Am 30. August ist Internationaler Tag der Opfer des Verschwindenlassens. Aus Anlass dieses Tages bringen wir, in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte, ein Interview mit Rainer Huhle, Mitglied im UN-Ausschuss gegen das gewaltsame Verschwindenlassen und Vorstandsmitglied des NMRZ. Außerdem einen Artikel von Christiane Schulz, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Im Mittelpunkt steht eine wichtige Entscheidung des UN-Ausschusses, in der es um die Verpflichtungen eines Staates gegenüber inhaftierten Personen geht, die als Häftlinge in seiner Obhut sind. Der Ausschuss hat darin unter anderem festgestellt, dass auch in regulären Haftanstalten Verschwindenlassen im Sinne der Konvention vorkommt. Im betreffenden Fall aus Argentinien hat der Ausschuss die Verlegung eines Häftlings, ohne die Angehörigen oder den Rechtsbeistand zu informieren bei gleichzeitiger Weigerung der Gefängnisbehörden, über den neuen Aufenthaltsort Auskunft zu geben, als gewaltsames Verschwindenlassen bewertet.
Die peruanische Künstlerin Olga Verme-Mignot hat den „Verschwundenen“ eine Serie von Grafiken gewidmet, zusammen mit Gedichten von Eva-Maria Berg. Wir danken beiden Künstlerinnen für die Erlaubnis, zwei ihrer Arbeiten zur Gelegenheit des Tags der Opfer des Verschwindenlassens zu verwenden.
Eva-Maria Berg
als seien sie
immer noch
schlaflos
vor angst
sind ihre augen
niemals geschlossen
und flehen uns
lautlos um hilfe
an doch ähnlich
den sternen
deren licht
erst nach dem
verlöschen
die menschen erreicht
Fragen an Rainer Huhle, Mitglied im UN-Ausschuss gegen das gewaltsame Verschwindenlassen:
Welche Instrumente stehen dem Ausschuss zum Schutz vor dem gewaltsamen Verschwindenlassen generell zur Verfügung?
Rainer Huhle: Das Abkommen gegen das Verschwindenlassen beinhaltet die üblichen Verfahren von UN-Menschenrechtsverträgen: Prüfung von Staatenberichten, Individualbeschwerden, dazu die Möglichkeit von Länderbesuchen. Als besonders wichtig und sinnvoll hat sich aber ein Instrument herausgestellt, das kein anderer Vertragsausschuss in dieser Form hat: die Eilaktionen zur Suche von verschwundenen Personen, mit denen der Ausschuss den betroffenen Staat drängt, alles zu tun, um die Person(en) zu finden. Wir haben bisher weit über 300 solcher Suchaktionen bearbeitet. Das heißt, wir schreiben auf der Grundlage der erhaltenen und geprüften Information der Antragstellenden an den betreffenden Staat, bitten ihn, eilig der Sache nachzugehen und uns zu berichten, was er zum Auffinden der verschwundenen Person getan hat und welches Ergebnis seine Aktionen gebracht haben. Dieses aufwendige Verfahren bringt zwar den Ausschuss an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit, aber es ist auch eine Arbeit, die nahe an den Betroffenen ist und uns den eigentlichen Sinn solcher Ausschussarbeit immer vor Augen hält.
Der Ausschuss zum Schutz vor Verschwindenlassen hat erstmals eine Individualbeschwerde zugelassen. Welche Bedeutung hat eine solche Beschwerde für die Betroffenen?
Rainer Huhle: Der Ausschuss lässt eine Individualbeschwerde nur dann zu, wenn er sich davon überzeugt hat, dass die Betroffenen im eigenen Land nicht zu ihrem Recht gekommen sind. Diese Feststellung allein ist schon die erste Genugtuung für die Beschwerdeführenden. Der Ausschuss verpflichtet dann nämlich den Staat, seinen Schutzpflichten nach der Konvention gegen das Verschwindenlassen umfassend nachzukommen. Es wird also deutlich, dass es bei Versagen des nationalen Rechtsschutzes noch eine internationale Instanz gibt, die korrigierend eingreifen kann.
Was sind die wichtigsten Aspekte in den Empfehlungen des Ausschusses bei dieser Individualbeschwerde?
Rainer Huhle: Im Fall „Yrusta gegen Argentinien“ hat der Ausschuss Gelegenheit gehabt, wichtige Grundsatzentscheidungen zu treffen, die dann auch anderen Betroffenen in anderen Ländern zugutekommen können.In diesem Fall sind das vor allem Dinge, die den Strafvollzug in ganz normalen Gefängnissenbetreffen. Es kann nicht angehen, so der Ausschuss, dass ein Häftling nicht weiß, wohin er verlegt wird und dass die Gefängnisbehörden sogarden Angehörigen die Auskunft darüber verweigern. Eine solche geheime Haft ist völlig unrechtmäßig und ist gewaltsames Verschwindenlassen. Dabei kommt es nicht auf die Dauer dieser geheimen Haftzeit an, sondern auf den Grundsatz, dass der Staat für Gefangene in seiner Obhut eine besondere Schutzpflicht hat, zu der auch die Transparenz und Überprüfbarkeit seines Handelns gehört.
Eva-Maria Berg
da die ziffern
nicht sprechen können
von namen und
die schatten zahllose
gesichter verbergen
suchen die toten
nach zeugen