Gérard Prunier: Darfur. Der “uneindeutige” Genozid

10. Juli 2007 | Von | Kategorie: Rezensionen

Hamburg (Hamburger Edition) 2006, 275 Seiten

Ende Februar 2007 erhob der Internationale Strafgerichtshof Anklage gegen einen Minister der sudanesischen Regierung und ein führendes Mitglied der von der Regierung unterstützten “Janjaweed”-Milizen, die für den größten Teil der Morde in Darfur die unmittelbare Verantwortung tragen. Die Anklage basiert auf umfassenden, teils geheimen, Ermittlungen der Anklagebehörde des IStGH auf der Grundlage der UN-Sicherheitsrats-Resolution 1593 vom März 2005, die den IStGH gemäß Artikel 13 des Römischen Statuts erließ, worin er den IStGH zu Ermittlungen zur Situation in Darfur aufgefordert hatte. Diese Anklage bedeutet nicht nur rechtspolitisches Neuland, ist sie doch das erste Verfahren, das beim IStGH gegen Vertreter eines Landes durchgeführt wird, das dem IStGH nicht beigetreten ist und ihn nicht anerkennt. Sie hat auch die Dynamik des Konflikts erheblich verschärft und stellt die “Weltgemeinschaft” dringender denn je vor die Frage, wie sie sich zu den massenhaften Morden und Vertreibungen in Darfur verhalten soll.

Der französische Historiker und Ostafrika-Spezialist Gérard Prunier vom angesehen Centre National des Recherches Scientifiques hat 2005 in Frankreich erstmals eine umfassende Darstellung der Hintergründe und der Entwicklung der Morde in Darfur vorgelegt. Das Buch wurde am Hamburger Institut für Sozialforschung auf Deutsch herausgebracht und dabei um ein Kapitel ergänzt, so dass die Entwicklung bis Mitte 2006 erfasst ist. Wer sich gründlich über die politischen Entwicklungen im Sudan und den Nachbarländern, aber auch über die ethnischen Verhältnisse und Konflikte im Hintergrund der heutigen Situation informieren will, findet kaum eine bessere Einführung als Pruniers Buch. Ebenso kenntnisreich wie engagiert räumt Prunier hier mit gängigen Vorurteilen von “Stammeskämpfen” u.ä. auf. Ziemlich niederschmetternd fällt Pruniers Bilanz des Verhaltens von UNO, Afrikanischer Union und anderen Organen der “Staatengemeinschaft” gegenüber der sudanesischen Regierung aus, in der er – hier die Ansicht des IStGH vorwegnehmend – die Hauptverantwortlichen sieht. Seine Analyse der Motive der sudanesischen Regierung ist komplex. Wirtschaftliche, innen- und außenpolitische und erst zuletzt auch ethnische Motive spielen hier zusammen. Die erstgenannten sind wohl auch die wesentlichen Gründe, warum das Morden in Darfur zwar inzwischen ausführlich dokumentiert wird, aber bisher zu keinen entscheidenden Schritten gegen die Regierung in Khartoum geführt hat.

Ein eigenes Kapitel widmet Prunier der Frage, ob das Geschehen in Darfur als Völkermord zu bezeichnen ist. Die Verwendung des “G-Worts” (für Genozid) ist ja im Fall Darfur ebenso umstritten wie sie es seinerzeit im Fall Ruandas war. Pruniers Haltung ist hier “uneindeutig”, nicht konsequent. Zum einen beteiligt er sich an der Diskussion, führt gar eine eigene Definition ein, die die engen Grenzen der Definition in der bis heute verbindlichen Konvention gegen den Völkermord noch schärfer fasst, nämlich den Versuch der totalen Vernichtung einer Gruppe voraussetzt. Dabei lässt er sich auch auf die semantische Grenzziehung zwischen Genozid und “ethnischer Säuberung” ein. Auf der anderen Seite denunziert er die angeblich von den Medien produzierte Meinung, der Mord an 250.000 Menschen – inzwischen sind es noch mehr – im Rahmen eines Genozids sei eine größere Tragödie als der Tod der gleichen Zahl von Menschen durch andere Massaker, zu Recht als zynisch. Statt hier die Schuld den Medien zuzuweisen, wäre eine kritische Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit des Völkermords angebracht, wie sie seit der Konvention von 1948 die juristisch-politische Diskussion beherrscht – und den Politikern immer wieder Vorwand für semantische Diskussionen liefert, um das Nichtstun zu und die dahinter stehenden Interessen zu bemänteln. Solche fruchtlosen Debatten, das hat schon Ruanda gezeigt, könnten durch die Politik gebannt werden. Das Statut des IStGH, das zwar erneut dem Völkermord eine Sonderstellung als eigenen Tatbestand gegenüber den Verbrechen gegen die Menschheit einräumt, gibt durch eben diese Einreihung in die zu verfolgenden übrigen Verbrechen gerade keinen Anlass, dem Völkermord größere Aufmerksamkeit zu widmen als anderen Großverbrechen. Dem hier aufgezeigten Weg gilt es in der Politik zu folgen.

Doch um diese politisch-juristische Debatte geht es Prunier nicht in erster Linie. Sein Buch konzentriert sich erfolgreich auf die präzise Darstellung der Hintergründe und der Entwicklung einer Lage, die nach wie vor Hunderttausende in die Flucht treibt und mittlerweile auch in großem Umfang die Nachbarländer und ihre Bevölkerungen tangiert. Dies leistet das Buch in hervorragender Weise. Ein Glossar arabischer Begriffe und ein Abkürzungsverzeichnis erleichtern die Lektüre des ohnehin gut verständlich geschriebenen Werkes ebenso wie ein Index.

von Rainer Huhle

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