von Katharina Hildenbrand
Am 25. November wird der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen begangen, der 1999 erstmals durch die Vereinten Nationen initiiert wurde. Begleitet durch die Fahnenaktion „NEIN zu Gewalt an Frauen“ von TERRE DES FEMMES, setzen auf internationaler Ebene viele Mitwirkende, so auch das Nürnberger Menschenrechtszentrum e.V., ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen.
Die Vereinten Nationen schätzen, dass weltweit etwa 50% aller Flüchtlinge Frauen und Kinder sind (UNO Flüchtlingshilfe o.J.). Auch in Deutschland stellen von den zwischen Januar und Oktober 2017 eingegangenen 151.057 Asylanträgen etwa 39% Frauen dar und machen damit etwas mehr als 1/3 aller Antragsteller*innen aus (BpB 2017).
Aufgrund hoher Zahlen weiblicher Schutzsuchender weltweit, gilt es am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, die Lebenssituation von geflüchteten Frauen in Deutschland in den Fokus zu rücken. Denn geflüchtete Frauen stellen, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll, eine besonders von Gewalt bedrohte und betroffene Gruppe dar.
Grundsätzlich wird Gewalt gegen Frauen in Anlehnung an Art. 3a der Istanbulkonvention als eine Verletzung der Menschenrechte und Diskriminierung von Frauen verstanden und umfasst jene Handlungen, deren Folgen körperlicher, sexueller, psychischer und wirtschaftlicher Natur für Frauen sind. Darunter fallen auch solche Handlungen, die durch Androhung, Nötigung oder Freiheitsentziehung ausgelöst im öffentlichen oder privaten Kontext geschehen. Geschlechtsspezifische Gewalt hingegen wird nach Art. 3d definiert als jene Art von Gewalt, die sich gegen Frauen aufgrund ihres Geschlechts richtet, oder die sich übermäßig häufig gegen diese richtet. Bedeutsam ist an dieser Stelle, dass Geschlecht nach Art. 3c als soziales Konstrukt (Gender) verstanden wird und demnach auch Menschen in die Konvention miteinschließt, die sich als LGBTI* verstehen.
Bereits im Rahmen der Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zur Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland (2004) konnten 65 geflüchtete Frauen befragt werden. Wenngleich die Befragung keine repräsentativen Ergebnisse aufweist, lassen die Zahlen auf eine hohe Gewaltprävalenz der Gruppe schließen, denn 51% der Befragten haben bereits körperliche, 25% sexualisierte und 79% psychische Gewalt erfahren. Meist berichten die Frauen von Gewalterfahrungen im Kontext ihrer eigenen Partnerschaft oder in eigenem Wohnraum, in Rahmen von Betreuungssettings oder durch rassistische Übergriffe. Da sich der Zugang zu der Gruppe als schwierig gestaltet und Hemmschwellen die Thematisierung von Gewalt beeinflussen, muss man sogar mit einer weitaus höheren Zahl an gewalterfahrenen geflüchteten Frauen rechnen. Ein Teil der Frauen erlebte bereits in ihrem Herkunftsland, auf der Flucht oder in der Unterbringung in Deutschland Gewalt. (BMFSFJ 2004) Dies soll im Folgenden skizziert werden:
Gewalt gegen Frauen als Fluchtursache
Viele Frauen flüchten ähnlich wie Männer vor Verfolgung, Krieg und Armut. Hinzu kommen geschlechtsspezifische Fluchtursachen für Frauen wie Zwangsprostitution, häusliche Gewalt, Genitalverstümmelungen oder Frauenhandel (Frauen helfen Frauen e.V. 2017).
Anschließend daran zeigen auch die Ergebnisse der Female Refugee-Studie auf, dass die Bedrohung des eigenen Lebens durch Krieg und Terror die Hauptfluchtgründe darstellen. Darüber hinaus lassen sich länderspezifische Fluchtursachen nennen: Während Somalierinnen ihre Heimat häufig aus Angst vor Ehrenmorden verlassen müssen, veranlasst Äthiopierinnen die Erfahrung von Folter, geschlechterspezifischer Gewalt oder eigener politischer Beteiligung zur Flucht. Irakerinnen verorten ihre Fluchtgründe hauptsächlich in der Angst vor Entführungen oder religiös bedingter Verfolgung. (Abels & Schouler-Ocak 2017)
Eine Antwort darauf bietet die Genfer Flüchtlingskonvention, die geschlechtsspezifische Verfolgung als Fluchtgrund anerkennt und unter „Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe“ einordnet. Dies trifft nach den Bestimmungen des UN-Flüchtlingshochkommissars (UNHCR) dann zu, wenn Geschlecht mit der Verfolgung in Zusammenhang steht oder für sie ursächlich ist. Auch das Asylrecht in Deutschland erkennt geschlechtsspezifische Verfolgung seit 2005 als eine Art von Verfolgung an, welche bisher trotz hoher Bedeutsamkeit nur ungenügend Berücksichtigung findet (Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. u.a. 2015) bzw. zu keinen sicheren Aufenthaltstiteln führt (TERRE DES FEMMES o.J.).
Gewalt gegen Frauen auf der Flucht
Amnesty International informiert, dass Frauen auch während der Flucht von einem hohen Risiko an Gewalt, ausbeuterischen Verhältnissen, sexueller Belästigung oder Übergriffen betroffen sind. Die Schutzsuchenden selbst berichten, dass Sicherheitsbedienstete und Schmuggler ihre abhängige Lage ausgenutzt und sexuelle Gegenleistungen erwartet haben. Die Übernachtungsmöglichkeiten und sanitären Anlagen während der Flucht weisen häufig keinerlei Schutz- und Sicherheitsstandards auf. Besondere Schutzbedürftigkeit trifft hierbei schwangere Frauen oder Frauen, die alleine oder mit ihren Kindern flüchten. (Amnesty International 2016) Die Ergebnisse der Female Refugee-Studie zeigen, dass Frauen aus afrikanischen Ländern weitaus häufiger als Frauen des Mittleren Ostens ohne Begleitung flüchten und damit besonders schutzlos sind. Denn Begleitung und Unterstützung stellen einen bedeutsamen Schutzfaktor für Frauen auf der Flucht dar. (Abels & Schouler-Ocak 2017)
Gewalt gegen geflüchtete Frauen in Deutschland
Spricht man über Gewalt gegen geflüchtete Frauen, so rückt die sicherheitslückenaufweisende Unterbringung der Schutzsuchenden in der Bundesrepublik ins Zentrum. Häufig sind die zahlenmäßig männerdominierten Unterkünfte überfüllt, erlauben keine Privatsphäre und weisen einen Mangel an frauenspezifischen- und geschützten Räumen auf. Durch die Nichteinhaltung von Geschlechtertrennung oder der Tatsache, dass sanitäre Anlagen nicht abschließbar sind, können Räume mit einem erhöhten Risiko an Übergriffen entstehen. Hinzu kommt, dass viele Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte keine verpflichtenden Gewaltschutzkonzepte aufweisen, weniger noch kommt es zu einer Überprüfung über die Einhaltung der Konzepte (Rabe 2015). Dennoch gilt an dieser Stelle zu erwähnen, dass sich seit der Studie von 2015 die Unterbringungslage verändert hat. Einerseits ist dies der sinkenden Zahl neuankommender Geflüchteter in der Bundesrepublik geschuldet, andererseits den lokalen Bemühungen zum Schutz von Frauen in Gemeinschaftsunterkünften.
Rechtlicher Rahmen
Gewalt gegen Frauen stellt eine grund-, menschen- und frauenrechtsverletzende Thematik globalen Charakters dar, die mittels internationaler, europäischer und nationalstaatlicher Gesetzgebung verhindert und der entgegengewirkt werden muss.
Unter anderem geht dies aus dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau hervor – auch bekannt als Konvention gegen die Diskriminierung der Frau oder CEDAW-, das am 18.12.1979 verabschiedet und bisher von 189 der 193 VN-Staaten ratifiziert wurde, so auch durch Deutschland am 10.07.1985 (UN Women 2017). Wenngleich die Konvention Gewalt gegen Frauen zunächst nicht näher definiert, wurde durch einen späteren General Comment Nr. 19 (1992) festgelegt, dass geschlechtsspezifische Gewalt eine Art der Diskriminierung darstellt und unter die Zuständigkeit der Konvention fällt. (Rabe 2015)
Einen weiteren Meilenstein stellt das rechtsverbindliche Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – auch als Istanbulkonvention bekannt – dar, welches europaweite Schutzstandards schafft und nach der Ratifizierung Deutschlands am 01.02.2018 in der Bundesrepublik in Kraft treten wird. Die konkret ausformulierten Schutzbestimmungen verpflichten die Mitgliedsstaaten zu präventiven Maßnahmen sowie der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und sehen einen besonderen Opferschutz und die Bestrafung der Täter*innen vor. (BMFSFJ 2017a)
Good Practice Beispiele
Trotz vieler Schritte, die im Bereich der Optimierung des Gewaltschutzes für geflüchtete Frauen noch gegangen werden müssen, gilt es beispielhaft einen Blick auf zwei erfolgreiche Initiativen zu werfen:
2016 wurden erstmals von Seiten des BMFSFJ und UNICEF sowie aus der Expertise vieler Netzwerkpartner Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften erarbeitet und 2017 mit dem Schwerpunkt Menschen mit Behinderung und LGBTI*-Geflüchteten erweitert. Ziel ist der angemessene Schutz dieser vulnerablen Gruppe. Die Standards sollen Leitlinien darstellen, aus denen alle Flüchtlingsunterkünfte eigene Schutzkonzepte erarbeiten, konzeptualisieren und umsetzen können. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Umgang mit Gewalt- und Gefährdungssituationen. Hierfür fördert das Ministerium die Errichtung von bundesweit 100 Koordinator*innenstellen für Gewaltschutz. (BMFSFJ 2017)
Einen weiteren Meilenstein bildet die Kampagne “Keine Lager für Frauen und Kinder!/ Alle Lager abschaffen“ von Women in Exile e.V. Die selbstorganisierte Gruppe von geflüchteten Frauen und Migrantinnen dokumentiert die Unterbringung von geflüchteten Frauen in Deutschland und thematisiert diese in Politik und Gesellschaft. Zudem sucht sie den Austausch zu geflüchteten Frauen und bildet diese als Multiplikator*innen aus, um in Flüchtlingsunterkünften zu rechtlichen und sozialen Belangen zu beraten und als Ansprechpartner*innen bei Erfahrungen von Gewalt zu agieren. (World Future Council 2016)
Forderungen
Eine besondere Herausforderung beim Schutz vor Gewalt gegen geflüchtete Frauen stellt das Aufeinandertreffen asylrechtlicher und frauenspezifischer Thematiken dar. Praktisch bedeutet dies eine Einschränkung des Gewaltschutzes durch asyl- bzw. aufenthaltsrechtliche Auflagen (Rabe 2015).
Deshalb fordert TERRE DES FEMMES für einen angemessenen Schutz den Ausbau von Frauenunterkünften und speziellen Schutzunterkünften für Betroffene von Gewalt. Neben der Geltendmachung von Gewaltschutzkonzepten verlangen sie die vollständige Anwendung des Gewaltschutzgesetzes ohne Einschränkung durch asylrechtliche Bestimmungen. Zudem halten sie an einer Sensibilisierung der Thematik für Mitarbeitende fest. (TERRE DES FEMMES 2015)
Ebenso fordert der CEDAW-Ausschuss eine sichere Unterbringung asylsuchender Frauen, worunter auch die Einführung von Überwachungs-und Beschwerdemechanismen in Flüchtlingsunterkünften fällt (Rabe 2015). Das Deutsche Institut für Menschenrechte spricht sich für eine Standardisierung des Gewaltschutzes in Flüchtlingsunterkünften aus und befürwortet eine enge Kooperation und Vernetzung von Frauen- und Asylberatung. (Rabe 2015)
Ferner hat das Forum Menschenrechte Forderungen zur vorbehaltslosen Umsetzung der Istanbulkonvention in der Bundesrepublik anlässlich des Tages gegen Gewalt an Frauen formuliert, welche sich hier nachlesen lassen: http://bit.ly/2mVprHT.
Literatur:
Abels, Ingar & Schouler-Ocak, Meryam (2017). Study on Female Refugees. Abschlussbericht. Repräsentative Untersuchung von geflüchteten Frauen in unterschiedlichen Bundesländern in Deutschland. Verfügbar unter: http://bit.ly/2hZ7Ddc [14.11.2017]
Amnesty International (2016). Frauen auf der Flucht. Opfer von sexueller Gewalt und finanzieller Ausbeutung. Verfügbar unter: http://bit.ly/2jQsyzN [15.11.2017]
BMFSFJ (2004). Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Verfügbar unter: http://bit.ly/2lzkTV8 [06.11.2017]
BMFSFJ (2017). Schutz von Frauen und Kindern in Flüchtlingsunterkünften. Verfügbar unter: http://bit.ly/2qESjm0 [11.11.2017]
BMFSFJ (2017a). Schutz vor Gewalt an Frauen. Deutschland ratifiziert Istanbul-Konvention. Verfügbar unter: http://bit.ly/2A6yhFw [15.11.2017]
Bundeszentrale für politische Bildung (2017). Zahlen zu Asyl in Deutschland. Verfügbar unter: http://bit.ly/2zzoOZg [13.11.2017]
Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.; Brot für die Welt; Diakonie Deutschland & Diakonie Katastrophenhilfe (Hrsg.) (2015). Hilfe für Flüchtlinge. Geschlechtsspezifische Verfolgung. Verfügbar unter: http://bit.ly/2zjh8qM [13.11.2017]
Frauen helfen Frauen e.V. Rostock (2017). Geflüchtete Frauen und Gewalt. In Fachinformationsdienst zur Bekämpfung häuslicher und sexualisierter Gewalt in M-V. (44). Verfügbar unter: http://bit.ly/2hKVPHD [13.11.2017]
Heike Rabe (2015). Effektiver Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften. Deutsches Institut für Menschenrechte. Policy Paper Nr. 32. Verfügbar unter: http://bit.ly/1JaO5TZ [1.11.2017]
TERRE DES FEMMES (o.J.) Frauenspezifische Fluchtgründe. Verfügbar unter: http://bit.ly/2zu8p9x [14.11.2017]
TERRE DES FEMMES (2015). TERRE DES FEMMES fordert besonderen Schutz für Frauen auf der Flucht. Verfügbar unter: http://bit.ly/2hM4OIE [11.11.2017}
UNO Flüchtlingshilfe (o.J.). Frauen auf der Flucht. Besondere Bedürfnisse von Flüchtlingsfrauen. Verfügbar unter: http://bit.ly/2zfXXhT [10.11.2017]
UN Women (2017). Internationale Konventionen. Verfügbar unter: http://bit.ly/2jhCSg0 [10.11.2017]
World Future Council (2016). Geflüchtete Frauen und Mädchen vor Gewalt schützen. Eine Sammlung guter Praxisbeispiele. Verfügbar unter: http://bit.ly/2j88abR [15.11.2017]