Fact-Sheet zum Menschenrecht auf Nahrung

29. Mai 2015 | Von | Kategorie: Soziale Menschenrechte

Nach Angaben der UN-Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation (FAO) leiden gegenwärtig etwa 805 Millionen an Hunger und Unterernährung. Rund 2 Mrd. Menschen sind mangelernährt. Abermillionen Menschen erkranken und sterben jährlich an Unter- und Mangelernährung und deren Folgen. Besonders betroffen sind Menschen in den Ländern des „globalen Südens“, vor allem in ländlichen Regionen.

Der Kern des Problems ist nicht der Mangel an Nahrungsmitteln, sondern die Armut. Das Gros unter- und mangelernährter Menschen besitzt weder hinreichend Produktionsmittel (Land, Wasser, Saatgut etc.), um in ausreichender Menge und Vielfalt Nahrungsmittel zu erzeugen, noch ein ausreichendes Einkommen, um diese zu erwerben. Das Hungerproblem hängt damit unmittelbar mit den Besitz-, Arbeits- und Einkommensverhältnissen zusammen.

Selbst schwere Hungersnöte infolge von Krieg, Dürre oder Überschwemmungen verweisen auf tiefer liegende Strukturen der Armut, denn arme Menschen büßen im Falle von Ernteausfällen und Versorgungsengpässen in kürzester Zeit ihre Existenzgrundlage ein. Zugleich schreibt chronische Unter- und Mangelernährung auch Armut fort; sie beeinträchtigtnachhaltig die Lebens-, Bildungs- und Berufschancen der Menschen.

Wo ist das Menschenrecht auf Nahrung völkerrechtlich verankert?

Das Recht auf Nahrung ist als Teil des Rechts auf angemessenen Lebensstandard in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie in verschiedenen internationalen Menschenrechtsverträgen verankert. Das zentrale Abkommen ist der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte (UN-Sozialpakt) von 1966, seit 1976 in Kraft. Er verankert sowohl das Recht auf angemessenen Lebensstandard, einschließlich angemessener Ernährung, als auch das Recht, frei von Hunger zu sein. Das Zusatzprotokoll von 2008, seit 2013 in Kraft, zum UN-Sozialpakt erlaubt Beschwerden gegen Verletzungen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte.

Was beinhaltet das Menschenrecht auf Nahrung?

Das Menschenrecht auf Nahrung zielt darauf ab, dass jeder Mensch, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, freien Zugang zu angemessener Nahrung sowie zu deren Herstellung und Erwerb hat. Inhaltlich umfasst es drei Elemente:

(1) Angemessenheit: Die Nahrungsmitteln müssen die individuellen Ernährungsbedürfnisse befriedigen und sowohl kulturell akzeptabel als auch gesundheitlich unbedenklich sein.

(2) Verfügbarkeit: Nahrungsmittel müssen verfügbarsein oder verfügbar gemacht werden. Dies schließt die Verfügbarkeit von Mitteln ein, um Nahrung zu erzeugen, sowie von Verteilungs-, Verarbeitungs- und Vermarktungssystemen für Nahrungsmittel.

(3) Zugang: Der – auch in physischer und wirtschaftlicher Hinsicht – offene, diskriminierungsfreie Zugang zu Nahrung und zu den Mitteln, um Nahrung zu erzeugen (Land, Wasser, Saatgut etc.) oder zu erwerben (angemessenes Einkommen etc.), muss jedem Menschen gewährt werden.

Welche staatlichen Pflichten ergeben sich aus dem Menschenrecht auf Nahrung?

Völkerrechtlich betrachtet, liegt die Hauptverantwortung für die Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung bei den jeweiligen Staaten.

(1) Achtungspflichten: Die Staaten müssen das Recht eines jeden Menschen auf Zugang zu angemessener Nahrung achten. Sie dürfen die Menschen nicht daran hindern, ihr Recht auf Nahrung zu nutzen und Nahrungsmittel herzustellen oder sich zu beschaffen. Staatliches Handeln darf nicht dazu beitragen, dass Menschen hungern müssen oder sich nicht angemessen und gesund ernähren können.

(2) Schutzpflichten: Die Staaten müssen dafür Sorge tragen, dass „Dritte“ – etwa Privatpersonen oder Unternehmen – die Menschen nicht daran hindern, ihr Recht auf Nahrung zu nutzen. Dies schließt auch den Schutz vor „Hungerlöhnen“, vor widerrechtlichen Zwangsvertreibungen sowie vor Schädigung natürlicher Ressourcen und der biologischen Vielfalt ein, die für die Nahrungsmittelerzeugung notwendig sind.

(3) Gewährleistungspflichten: Das Recht auf Nahrung sieht keinen allumsorgenden Versorgungsstaat vor. Doch muss der Staat aktive Maßnahmen ergreifen, um den Menschen zu ermöglichen und sie darin zu unterstützen, ihr Recht auf Nahrung zu nutzen. Auch bedarf es geeigneter Hilfsmaßnahmen für in Not geratene Menschen. Ressourcenvorbehalte rechtfertigen nicht, untätig zu bleiben. Vielmehr müssen die Staaten unter Nutzung ihrer verfügbaren Ressourcen das Recht auf Nahrung fortschreitend umsetzen.

Was sind „extraterritoriale“ Staatenpflichten?

Die menschenrechtliche Verantwortung eines Staates endet nicht an seinen Grenzen. So darf Deutschland beispielsweise nicht im Rahmen seiner Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik oder als Mitglied der EU oder internationaler Organisationen (Weltbank, Welthandelsorganisation etc.) das Menschenrecht auf Nahrung in anderen Ländern verletzen. Vielmehr sollten sich die Staaten gegenseitig dabei unterstützen, das Menschenrecht auf Nahrung zu schützen und umzusetzen. Problemfelder sind z.B. Großprojekte, durch die Menschen von ihrem Land vertrieben werden; Dumping-Exporte von Lebensmitteln aus der EU in Entwicklungsländer, die dort einheimische Produzenten vom Markt verdrängen; Handelsliberalisierungen, die Kleinproduzenten und -händler vor Ort einem chancenlosen Verdrängungswettbewerb aussetzen; internationale Vorgaben für den nationalen Patentschutz, die den freien Zugang zu Saatgut behindern.

Einige internationale Mechanismen zur Stärkung des Rechts auf Nahrung

Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte überwacht die Umsetzung des UN-Sozialpaktes. Auch gibt es eine UN-Sonderberichterstatterin zum Recht auf Nahrung. Die „Freiwilligen Leitlinien zum Recht auf Nahrung“ der FAO von 2004 umfassen Maßnahmen zur Verwirklichung des Rechts auf Nahrung auf nationaler Ebene und gehen auf internationale Rahmenbedingungen ein, die hierfür notwendig sind. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011 wiederum bieten die Chance, Wirtschaftsunternehmen stärker in die menschenrechtliche Verantwortung zu nehmen.


Michael Krennerich, Mai 2015


Weiterführende Literatur und Links

Deutsche Welthungerhilfe: Handbuch Welternährung, Frankfurt/M.: Campus, 2011.

FIAN Deutschland: FOODFirst-Magazin, vierteljährlich.

Krennerich, Michael: Soziale Menschenrechte – zwischen Recht und Politik, Schwalbach/Ts., 2013.

www.fao.org/righttofood: Right to Food Unit der FAO.

www.fian.de; www.fian.org: FIAN, Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung.

www.ohchr.org/EN/Issues/Food: UN-Sonderberichterstatterin zum Recht auf Nahrung.

www.policies-against-hunger.de: jährliche Konferenzdokumentationen der Bundesregierung.

www.rtfn-watch.org: Right to Food and Nutrition Watch.

Ziegler, Jean: Wir lassen sie verhungern. Massenvernichtung in der Dritten Welt, Berlin, 2013.

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