Im Schatten des Weltkriegs. Massengewalt der Ustaša gegen Serben, Juden und Roma in Kroatien

23. Juli 2013 | Von | Kategorie: Rezensionen

Alexander Korb: Im Schatten des Weltkriegs. Massengewalt der Ustaša gegen Serben, Juden und Roma in Kroatien 1941-1945, Hamburg: Hamburger Edition 2013, 510 Seiten
Alexander Korbs bereits mehrfach ausgezeichnete Studie über die Gewalt der kroatischen nationalistischen Bewegung der Ustaša während des Zweiten Weltkriegs ist zunächst eine eindrucksvoll recherchierte historische Studie über diese angesichts des Holocaust und der auf die Hauptkriegsschauplätze fokussierten Geschichte des 2. Weltkriegs noch immer vernachlässigte Bewegung und ihre extreme Gewaltausübung. Sie ist aber keineswegs nur für Spezialisten des ehemaligen Jugoslawien von Relevanz. Denn Korb entwickelt seine auf intensiven Archivrecherchen und souveräner Kenntnis der Literatur (soweit dieser in der Region nicht besonders bewanderte Rezensent das zu beurteilen vermag) basierende Studie anhand systematischer Fragestellung zu den historisch-kulturellen Entstehungsbedingungen, den spezifischen Rahmenbedingungen, die Krieg und deutsche Besatzung schufen, sowie den Wechselwirkungen mit anderen militanten nationalistisch-rassistischen Bewegungen in den benachbarten Gebieten. Im Anschluss an die Theorieansätze von Christian Gerlach arbeitet er anhand detaillierter lokaler Untersuchungen die Vielfalt von Antriebskräften, Interessen und Zielvorstellungen für das heraus, was erst in der Zusammenschau ein Bild von Ustaša-Gewalt ergibt, wie es sich heute für das historische Gedächtnis etwa im emblematischen Lager von Jasenovac kondensiert hat. Die Ustaša war in Kroatien lange nicht so als Massenbewegung verankert wie etwa die NSDAP in Deutschland, Gewalt war ihr schon von daher essentielles Mittel zur Etablierung ihrer Herrschaft, die erst durch Krieg und Besatzung realisierbar war. Doch weist Korb zurecht darauf hin, dass sich daraus keineswegs eine Interessensidentität zwischen den nationalsozialistischen Besatzern und der Ustaša ableiten lässt. Die Ustaša kämpfte für einen „reinen“ kroatischen Staat, Hauptfeind waren aufgrund ihrer Zahl die Serben, die aber für Deutschland militärisch wichtig waren. Selbst in der Dynamik der Verfolgung von Juden und „Zigeunern“ macht Korb wichtige Differenzen zwischen Nazis und Ustaša aus. Und während NS-Deutschland sich aufmachte, europaweit einen „rassisch homogenen“ Raum zu schaffen, entstanden unter seiner Herrschaft zahlreiche kleine ethnisch-nationalistische, nicht immer ideologisch stark faschistoide Bewegungen, die ihrerseits das betrieben, was wir heute ethnic cleansing nennen.
Aus der Analyse dieser hier nur anzudeutenden komplexen Verhältnisse ergeben sich weitreichende Folgen. Am Fall der Ustaša stellt sich in aller Deutlichkeit die Frage nach dem Grad der Eigenständigkeit von Massenmorden mit Genozidcharakter, die von nicht-deutschen Gruppen oder Bewegungen im Herrschaftsgebiet der Nazis während des Weltkriegs begangen wurden, ein heikles Thema, ohne dessen genaue Analyse aber eben auch, und das ist die zweite Konsequenz aus Korbs Forschungen, die Dynamiken genozidärer Gewalt neben der planmäßig durchgeführten Ermordung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten nicht zureichend verstehbar werden. Korbs Analysen der widersprüchlichen, teils sogar gegenläufigen Dynamiken bei der Gewaltentwicklung in Kroatien während des Krieges lassen den Verdacht, es ginge ihm um eine Art Exkulpierung der Deutschen, gar nicht erst aufkommen. Dazu trägt auch der vergleichende Blick bei, den er auf andere Situationen wirft. Interessant ist da vor allem Rumänien, dessen Regime zunächst als Verbündeter NS-Deutschlands im Gleichschritt an der Verfolgung der Juden teilnahm. Als sich jedoch die deutsche Niederlage abzeichnete und Rumänien das Bündnis aufkündigte, erwies sich, dass der Antisemitismus in Rumänien nicht den gleichen essentiellen Stellenwert für das Regime hatte wie für die Nazis. Der Ustaša in Kroatien stand eine solche Option schon geografisch nicht offen, und so kam es, ähnlich wie in Deutschland selbst, zu einer exzessiven Steigerung von Gewalt, die mit den „Erfahrungen des Scheiterns“ verbunden waren.
Studien wie die von Korb sind noch nicht sehr zahlreich, aber unbedingt notwendig, um die Entstehung und Dynamik „extrem gewalttätiger Gesellschaften“ (Gerlach) und dabei vor allem die Wechselbeziehungen zwischen staatlicher zielgerichteter Ausrottungspolitik, gewaltförmigen gesellschaftlichen Bewegungen und den – meist kriegsbedingten – äußeren Kontexten zu verstehen. Die Reihe der „Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts“ bei der Hamburger Edition leistet dazu wichtige Beiträge.

Rainer Huhle

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