungen ist ein menschenrechtlich verantwortbarer Konsum von Produkten, deren Herstellung nicht gegen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von Menschen verstößt und ihre Lebensgrundlagen nicht zerstört. Insgesamt geht es den Menschenrechtsgruppen im Bereich der WSK-Rechte nicht um die positive Definition einer konkreten Wirtschaftsordnung, sondern um eine soziale und internationale Ordnung, in der die Menschen ohne Not, Angst, Unfreiheit und Gewalt leben können. Beiträge der Nichtregierungsorganisationen zum Menschenrechtsschutz Bei der Entwicklung der WSK-Rechte wie auch bei der Durchsetzung der Idee eines internationalen Strafgerichtshofes haben die vielen Menschenrechtsorganisationen eine wichtige Rolle gespielt . Sie beteiligen sich an der Überwachung der Menschenrechte, an der Menschenrechtserziehung und am Setzen von neuen Standards. Das Engagement von vielen Frauen hat zum Beispiel im Lauf der Jahre bewirkt, dass frauenspezifische Fluchtgründe anerkannt wurden, dass es ein Frauenrechtsübereinkommen (CEDAW) gibt, dass systematische Vergewaltigung als Kriegsverbrechen in Den Haag vor dem Jugoslawien-Gerichtshof angeklagt und auch am neuen, ständigen Internationalen Strafgerichtshofes verhandelt werden wird. Für eine direkte Wirkung zu Gunsten einzelner bedrohter Menschen gibt es selten direkte Beweise. Volkmar Deile, der frühere amnesty international-Sprecher hat aber oft betont: Es gibt ein weltumspannendes Netz der Solidarität gegen Menschenrechtsverletzungen, das in vielen Fällen im Stande ist, den unendlichen Wert jedes einzelnen menschlichen Lebens zu schützen.

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