Von Max Barnewitz und Alice Speck
Jedes Jahr wird am 3. Mai der Internationale Tag der Pressefreiheit gefeiert. Dieser Tag erinnert an die „Erklärung von Windhoek” aus dem Jahr 1991, die die Förderung einer unabhängigen und pluralistischen Presse zum Ziel hat. Er erinnert aber auch daran, dass in vielen Staaten der Welt eine freie Berichterstattung nicht möglich ist und Journalisten in ihrer Arbeit massiv behindert, sowie verbal und körperlich angegriffen werden. Durch diese willkürliche Einschränkung der Pressefreiheit werden die Menschenrechte verletzt – konkret Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Darin heißt es: „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.” In vielen Staaten ist das Recht auf Pressefreiheit zudem in der Verfassung verankert, so zum Beispiel auch in Artikel 5 des Grundgesetzes.
Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen herrscht in Europa mit Blick auf die Pressefreiheit in weiten Teilen eine zufriedenstellende bis gute Lage und etliche EU-Länder belegen die oberen Plätze der Rangliste der Pressefreiheit 2016. Spitzenreiter ist Finnland, gefolgt von der Niederlande (2) und Norwegen (3). Deutschland landete 2016 auf Platz 16. Trotz des guten Abschneidens vieler EU-Länder, gibt es auch Grund zur Besorgnis. Beispielsweise ist Polen im Vergleich zum Vorjahr (2015) um 29 Plätze abgerutscht und landete 2016 nur noch auf Platz 47. Grund hierfür ist das 2015 verabschiedete Mediengesetz, das der nationalkonservativen PiS-Regierung einen größeren Einfluss auf Personalentscheidungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewährt. Der Versuch, die Parlamentsberichterstattung einzuschränken, ist aufgrund von Protesten in der Bevölkerung gescheitert.
Doch auch jene Länder, denen eine freie und pluralistische Medienlandschaft attestiert wird, stehen vor neuen Herausforderungen. Eine zunehmende Anzahl rechtspopulistischer, mitunter auch rechtsextremistischer Parteien und Gruppierungen, machen aktiv Stimmung gegen Presseorgane und beschimpfen diese als „Lügenpresse”. Die Presse wird als verlängerter Arm des sogenannten „Establishment“ diskreditiert. Journalisten wird vorgeworfen, sie würden einseitig berichten. So nimmt die Anzahl von Übergriffen gegen Journalisten, die über rechtspopulistische Parteien oder rechtsextremistische Gruppierungen berichten, zu.
Eine weitere Herausforderung besteht im Umgang mit sogenannter „Hate Speech” (zu dt.: „Hassrede”), also das bewusste Herabwerten und Angreifen bestimmter Menschen oder Gruppen im Internet. Diese Form des ungezügelten Kundtuns der eigenen Meinung findet insbesondere in Kommentaren in den sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter statt. Zielscheibe sind meist Geflüchtete, Menschen mit Behinderung, Homo- oder Transsexuelle oder Sinti und Roma, aber auch Frauen. Zudem sehen sich auch Politiker[1] zunehmend Diffamierungen – die weit „unter die Gürtellinie gehen“ – im Netz ausgesetzt.
Zwar hat Hate Speech nicht zwingend etwas mit Populismus zu tun, folgt aber einer ähnlichen Logik: Beide Phänomene werden definiert durch die Konstruktion von Feindbildern und durch eine polarisierende und provokante Sprache. Mitunter können sich beide auch ergänzen und sind dabei Ausdruck einer zunehmend verrohenden Diskussionskultur. Was verbirgt sich aber hinter dem Phänomen Populismus?
Populismus ist kein neues Phänomen. Seit jeher bedienen sich politische Akteure – gleich welcher Couleur – jener Logiken, die dem Populismus zugrunde liegen. Auch sogenannte etablierte Parteien, also solche Parteien, denen nicht per se vorgeworfen wird, mit populistischen Parolen auf Wählerstimmenfang zu gehen, reduzieren komplexe Sachverhalte gerne auf einfache, griffige Aussagen, um sie ihrer potenziellen Wählerschaft schmackhaft zu machen. Für das politische Alltagsgeschäft ist dies eine gängige und – zugegebenermaßen – nachvollziehbare Strategie. Allerdings entwickelt sich der Begriff des „Populistischen“ in aktuellen Debatten immer stärker zu einem politischen Kampfbegriff. Unter anderen weil in ganz Europa rechtspopulistische und rechtsextremistische Parteien erstarken, die eben nicht nur versuchen, mit einfachen, heruntergebrochenen Aussagen Wähler zu mobilisieren, sondern auch grundlegende Werte in Frage stellen und ihre politischen Gegner massiv herabwürdigen. Besonders problematisch ist es, wenn die populistische Rede sich gegenüber Argumenten und damit einem echten Diskurs verschließt.
Allzu gerne beanspruchen populistische Parteien und Politiker dabei einen Alleinvertretungsanspruch des Volkswillens und inszenieren sich als die „Garanten des Gemeinwohles“ oder auch als die „Retter der Nation“. Damit verbunden ist ein im Kern zutiefst antipluralistisches Verständnis von Demokratie. Es wird behauptet, es bestehe ein homogener, einheitlicher Volkswille, von dem die Inhalte etablierter Parteien aber auch die Veröffentlichungen von Presseorganen abweichen. Mehr noch, sie würden diesem Volkswillen zuwiderlaufen und ihm letzten Endes schaden. Dieser Volkswille wird jedoch nicht im Diskussionsverlauf ausgehandelt, sodass die Möglichkeit bestünde, abweichende oder gegensätzliche Meinungen einfließen zu lassen. Stattdessen wird er als im Vorhinein gegeben betrachtet und muss nur erkannt und erfühlt werden. Ein sichtbarer Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit. Gleichzeitig schließen Populisten aus, dass sie sich mit ihrem gefühlten Volkswillen und ihren daraus resultierenden politischen Forderungen womöglich irren. In der Folge führt dies dazu, dass die eigene Meinung als unantastbar und absolut angesehen wird. Sowohl Selbstkritik oder Selbstzweifel als auch externe Kritik wird nicht zugelassen. Diese Logik lässt sich losgelöst von einzelnen Politikinhalten auf sämtliche Politikfelder übertragen und beschränkt sich nicht auf ein bestimmtes politisches Spektrum – obwohl der Rechtspopulismus in der aktuellen Debatte präsenter ist.
Die Forderung nach mehr direktdemokratischen Elementen fügt sich, obwohl es auf den ersten Blick paradox erscheinen mag, lückenlos in diese Logik bzw. Strategie der Konstruktion eines homogenen Volkswillens ein. Bürgerentscheide dienen populistischen Akteuren dabei ausschließlich der Bestätigung jenes Volkswillens. Jegliche Abweichung von ihm, also ein Bürgerentscheid, der gegen ihre Forderungen ausgeht, wird als Ausdruck eines „medial verblendeten Systems“ angesehen. Dabei wird jedoch vernachlässigt, dass Demokratie auch bedeuten kann, keine Mehrheit hinter der eigenen Meinung zu wissen und dies anerkennen zu müssen. Gleichwohl sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass die Forderung nach mehr direkter Demokratie nicht zuerst und ausschließlich von Populisten gestellt wurde und wird. Auch etliche zivilgesellschaftliche Akteure fordern mehr Bürgerentscheide. Entscheidend ist hierbei vielmehr der Umgang mit den Ergebnissen: Werden andere Meinungen und Stimmen akzeptiert oder werden sie abgetan und diffamiert?
Gefährlich wird Populismus, wenn er die Verlässlichkeit und die Funktionsweise des demokratischen Systems und seiner Institutionen und Regeln infrage stellt – was nicht bedeuten soll, dass (System-) Kritik nicht legitim sei. Im Gegenteil: In pluralistischen Demokratien ist Kritik und das Nebeneinander konkurrierender Meinungen nicht nur möglich, sondern sogar gewollt und notwendig. Kritikpunkte, beispielsweise an der Politik der aktuellen Regierung, der Europäischen Union oder der Medienlandschaft sind Fragen, die gestellt und debattiert werden müssen. Problematisch ist im Rahmen populistischer Strategien jedoch der ausschließende Charakter von Parolen wie „Wir sind das Volk“ – denn dies impliziert auch „Ihr seid es nicht“. Auf diese Weise wird aus einem politischen Diskurs ein moralischer Kampf darum, wer überhaupt mitreden darf, wessen Meinung gehört wird. Das Volk sind dabei nicht nur jene Anhänger und Sympathisanten, die dies auf Demonstrationen und anderen Veranstaltungen dieser populistischen Parteien und Gruppierungen lautstark kundtun, sondern auch die sogenannte „schweigende Mehrheit“. Der Grund, weswegen diese Mehrheit schweigend bleibt, liege darin, dass ihre Meinung von einer oft als „Diktatur“ bezeichneten Politik oder Medienlandschaft unterdrückt wird – beispielhaft sei hier die vermeintliche Herrschaft einer sogenannten „political correctness“ genannt. Sie beschneide die Meinungsfreiheit und dadurch auch die politische Willensbildung. Jegliche Akteure, die sich nun gegen eine eben solche „political correctness“ engagieren (Stichwort: „Das darf man doch wohl mal sagen!“), kleiden sich auf diese Weise in ein scheinbar demokratisches Gewand, während etablierten Parteien und Medien jegliche Legitimation abgesprochen wird.
Sichtbar wird dieses gespaltene Verhältnis von Populisten zu „den Medien“ im Alltag. Einerseits suchen Massenmedien und Populisten die Nähe zueinander. Populismus oder populistische Akteure ziehen Aufmerksamkeit auf sich. Aufmerksamkeit, die sich in Einschaltquoten, Verkaufszahlen, Klickzahlen oder Followern in sozialen Netzwerken äußert und von der zunächst beide Seiten profitieren. Ein Grund hierfür ist, dass bestimmte Logiken, welche dem Populismus zugrunde liegen, in gewisser Weise besonders „medien-kompatibel” bzw. attraktiv für „die Medien” sind. Gleichwohl an diese Stelle gesagt sein sollte, dass solche eine Verallgemeinerung immer vorsichtig angestellt werden sollte. Eine Logik, die sich dennoch bei den meisten Populisten erkennen lässt, ist es, komplexe Sachverhalte vereinfachend darzustellen. Ereignisse, Entwicklungen oder Äußerungen von Akteuren aus Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft werden auf plakative, einfache Aussagen reduziert. Eine Parallele dazu lässt sich in der Arbeit von Medien finden. Auch hier werden komplexe Sachverhalte in der Schlagzeile oder zu Beginn eines Beitrags meist auf einfache, griffige Aussagen reduziert. Dies ist nachvollziehbar, denn es soll ja die Aufmerksamkeit des Lesers, Hörers oder Zuschauers gewonnen werden. Aber auch provokative, umstrittene oder skandalöse Aussagen von Populisten sind – um es salopp auszudrücken – gefundenes Futter für „die Medien”.
Andererseits ist der Umgang von Populisten mit „den Medien” oftmals ruppig, herablassend oder feindselig. Unter anderem zählte Reporter ohne Grenzen 2015 in Deutschland mindestens 39 Übergriffe auf Journalisten, welche vor Ort von Demonstrationen neonazistischer Gruppierungen, rechtspopulistischer Gruppierungen wie beispielsweise Pegida und seiner örtlichen Ableger oder von Veranstaltungen der AfD (Alternative für Deutschland) berichtet haben. Dabei wurde entweder die Ausrüstung zerstört oder die Journalisten körperlich angegriffen. Ähnlich ist die Lage in Frankreich, wo einzelnen Journalisten immer wieder der Zugang zu Veranstaltungen der rechtsextremen Partei Front National verwehrt wird. Eine unabhängige, kritische Berichterstattung, der sich alle Bewerber und Inhaber politischer Ämter in einer Demokratie unterziehen sollten, ist so nicht möglich. Zudem werden auch hier immer wieder „die Medien” in ihrer Gesamtheit beschimpft – zum Teil von der Parteivorsitzenden des Front National, Marine Le Pen, persönlich.
Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten stehen auch die Presseorgane in den USA vor neuen Herausforderungen. Nicht nur wurden Teile der Medien von Trump als „Feinde des amerikanischen Volkes” bezeichnet und wird ihnen vorgeworfen, sie würden Falschmeldungen über ihn und seine Regierung und deren Beziehungen zu Russland verbreiten. Auch wurden bereits kurz nach der Amtseinführung bestimmte Korrespondenten von routinemäßigen Pressekonferenzen und Pressebriefings im Weißen Haus ausgeschlossen. Betroffen waren unter anderem die New York Times, Politico und CNN. Medien, die als konservativ gelten, wie beispielsweise ABC, The Wall Street Journal oder Fox News durften hingegen weiterhin an Presseterminen teilnehmen. Üblich ist ein solches Vorgehen nicht. Es ist vielmehr im höchsten Maße bedenklich, wenn in einer Demokratie bestimmten Medien der Zutritt zu Presseterminen der Regierung und damit der Zugang zu Informationen aus erster Hand verwehrt wird.
Der Versuch, mit solchen Mitteln eine kritische und unabhängige Berichterstattung zu verhindern, kann als Angriff auf die Pressefreiheit angesehen werden. Denn wer sich als Vertreter des Volkes versteht, muss sich auch dessen Kritik stellen. Wer „die Medien“ als verlängerten Arm des Establishment sieht und sie z.B. als „Lügenpresse” bezeichnet, der darf nicht erwarten, über sich selbst nur bestimmte, wohlwollende Artikel zu lesen. Wer sich selbst die Freiheit nimmt, unter Berufung auf die Meinungsfreiheit andere zu verunglimpfen, der muss auch die Kritik daran aushalten und darf nicht versuchen, diese Kritiker zum Schweigen zu bringen. Denn Demokratie bedeutet auch, anzuerkennen, dass keine Mehrheit hinter der eigenen Meinung stehen muss. Dies gilt nicht nur für Politiker, sondern auch für jeden einzelnen Bürger – kurzum: für jeden Akteur im politischen System. Demokratie als Haltung und nicht nur als Herrschaftsform begreifen, bringt auch Verantwortung mit sich. Verantwortung, einander mit sachlichen Argumenten in einem fairen Diskurs zu begegnen. Verantwortung, sein Gegenüber als politischen Gegner und nicht als bedrohlichen Feind wahrzunehmen. Verantwortung, seine eigene Haltung nicht als vox populi („Stimme des Volkes“) zu verabsolutieren, sondern sie in einem Diskurs mit konkurrierenden Meinungen messen zu lassen – das beinhaltet auch die Anerkennung des Beitrags pluralistischer Medien in unserer Demokratie.
Vor diesem Hintergrund gilt es nach wie vor, beharrlich für Pressefreiheit einzutreten – hier wie im Ausland. Wir müssen uns bewusst werden, dass Pressefreiheit keineswegs eine Selbstverständlichkeit darstellt – sie muss bewahrt und wertgeschätzt werden. Tag für Tag.
[1] Aus Vereinfachungsgründen wird in diesem Artikel nur die jeweils männliche Form gewählt, gemeint sind sowohl männliche als auch weibliche Formen.
Quellen und weiterführende Literatur:
Diehl, Paula (2012): Populismus und Massenmedien, verfügbar unter: http://www.bpb.de/apuz/75854/populismus-und-massenmedien?p=all (19.04.2017).
Mudde, Cas (2004): The Populist Zeitgeist, in: Government and Opposition 39 (4), S. 541-563.
Müller, Jan-Werner (2016): Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin, Suhrkamp.
Die Zeit (1946): Feind und Gegner, in: Zeit.de v. 14.03.1946, verfügbar unter: http://www.zeit.de/1946/04/feind-und-gegner/komplettansicht (19.04.2017).
Reporter ohne Grenzen (2016a): Rangliste der Pressefreiheit 2016. Ausgewählte Übergriffe auf Journalisten 2015/16, verfügbar unter: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Presse/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2016/Uebergriffe_auf_Journalisten_2015-16_-_Ausgewaehlte_Beispiele.pdf (19.04.2017).
Reporter ohne Grenzen (2016b): Rangliste der Pressefreiheit 2016. Nahaufnahme Deutschland, verfügbar unter: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Presse/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2016/Nahaufnahme_Deutschland_2016.pdf (19.04.2017).
Bildquelle: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/2017/