In Spanien streitet man sich noch immer um die Verherrlichung der Franco-Diktatur im „Tal der Gefallenen“.
Ein Beitrag von Ricard Vinyes mit einer Einleitung von Rainer Huhle.
Nicht die Kongresshalle… Foto: Rainer Huhle
Dies ist kein Foto von der Kongresshalle am Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, sondern von den Kolonnaden, die einen kleinen Teil des gigantischen Denkmalskomplexes „Tal der Gefallenen“ (Valle de los Caídos) in der Nähe von Madrid ausmachen. In Gestaltung und auch in seinen gigantischen Dimensionen ist das „Tal der Gefallenen“ den Bauten des Reichsparteitagsgeländes vergleichbar. Ebenso in seiner Funktion, ein grausames Unrechtsregime durch Monumentalbauten zu verewigen: „Die Steine, die hier errichtet werden, sollen großartig wie die antiken Monumente sein, sie sollen der Zeit und dem Vergessen widerstehen und einen Ort der Meditation und der Ruhe schaffen, an dem künftige Generationen denjenigen Bewunderung zollen, die ihnen ein besseres Spanien hinterlassen haben.“ So steht es in der von Franco unterzeichneten Gründungsurkunde vom 1. April 1940. Insofern lohnt sich auch für Nürnberg ein Blick auf die Diskussionen, die seit dem Ende der Francodiktatur in den siebziger Jahren in Spanien – bis heute ohne greifbares Ergebnis – geführt werden.
Die erheblichen Unterschiede zwischen dem NS-Regime und der Franco-Herrschaft manifestieren sich allerdings auch in den mit den jeweiligen Bauten verbundenen Absichten. Während das Reichsparteitagsgelände der lebendigen Prachtentfaltung eines im Aufstieg begriffenen Regimes diente, die dann im Krieg in Verfall und Vergessenheit geriet, sollte das „Tal der Gefallenen“ der Verewigung von Francos Regime nach dem gewonnenen Krieg gegen die Republik dienen, Manifest seiner politisch-religiösen Ideologie und einer erzwungenen falschen „nationalen Versöhnung“.[1]
Das „Tal der Gefallenen“ wurde ab 1940 in fast 20 Jahren Bauzeit an einem weithin sichtbaren Ort nur 10 Kilometer vom Symbol der spanischen Königsherrschaft aus der Hochzeit der alten Monarchie, dem Escorial-Palast, errichtet und 1959 von General Franco offiziell eingeweiht. Entgegen dem Namen ist sein Herzstück ein Berg, ein großer Naturfelsen, auf den ein 150 Meter hohes Betonkreuz gesetzt wurde, gehalten von einem Sockel mit monumentalen Skulpturen. In den Berg hineingetrieben wurde eine riesige Kirche, die 1960 von Papst Johannes XXIII den Rang einer Basilika erhielt. Für Besucher zugänglich ist sie über einen gewaltigen Vorplatz mit den oben abgebildeten Kolonnaden. Von der Rückseite her ist sie mit dem Kloster der Benedektiner verbunden, die bis heute täglich in der Kirche eine feierliche Messe zelebrieren und den politisch-religiösen Kult der Francozeit aufrechterhalten, der sich auch in der Innengestaltung der Basilika niederschlägt, wo christliche Symbolik sich nahtlos mit den Insignien der Falange und des Franco-Regimes trifft.
Erbaut wurde das Ganze im Wesentlichen von Gefangenen der besiegten Republik, die damit den massenhaften standrechtlichen Erschießungen der Nachkriegszeit entgingen und sich nach langen Jahren der Arbeit im Fels oder an den Monumentalbauten eine vorzeitige Entlassung verdienten, sofern sie die harten Arbeitsbedingungen überlebten.
Nach der Fertigstellung wurden von 1959 bis noch 1983, nach Erkenntnissen der 2011 von der Regierung einberufenen „Expertenkommission über die Zukunft des Tals der Gefallenen“,[2] insgesamt 33.847 Leichen aus fast allen Landesteilen in das Monument gebracht und dort in zwei Massengräbern auf beiden Seiten der Basilika begraben. Neben toten Francoanhängern waren es auch Tausende von Opfern der Diktatur, die ohne Einwilligung und oft ohne Wissen ihrer Familien von Friedhöfen und geheimen Massengräbern dorthin verbracht wurden. In den Augen des Regimes sollte dies die Versöhnung Spaniens im Zeichen der Sieger darstellen. Auch der historische Führer der spanischen Falange, José Antonio Primo de Rivera wurde aus dem Escorial-Palast exhumiert und in die Basilika des „Tals der Gefallenen“ verbracht, wo sein Grab, ebenso wie das von Franco selbst, direkt neben dem Hauptaltar liegt.
Das “Tal der Gefallenen” ist also gleichzeitig mindestens Dreierlei: ein Monument faschistischer Gigantomanie, ein Symbol eines Katholizismus, der seine Nabelschnur zur Franco-Ideologie nicht zu durchtrennen vermag, und ein riesiges Massengrab, das im Tod die einstigen Gegner zusammenzwingt zu einer vorgeblichen Versöhnung. Was soll man mit einem solchen Monstrum anfangen?
Die von Ministerpräsident Zapatero 2011 einberufene Kommission aus AkademikerInnen verschiedener Fachrichtungen und politischer Couleur kam zu recht vorsichtigen, konservativen Schlussfolgerungen, nicht zuletzt, weil sie sich in vielen Punkten nicht einigen konnte. Sie sprach sich gegen eine Umbenennung des ganzen Komplexes im Sinn des Prinzips „Erklären statt zerstören“ aus und zugleich für Maßnahmen zum Aufhalten des bereits eingetretenen Zerfalls. Es solle ein Prozess der „Umdeutung“ des Monuments eingeleitet werden, mit minimalen Eingriffen in die bestehende Substanz des Komplexes, lediglich der Leichnam von Franco solle in ein Grab andernorts umgebettet werden. Die ganze Last der Umdeutung in eine in einer Demokratie akzeptable Erinnerungsstätte für alle Opfer des Bürgerkriegs und der Diktatur bürdete die Kommission einem zu schaffenden Dokumentations- und Informationszentrumzentrum auf, das das bestehende Monopol der Benediktinerabtei durchbräche. Bis heute existiert nichts dergleichen.
Ratlosigkeit offenbarte die Kommission bei dem besonders heiklen Punkt der Identifizierung der über 33.000 sterblichen Reste, die in einem unwürdigen Zustand in provisorischen Behältern durcheinanderliegen, dem Verfall preisgegeben sind und in einigen Fällen von Familienangehörigen zurückgefordert werden, um sie würdig begraben zu können.
Der Tierarzt Manuel Lapeña und der Schmied Antonio Ramiro Lapeña wurden von den Franco-Truppen bereits 1936 in den ersten Tagen des Krieges verschleppt, ermordet. Ihre Überreste gehörten zu den ersten Opfern der Diktatur, die 1959 mit ins Tal der Gefallenen verbracht wurden. Die Familienangehörigen klagten vergeblich vor der spanischen Justiz auf Herausgabe der sterblichen Reste aus der Basilika an die Familie. Auch vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wurden sie 2014 abgewiesen, doch im Mai 2016 anerkannte das zuständige Gericht der Region der Familie das Recht auf ein würdiges Begräbnis und verpflichtete den Staat, die Überreste der beiden Ermordeten zu identifizieren und der Familie zu übergeben. Damit ist wieder Bewegung in diese schwierigste Frage des Umgangs mit dem größten der zahlreichen Massengräber aus der Francozeit gekommen. Die Forderung nach Exhumierung und Identifizierung der vielen anonym begrabenen Toten ist ja in ganz Spanien auf der Tagesordnung.
Das Tal der Gefallenen als Ganzes verfällt gleichzeitig Jahr für Jahr weiter, weil die Behörden keine Entscheidungen über die Zukunft des Ganzen treffen. Immer mehr große Blechgefäße fangen in der Basilika das Wasser auf, das durch das Kalkgestein des Berges und die Decke der Basilika rinnt und die Mosaiken und Wandbilder angreift. Die riesigen steinernen Skulpturen bröckeln und gefährden Besucher, der Fußweg auf den Berg zum Kreuz ist ebenso geschlossen wie die einstige Zahnradbahn. Und das Bild der in den Gewölben an den Seiten der Basilika verwesenden Leichen wird sorgfältig vor jedem Blick bewahrt. Die zahlenden Besucher (Eintritt 9.- Euro) dürfen nur die monumentale Symbiose von Kirche und Faschismus sehen.
Den renommierten US-amerikanischen Journalisten und Autor Jon Lee Anderson, bekannt u.a. durch eine Biografie von Che Guevara und ein kritisches Buch über den Irakkrieg, hat dieser Zustand so aufgeregt, dass er provokant in einem Zeitungsartikel vorschlug, „mit Zustimmung des Parlaments … dieses Denkmal der Brutalität, das sich Tal der Gefallenen nennt, in die Luft zu sprengen.“[3] Das wäre zwar schwierig, aber im Prinzip machbar, haben doch die Erbauer selbst schon einen riesigen Gang quer durch den Felsen für die Basilika gesprengt und gegraben. Doch allein der Gedanke ist offenbar schon Sprengstoff, denn prompt hat die „Vereinigung zur Verteidigung des Tals der Gefallenen“ Strafanzeige gegen Anderson und den Herausgeber der Zeitung erstattet.
Sprengen will Ricard Vinyes das Monstrum aus der Francozeit nicht. Der angesehene Historiker, der selbst Mitglied der „Expertenkommission über die Zukunft des Tals der Gefallenen“ war, plädiert stattdessen dafür, der Natur ihren Lauf zu lassen und den Zerfall des Komplexes zu beobachten bzw. zu begleiten. Vinyes‘ Stimme hat Gewicht in Spanien, da er sich seit Langem intensiv und in vielen Funktionen an der erinnerungspolitischen Diskussion in Spanien beteiligt hat. Er ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Barcelona, mit den Forschungsschwerpunkten Geschichte der Francozeit und Erinnerungspolitik. Bekannt wurde er u.a. durch die erste umfassende Arbeit über die Situation der Frauen und Kinder in den Gefängnissen der Franco-Diktatur und die Tausende vom Regime ihren Müttern geraubten Kinder. Er ist regelmäßiger Kolumnist der Tageszeitung El País. Er war Vorsitzender der Kommission für einen demokratischen Erinnerungsort in Katalonien und Mitglied der Kommission für historische Erinnerung des Baskenlands. Seit 2015 ist er Koordinator der erinnerungspolitischen Museen und Aktivitäten der Stadt Barcelona.
Sein Essay über den Umgang mit faschistischen Monumenten, die zur Ruine werden, kann, bei allen beschriebenen Unterschieden, auch für hiesige Diskussionen Denkstoff liefern.
[1] Eine historische Bildergalerie zum Tal der Gefallenen stellt die Tageszeitung ABC zur Verfügung: http://www.abc.es/fotos-abc/20101118/valle-caidos-imagenes-66827.html (zuletzt abgerufen am 8.8.2016).
[2] Ministerio de la Presidencia: INFORME. Comisión de Expertos para el Futuro del Valle de los Caídos. Entrega al Ministro de la Presidencia en Madrid, el 29 de noviembre de 2011 (abrufbar auf http://digital.csic.es/handle/10261/85710, zuletzt 12.8.16)
[3] http://www.eldiario.es/zonacritica/Dinamitar-Valle-Caidos_6_538306169.html 17/07/2016