Kommentar zur Review-Veranstaltung “Menschenrechte und Realpolitik – ein Widerspruch?”
Menschenrechtspolitik ist weder ein lästiges Pflichtthema noch Ausdruck eines “Gut-Menschentums”, sondern trägt immer auch realpolitische Züge. Deutschland muss gegenüber Partnerländern, ob demokratisch oder undemokratisch, aufmerksam und hartnäckig bleiben.
Der weltweite Schutz der Menschenrechte ist für zwei Drittel der Deutschen das wichtigste Ziel der deutschen Außenpolitik. Dies ergab eine repräsentative Umfrage, welche die Körber-Stiftung eigens für die “Review 2014 – Außenpolitik weiter denken” erstellte. In den bisherigen Vorträgen, Außenansichten und Blogs des Review-Prozesses kommen die Menschenrechte indes kaum vor. Ein entsprechender “Dialog zwischen Außenpolitik und Zivilgesellschaft” beschränkte sich bislang auf eine – durchaus gehaltvolle – zweistündige Veranstaltung zum Thema “Menschenrechte und Realpolitik – ein Widerspruch?” am 10. Juli 2014 in Nürnberg. Es bleibt also abzuwarten, ob in dem weiteren Prozess die Außenpolitik auch menschenrechtlich weiter gedacht wird.
Ohne Zweifel: Die Bundesregierung bekennt sich zu den universellen Menschenrechten und betreibt eine aktive Menschenrechtspolitik. Dem eigenen Bekunden nach betrachtet sie Menschenrechtspolitik sogar als eine alle Politikbereiche durchziehende Querschnittsaufgabe. Und doch wird man sich des Eindruckes nicht erwehren können, dass die Menschenrechte regelmäßig gerade hinter sicherheits- und wirtschaftspolitischen Belangen zurückstehen.
Zugegeben: Auswärtiges Handeln von Staaten kann und soll nicht monothematisch sein. Hier gilt es vielfältige, legitime Interessen miteinander in Einklang zu bringen. Allein, die Menschenrechte wehren sich gegen einfache Abwägungen. Zu grundlegend ist der Schutz vor Unterdrückung, Fremdbestimmung, Ausbeutung und Not, den die Menschenrechte bieten sollen. Wer beispielsweise Sicherheit gegen Freiheit ausspielt, macht es sich allzu leicht und stellt sich nicht der anspruchsvollen Aufgabe, Sicherheitspolitik innen- wie außenpolitisch freiheitlich auszugestalten.
Außenpolitik menschenrechtlich zu denken, heißt die Menschenrechte in allen Bereichen des auswärtigen und – der Kohärenz und der Wechselwirkungen wegen – auch des innenpolitischen Handelns zur Geltung zu bringen. Dies ist eine gewaltige Herausforderung, die nicht nur menschenrechtlicher Überzeugung, sondern auch kluges politisches Handeln in Funktion der Menschenrechte bedarf, und zwar in sorgsamer Abwägung des Machbaren. In diesem Sinne ist Menschenrechtspolitik nicht einfach Ausdruck eines “Gut-Menschentums”, sondern trägt immer auch realpolitische Züge.
Eine besondere menschenrechtliche Verantwortung kommt der Bundesregierung dann zu, wenn sie mit Regimen kooperiert, welche die Menschenrechte systematisch verletzen. Erfolgt in der politischen Praxis wirklich eine selbstkritische Reflexion darüber, was menschenrechtlich geboten und möglich ist und welche Auswirkungen das bilaterale oder multilaterale Handeln Deutschlands zeitigt? Tun dies die politisch Verantwortlichen in hinreichendem Maße, etwa im Falle der Regierung Saudi-Arabiens, mit der die Bundesregierung Eigenangaben zufolge “freundschaftliche und spannungsfreie politische Beziehungen” pflegt? Oder im Falle Äthiopiens, einem “Darling” der Entwicklungszusammenarbeit? Oder Kasachstans, einem Partner im Rohstoffbereich?
Wer mit menschenrechtsfeindlichen Staaten sicherheits-, wirtschafts- oder auch migrationspolitisch kooperiert, darf Menschenrechte nicht nur als lästiges Pflichtthema erachten. Vielmehr ist Aufmerksamkeit, Hartnäckigkeit und Kreativität gefragt, um die Menschenrechte unter den oft schwierigen Bedingungen vor Ort jeweils bestmöglich zu fördern – und sich nicht zum stillschweigenden Helfershelfer von Diktatoren zu machen. Patentrezepte hierfür gibt es nicht. Vielmehr gilt es, immer wieder die Möglichkeiten und Grenzen menschenrechtspolitischen Engagements auszuloten und auszuschöpfen.
Dies ist auch kein “westlicher Werteimperialismus”. Abgesehen davon, dass fast alle Staaten der Welt sich in irgendeiner Form völkerrechtlich an Menschenrechte gebunden haben, gibt es allerorten Menschen, dies sich gegen Unrecht und Unterdrückung wehren und sich dafür einsetzen, ein menschenwürdiges, freiheitliches und selbstbestimmtes Leben in Gemeinschaft mit anderen führen zu können. Wer anderes behauptet, geht der Propaganda autoritärer Machthaber und dem Herrschaftsdiskurs all jener auf den Leim, die von Unterdrückung und Ausbeutung profitieren.
Und wie verhalten wir uns gegenüber Menschenrechtsverletzungen in Demokratien? Bis heute sparen die Menschenrechtsberichte der Bundesregierung die Staaten Nordamerikas und der EU aus ihren Länderanalysen aus. Ob Guantánamo, Abu Ghraib, Verschleppungsflüge durch Europa oder weltweite Ausspähung, die öffentliche wie vertrauliche Kritik der Bundesregierungen gegenüber Menschenrechtsverletzungen gerade der USA war bislang doch sehr zurückhaltend. Kaum hörbar ist auch die Kritik an der mangelhaften Umsetzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten – beispielsweise an der völlig unzureichenden Umsetzung des Rechts auf Nahrung im aufstrebenden Schwellenland Indien, in dem Millionen Kinder an chronischer Unterernährung erkranken und sterben.
Gewiss, nicht immer ist öffentliche Kritik das Mittel der Wahl. Menschenrechtspolitik stellt sich weit vielschichtiger dar. Über die Methoden lässt sich streiten, am Ziel ist jedoch unbeirrt festzuhalten: dem Schutz der Menschenrechte, wie es auch die Mehrheit der Deutschen von der Außenpolitik fordert.
Der Blogeintrag wurde auf der offiziellen Seite “Review 2014 – Außenpolitik weiterdenken” veröffentlicht.