Das derzeit in Deutschland herrschende Problem des Fachkräftemangels im Pflegebereich wird immer akuter. Händeringend sind Pflegeeinrichtungen auf der Suche nach Personal. Angesichts dessen finden in Politik und Gesellschaft viele Diskussionen darüber statt, wie die Situation verbessert werden kann. Ungeachtet dieser Tatsache – ganz zu schweigen von der prekären humanitären Lage im Bürgerkriegsgebiet in der Ukraine – wurde am Mittwochmorgen, den 18. Juli 2018, die in Nürnberg lebende, aus der Ukraine stammende Krankenschwester Svitlana K. zusammen mit ihrem Ehemann und der 9-jährigen Tochter in die Ukraine abgeschoben. Svitlana K. und ihre Familie waren in Nürnberg bestens integriert. Unser Mitglied, Pfarrer Kuno Hauck, der die Familie persönlich kennt, hat aus diesem Anlass einen offenen Brief an Bundesminister Horst Seehofer geschrieben, in dem er die aktuelle Flüchtlingspolitik kritisiert.
Offener Brief an Herrn Bundesminister Horst Seehofer
Abschiebung einer ukrainischen Altenpflege-Fachkraft entlarvt politische Sonntagsreden und perfide Flüchtlingspolitik
Sehr geehrter Herr Bundesminister Seehofer,
am Mittwochmorgen, den 18. Juli 2018, um 5.35 Uhr, wurde die in Nürnberg lebende, aus der Ukraine stammende Krankenschwester Svitlana K., zusammen mit ihrem Ehemann und der 9-jährigen Tochter, in die Ukraine abgeschoben.
Ich kenne die Familie seit drei Jahren persönlich und durfte miterleben, wie eine vom Bürgerkrieg schwer traumatisierte Familie in Deutschland neuen Lebensmut gewann und Perspektiven für ein dauerhaftes Leben in Frieden, Freiheit und Sicherheit entwickelte.
Svitlana K. hatte am 01.09.2016 am „Bildungszentrum für Pflege, Gesundheit und Soziales” in Nürnberg eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Altenpflegerin begonnen. Ihre praktische Ausbildung machte sie im „Haus für Betreuung und Pflege Nürnberg GmbH”.
Sie befand sich gerade im 2. Ausbildungsjahr und von der Schulleitung wurde ihr in einem Brief vom 25. Juni 2018 bescheinigt: „Ihre Leistungen in der Ausbildung sind überdurchschnittlich gut, sie besticht durch ihr Engagement sowie ihre Begeisterung für die Tätigkeit in der Altenpflege.”
Vor wenigen Tagen wurde ein Mitglied der Bundesregierung mit den Worten zitiert: „Angesichts des Bedarfs von bis zu 50 000 zusätzlichen Pflegekräften müsse auch im Ausland gesucht werden.”
Svitlana K. hatte einen Ausbildungsvertrag für eine dreijährige Ausbildung als staatlich anerkannte Altenpflegerin, sprach gut Deutsch und war sehr gut integriert. Die Tochter besuchte mit Erfolg die Friedrich-Staedtler-Schule in Nürnberg-Neunhof.
Es ist nicht nur die Abschiebung einer gut integrierten Familie, die aus dem Bürgerkriegsgebiet Donezk stammt und dort keine Zukunft hat, die mich empört. Einem Gebiet, von dem Werner Stahl von „Cap Anamur” vor wenigen Monaten gesagt hat: „Nirgendwo auf der Welt habe er Menschen in so schlechter, trauriger und ängstlicher Stimmung getroffen wie bei seiner Erkundungsreise entlang der Minsker Demarkationslinie … Viele Familien seien auseinandergerissen, die medizinische Versorgung der zurückgebliebenen alten Menschen schlecht. (DLF)
Es sind auch die unglaubwürdigen politischen Sonntagsreden, die einerseits von Pflegenotstand und notwendigen ausländischen Fachkräften reden und andererseits Fachkräfte, die bereits die deutsche Sprache beherrschen und sehr gute Arbeit in der Pflege leisten, ohne Anerkennung der erreichten Integrationserfolge gnadenlos abschieben.
Sie, Herr Minister, traten gestern vor die Presse und sagten: „Wir wollen Humanität gewährleisten.”
Ich erlebe gerade genau das Gegenteil. Geflüchteten wird die Integration in die deutsche Gesellschaft massiv erschwert. Es scheint Strategie von Ausländerbehörden zu sein, ganz bewusst Geflüchtete gesellschaftlich auszugrenzen. Menschen, die selbst für sich sorgen könnten, werden immer wieder zu Sozialhilfeempfänger*innen degradiert, indem ihnen Ausbildung und Arbeitsmöglichkeiten verwehrt werden.
Noch vor drei Jahren, im Oktober 2015, war ich wirklich stolz auf Deutschland!
Während andere Länder, vor allem in Osteuropa, sich weigerten, Flüchtlinge aus Kriegsgebieten wie Syrien und Afghanistan aufzunehmen, hat Deutschland seine Grenzen geöffnet und eine vorbildliche Willkommenskultur bewiesen. Als ich die unzähligen Helfer*innen in den Bahnhöfen sah, die Geflüchtete mit Applaus begrüßten, war ich stolz, dass so etwas in meinem Land möglich war.
Wenn ich jedoch die öffentliche Diskussion der letzten Monate verfolge, bin ich entsetzt und schäme mich inzwischen, mit welcher Gleichgültigkeit, Hartherzigkeit und Gnadenlosigkeit mit Geflüchteten in unserem Land umgegangen wird und wie unchristlich und menschenverachtend das alles ist.
Pfarrer Kuno Hauck
Beauftragter für Kirchenasyl und Migration im Dekanat Fürth