Von Massenmördern und Mitläufern

21. September 2010 | Von | Kategorie: Rezensionen

Hermann G. Abmayr (Hg.): Stuttgarter NS-Täter : vom Mitläufer bis zum Massenmörder. 2. Aufl. Stuttgart, Schmetterlingsverlag 2009, 383 S.

Das Buch Stuttgarter NS-Täter berichtet von einem breiten Spektrum kleiner und großer Stützen des Hitlerstaates. Es geht um Wirtschaftsbosse, Mediziner, Juristen, kommunale Beamte, Parteifunktionäre, Denunzianten, Kirchenleute, Polizeibeamte und KZ-Aufseher. Die Autoren stammen aus der Stuttgarter Stolperstein-Initiative, darunter Historiker, Journalisten und Filmemacher, aber auch ein Oberstudienrat und ein Kabarettist. Stuttgarter NS-Täter enthält auch Beiträge von Kindern und Enkeln von Tätern.

Die Firma Porsche präsentierte nach 1945 Stromlinienform ohne Dellen und Kratzer. Ein gut recherchierter Beitrag von Ullrich Viehoever bringt in Erinnerung, dass Firmengründer Ferdinand Porsche, ein Stuttgarter, und Hitler sich gegenseitig bewunderten, wie auch auf zeitgenössischen Fotos zu erkennen ist. VW und Porsche wurden mit Geldern der Gewerkschaften aufgebaut, die nach Hitlers Machtanritt an die Deutsche Arbeitsfront gefallen waren. Hier blitzt für einen Augenblick auf, wie Nachkriegsdeutschland bei einer weniger restaurativen Lösung hätte aussehen können: Porsches von den Alliierten gesperrtes und 1949-50 entsperrtes Vermögen hätte z.B. den Gewerkschaften zugesprochen werden können statt Porsche. Porsche beutete Sklavenarbeiter aus. So weit, so schlecht. Der Artikel ist aber aktueller: Porsche brachte sein Kapital kurz vor Kriegsende in Österreich in Sicherheit, sodass die Arbeiter in Zuffenhausen um ihren Lohn betrogen wurden. Es war betrügerischer Bankrott. Als die Alliierten ihn schuldlos befunden hatten, holte er sein Geld wieder zurück, um das deutsche Unternehmen wieder aufzubauen.

Stuttgarter NS-Täter schildert fünf Denunzianten. Die Denunzianten sind eine kaum erforschte Spezies; sie haben nach dem Krieg wohlweislich geschwiegen, und sie standen nicht vor Gericht. Ein Aktivist der Untergrund-KPD kippte um und denunzierte seine früheren Parteigenossen. Nach dem Krieg kam er gut weg, denn der neu erwachende Antikommunismus gab ihm Rückenwind. Die Zeugen gegen ihn waren Kommunisten, und denen konnte er leicht eins auswischen. Und hatte er nicht genau den Kampf geführt, den die Westmächte jetzt auch führten? Ein Denunziant der Weißen Rose traf nach dem Krieg einen von denen, die er denunziert hatte, und ihm entfuhr ein „Du bist ja noch am Leben!“ Offenbar war der gutmütige Schwabe (der Denunziant) darüber nicht erleichtert. Wenn sein damaliger Gang zur Gestapo bekannt werden würde, wäre seine Nachkriegskarriere gefährdet gewesen, seine Frau hätte sich von ihm getrennt. Das Opfer verzichtete darauf ihn anzuschwärzen, der Täter übte sich in Verleugnung. So entstand das Schweigen nach 1945, das Stuttgarter NS-Täter aufbricht, zu spät für die Gerechtigkeit, gerade noch rechtzeitig für die aktive Erinnerung. Nur noch die jetzige Generation kann dem überlieferten Aktenmaterial durch Interviews mit Zeitzeugen Kontext und Kolorit hinzufügen.

Die wissenschaftliche Geschichtsschreibung hält sich an Epochen; Bücher wie Stuttgarter NS-Täter beruhen auf Biografien, und die gingen nach dem Epochenbruch 1945 weiter. Der Arzt Karl Mailänder, der mit seiner Unterschrift „Zigeuner“ und „Asoziale“ ins KZ schickte, wurde wegen seiner übrigen Honorigkeit nach dem Krieg rehabilitiert und mit Verdienstkreuzen ausgezeichnet. Ein Arzt, der Zwangssterilisatinonen und die Ermordung behinderter Kinder mitzuverantworten hatte, behauptete nach dem Krieg, nie „innerlich“ Nationalsozialist gewesen zu sein. Sein Enkel will dies heute nicht wahrhaben und geht
seit Erscheinen des Buches immer wieder juristisch gegen Herausgeber, Autor und Verlag vor.

Oder Paul Binder, der an der Arisierung jüdischer Vermögen beteiligt war. Nach dem Krieg ging er in die CDU, gehörte zum Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz formulierte, setzte seine Bankkarriere fort, wurde einer der Wirtschaftsweisen und bekam das Bundesverdienstkreuz. Nach dem Krieg… 1945 ist die Zeitachse, an der sich der Nationalsozialismus und seine misslungene Aufarbeitung spiegeln. Stuttgarter NS-Täter dokumentiert die Hitlerzeit in der Perspektive der Erinnerung der dritten Generation.

Bei Büchern wie Stuttgarter NS-Täter stellt sich die Frage: Was haben Porsche und der HJ-ler, der die Weiße Rose denunzierte, gemeinsam? Ohne das Spektrum von Tätern, das das Buch entfaltet, hätte Hitler nicht so gründlich und lange herrschen können. Die Fokussierung auf Stuttgart hat etwas willkürliches, aber nur so geht es. Regionalstudien wie diese (es gibt eine ganze Anzahl davon) bedeuten viel örtliche Recherchearbeit, die für das damalige deutsche Reichsgebiet nicht zu leisten ist. Sie erhellten das Allgemeine durch die Beschränkung aufs Besondere und zeigen plastisch Sachverhalte auf wie den, dass die Hierarchie von Mitläufer und Massenmördern Züge eines Kontinuums trägt.

von Dieter Maier

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