Eric Stover: The Witnesses. War Crimes and the Promise of Justice in The Hague

5. Februar 2007 | Von | Kategorie: Rezensionen

Pennsylvania University Press 2005, 230 Seiten

Internationale Strafgerichtshöfe für Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dienen der Wahrheitsfindung, der Gerechtigkeit und damit letztlich der Versöhnung. So etwa lautet, extrem simplifiziert, die Formel, die in der Literatur und den Medien über diese Gerichtshöfe häufig zu hören ist. Der Mediziner und Menschenrechtsexperte Eric Stover untersucht diese Thesen vom Standpunkt derjenigen aus, denen die Arbeit dieser Gerichtshöfe u.a. zugute kommen soll: der Opfer. Er wirft damit die grundsätzliche Frage auf, wem eigentlich die Strafjustiz dient und dienen soll: den unmittelbaren Opfern der Verbrechen der verfolgten Täter, oder der Gesellschaft insgesamt. Im Mittelpunkt des Strafverfahrens, ob national oder international, steht ja der Täter. Um dessen Bestrafung und um die Wiederherstellung der von ihm verletzten Norm geht es dem Gericht. Alles andere, eine Wahrheitsfindung in einem über die Feststellung der jeweiligen individuellen Schuld hinaus, die Herstellung von Gerechtigkeit in einem umfassenderen Sinn als nur der Sühne der einzelnen Tat, oder gar die Versöhnung zwischen Opfer und Täter bzw. in den Verfahren um politische Grossverbrechen, zwischen ganzen gesellschaftlichen Gruppen, kann allenfalls indirekte Folge eines Strafprozesses sein, ebenso wie die oft behauptete heilsame Wirkung eines Prozesses auf die Psyche der Opfer nach dem Motto der südafrikanischen Wahrheitskommission “Revealing is Healing“.

Dennoch ist die Optik, von der aus Stover seine auf der Befragung von 87 Opfern der verschiedenen ethnischen Gruppen der Kriege im ehemaligen Jugoslawien basierenden Thesen entwickelt, die als ZeugInnen vor dem Jugoslawientribunal der UNO (ICTY) aussagten, berechtigt und wichtig. Anders als etwa in den Nürnberger Prozessen hat man bei der Konstruktion des ICTY den Opfern und Zeugen eine bedeutende Rolle eingeräumt und ihnen z.B. eine eigene Einheit innerhalb des Gerichtes zur Seite gestellt. Stover hat in seiner Studie herauszufinden versucht, wie die Opfer ihre Rolle im Prozess wahrgenommen haben, wie sie den Wert der Prozesse für sich erlebten und wie sie rückblickend (gewöhnlich bereits nach mehreren Jahren) den Nutzen des Haager Gerichtshofs bewerteten. Die aus der empirischen Untersuchung gewonnen Daten ergänzt der Autor durch eine Reihe eigener Beobachtungen über die Funktionsweise der Betreuung und des Schutzes von Opfern und ZeugInnen beim ICTY, gestützt auch auf eine Reihe von Experteninvterviews mit Angehörigen der verschiedenen Abteilungen des Gerichts. Das Bild, das diese umfassende und neuartige Studie ergibt, ist vielfältig. Trotz vielfacher Kritik an einzelnen Defiziten und zahlreichen Erlebnissen von Enttäuschung zieht eine Mehrzahl der befragten Opfer/ZeugInnen eine positive Bilanz.

Stovers Schilderung der Befragungsergebnisse, die naturgemäss oft auf hochemotionalen Gesprächssituationen beruhen, ist häufig von starker Empathie mit den Befragten getragen. Wie gesagt, dies ist wichtig und notwendig zu wissen, nicht zuletzt für die beteiligten Akteure am ICTY oder auch dem ICC selbst. Gerade deshalb sind die Schlüsse, die Stover aus seiner Untersuchung zieht, etwas enttäuschend. Denn so sehr er die Wahrnehmung der von ihm Befragten und die von ihnen geäusserte Kritik mitträgt, so sieht er andererseits doch auch die objektiven Grenzen, die Institutionen wie ICTY oder ICC aufgrund ihrer spezifischen Mandate, aber auch Strafprozessen grundsätzlich gesetzt sind, was die Beteiligung und Unterstützung der Opfer betrifft. Seine Verbesserungsvorschlaege bleiben entweder sehr abstrakt oder berühren Details, die am Ende das Bild kaum grundsätzlich ändern würden.

Problematisch an Stovers Untersuchung ist auch, dass er die Situationen von Opfern und ZeugInnen methodisch nicht deutlich unterschiedet. Während der Titel des Buches nur von “Witnesses” spricht, sind diese ZeugInnen in Wahrheit alle zugleich Opfer. Was von den Erfahrungen dieser Menschen am ICTY dann ihre Rolle als ZeugInnen und ihre Situation als Opfer betrifft, wird nicht mit der nötigen Sorgfalt unterschieden. Dass es die Betroffenen selbst nicht tun, ist zweifellos verständlich, aber im Hinblick auf mägliche Konsequenzen aus der Untersuchung wäre es unbedingt notwendig, beide Aspekt klar zu unterscheiden.

Dennoch ist “The Witnesses” eine unverzichtbare Lektuere für alle, die ein Stück der schwierigen Wirklichkeit der internationalen Strafgerichtshöfe sehen wollen, die sich nicht mit den schönen Schlagworten von Wahrheit, Gerechtigkeit, Versöhnung und Heilung zufrieden geben. Dass Stovers Untersuchung einmal mehr die problematischen Seiten dieser Verfahren beleuchtet, war überfällig, zumal er es nicht in polemischer Weise oder gar denunziatorischer Absicht tut. Indem Stover vor überzogenen und falschen Erwartungen an die Strafgerichtshöfe warnt, tut er diesen, den dort auftretenden Opfer/ZeugInnen und letztlich allen einen wichtigen Dienst.

von Rainer Huhle

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