Eine neue Biografie von Fritz Bauer

22. April 2014 | Von | Kategorie: Rezensionen

Ronen Steinke: „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“, Piper-Verlag 2013

Die biografischen Grunddaten zum Leben Fritz Bauers sind der interessierten Öffentlichkeit in Grundzügen geläufig, nicht zuletzt durch die Arbeit des Frankfurter „Fritz-Bauer-Institutes zur Erforschung der Geschichte des Holocaust und seiner Folgen“. Irmtrud Wojak hat als Mitarbeiterin des Fritz-Bauer-Institutes im Jahr 2009 die wissenschaftliche Biografie – eine akribische Arbeit mit tiefem Einblick in die sozialgeschichtlichen Hintergründe – vorgelegt. Demgegenüber will Ronen Steinkes „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“ eine gut lesbare Einführung für das breite Publikum sein. Register und ausführlicher Anmerkungsapparat fehlen trotzdem nicht. Steinke arbeitet stärker mit dokumentierten Gesprächen und zeitgenössischen Stimmen als mit Dokumenten und Akten. Aber er versucht mit der Lebensgeschichte auch Motive und Widersprüchlichkeiten dieses Mannes zu erklären. Naturgemäß interessiert er sich als Jurist mit völkerrechtlichem Schwerpunkt auch besonders für Bauers Positionen zur juristischen „Vergangenheitsbewältigung“.
Als Journalist (er arbeitet im politischen Ressort der Süddeutschen Zeitung) war er „vor Ort“: er schreibt aus der Perspektive des jeweils zeitgenössischen Reporters, der bei den entscheidenden Situationen dabei war (bei der Festnahme Bauers 1933, beim Besuch des israelischen Agenten in Bauers Büro 1958, zum Beginn des Auschwitz-Prozesses in Frankfurt 1963). Aber die szenische Anlage des Buches (gestützt auf etwa 20 Interviews mit Menschen, die Bauer noch gekannt haben) soll nicht so sehr die dramatischen Züge in Bauers Leben hervorheben. Steinke interessiert sich vielmehr für lebensgeschichtliche Prägungen und für unbeantwortete Fragen wie der nach dem Gewicht des Jüdischen im Leben Fritz Bauers, das dieser selbst nie betonte oder interpretierte. Besonders bemerkenswert ist dabei seine Interpretation des Bauerschen Judentums in Verbindung mit seinen Auftritten als Jurist in der deutschen Öffentlichkeit: Bauer beruft sich auf die Zehn Gebote, darauf, dass Gottes Recht immer über dem des Staats stehe; jeder Mensch könne wissen, was sittlich geboten sei (S. 175 ff.). Er appelliert an die abendländischen und christlichen Werte und bedient sich der Wortwahl protestantischer Theologen. Warum? Steinkes Antwort; „Echte Religiosität steckt nicht dahinter. Zwar mangelt es Bauer nie an Respekt vor der Religiosität andrer. […] Auch eine neuerliche Sympathie für die christliche statt der jüdischen Lehre steckt nicht dahinter.“ Der Biograf sieht eindeutig mehr Sympathie für die aktive Staatskritik der Propheten als für den duldenden Gehorsam im Christentum. Dem Atheisten Bauer gehe es um die Akzeptanz für sein Anliegen. „Er übertüncht mit der betont christlichen Wortwahl den einen Punkt, der ihn von der Mehrzahl der Deutschen, die er politisch überzeugen will, unterscheidet – sein Judentum. Aber das heißt natürlich nicht, dass er dabei nicht genau von diesem einen Punkt angetrieben würde.“ (S. 199/200)
Forsch wagt sich der junge Autor (1983 in Erlangen geboren) auch an die Beschreibung und Interpretation des „privaten Bauer“, des „einsamen Bohemiens“. Er versucht der Frage nach der Homosexualität Bauers und den Umständen seines Todes nachzugehen – ohne Voyeurismus und mit Vorsicht, schließlich war für den bürgerlichen Sozialdemokraten Bauer das Private gerade nicht politisch. Das schließt aber gerade nicht aus, dass existenzielle Prägungen zu politischen Motiven werden – siehe oben die Vermutung zu Bauers Judentum als Motivhintergrund. Im Rahmen seines lebenslangen Engagements für eine Strafrechtsreform setzte sich Bauer auch vehement für die Abschaffung des Homosexuellen-Paragrafen 175 ein. Steinke lässt die Leser die kulturkämpferische Atmosphäre der 60er Jahre erleben, er lässt Bauer auftreten und auch schon mal gegen die traditionellen Familien-Normen polemisieren. Auch die bissigen, manchmal ungerechten und andere vor den Kopf stossenden Züge kommen zum Vorschein. Darüber soll nicht vergessen werden: Bauer wurde angefeindet und missverstanden, ihm als Remigranten wurde unterschwellig die Legitimation als Ankläger abgesprochen; oder sein Engagement wurde mit dem verständnisvollen „Er ist halt ein Betroffener“ relativiert.
Die Sache, um die es Bauer ging, bleibt auch der rote Faden der Biographie: Wie löst der kritische Jurist die Aufgabe, die Staatsverbrechen des NS-Systems strafrechtlich zu ahnden? Er fängt dabei nicht bei Null an. Die freiheitlich-sozialdemokratische Prägung aus der Weimarer Zeit bleibt wirksam. An seiner Karriere und seinem Engagement wird die Kontinuität einer bestimmten Tradition des Strafrechtsverständnisses deutlich, die sich mit dem Sinn von Strafe auseinandersetzt (S. 152 ff.). Resozialisierung wird das Stichwort der liberalen Strafrechtsreform, an der Bauer arbeitete und deren Realisierung durch die sozial-liberale Koalition in den 70er-Jahren er nicht mehr erlebte. Die bisherige Art von Strafen in Zuchthäusern fördere die Verbrechen, sie seien Brutstätten, es käme auf Resozialisierung an, so die liberale Schule Gustav Radbruchs. Gegen eine Tradition, die Strafen allein um der Vergeltung der Schuld und um der Wiederherstellung des Rechts betreibe, gelte es eine neue Kriminalpolitik mit gesellschaftsreformerischer Aufgabe zu etablieren. Delikte geschehen nicht aus Trieb, aus freiem – bösem- Willen, sondern die Angeklagten sind Gestrauchelte, ihre Taten sind eher die Folge von sozialer Ungleichheit, von Frustration und zerrütteten Verhältnissen (S. 157 ff.). Steinke packt in die Biografie (s)eine Sicht dieses ja inzwischen mit dem „punitive turn“ wieder umstrittenen Ansatzes: In den 70er Jahren setzte unter dem Einfluss Michel Foucaults eine Reflexion dieses Resozialisierungsprojektes ein: Mit ihm werde der Delinquent noch umfassender der Gesellschaft unterworfen. Die Sicherungsverwahrung sei ein problematisches Ergebnis des Präventionsgedankens (166 ff).
Steinke kehrt zum Problem zurück: Wie geht das alles mit der Verfolgung von NS-Tätern zusammen, wie lässt sich der Widerspruch zwischen dem antiautoritären, linke Strafrechtler und dem energischen Ankläger kitten? Schon im Exil in Dänemark hatte Bauers Arbeit an dem Komplex begonnen. Er schreibt das Buch „Die Kriegsverbrecher vor Gericht“. Als dann der Prozess vor dem IMT in Nürnberg beginnt, hofft er: „Die Prozesse können und müssen dem deutschen Volk die Augen öffnen“, sie sind „ein historischer, rechtlicher und moralischer Unterricht“ (S. 170 ff.). Das konkrete Strafverfahren mit den „ausgewählten Südenböcken sei nur ein Aufhänger für den Unterricht. […] Eine klare, verstehbare Erzählung , miniaturhaft im Nürnberger Gerichtssaal.“

Ohne ins Detail zu gehen, vermittelt Steinke die wichtigen Positionen Bauers zur Frage: Warum nicht deutsche Gerichte? Warum diese Angeklagten? Warum als zentrales Thema Angriffskrieg und nicht Judenvernichtung? Sein pädagogisch-aufklärerischer Optimismus und seine juristische Gradlinigkeit gaben Bauer die Kraft, sich diesen Aufgaben zu stellen, eben in Frankfurt in der Vorbereitung des Auschwitzprozesses. Die politischen und juristischen Mühen dieses riesigen Verfahrens stehen im Mittelpunkt der Biographie. Bauer ging es, so Steinke, nicht mehr um die schwer organisierbare systematische Verfolgung, sondern um die symbolische Wirkung, eben um die schon für das Nürnberger Gericht intendierte verstehbare Erzählung. Denn die Resozialisierung einzelner Täter, die ja offensichtlich – siehe die Angeklagten in Frankfurt – in bürgerlichen Verhältnissen lebten, konnte nicht das Ziel sein. Bauer sei es weniger darum gegangen, möglichst viele Täter zu verfolgen, sondern darum, eine möglichst exemplarische aufklärerische Wirkung zu erreichen, den Deutschen also historische Lektionen zu vermitteln. Dazu suchte er die große Öffentlichkeit und unterstützte auch die Verarbeitung des Prozesses zum Theaterstück „Die Ermittlung“ von Peter Weiss.
Es ist bekannt, dass Bauer mit dem Auschwitzprozess nicht zufrieden war. Steinke fasst das so zusammen: Das soziale Phänomen, auf das es Bauer ankommt, wird durch den Blick auf einzelne Täter und die Verhandlung des individuellen Mordvorwurfes nicht deutlich. Durch die Fokussierung auf einzelne Scheußlichkeiten gelingt es leichter, das Gesamtphänomen zu verdrängen – ein Gedanke, den damals Martin Walser formulierte. (S. 208).
Dennoch bleibt dieser Prozess das Symbol für die „Rolle seines Lebens: der Ankläger, der nicht aus Härte oder Vergeltungsdrang streitet. sondern aus verzweifelter Liberalität.“ (S. 26).

Otto Böhm

 

Schlagworte: ,

Kommentare sind geschlossen