Jedes Jahr verschwinden weltweit Menschen, weil sie im Auftrag oder mit Duldung von Regierungen entführt und gefoltert werden. Die Verantwortlichen verwischen die Spuren der Taten und verheimlichen den Verbleib der Opfer. Anlässlich des Internationalen Tags der Opfer des Verschwindenlassens am 30. August hat das Deutsche Institut für Menschenrechte mit Rainer Huhle, dem deutschen Mitglied des UN-Ausschusses gegen das Verschwindenlassen, darüber gesprochen, wie die Suche nach Verschwundenen verbessert werden kann. Mit freundlicher Genehmigung des Instituts bringen wir das Interview mit unserm Gründungsmitglied auch hier.
Welche Probleme treten bei der Suche nach Verschwundenen auf?
Der UN-Ausschuss hat mittlerweile viel Erfahrung mit der Suche nach Verschwundenen. In weit über 500 Eilaktionen wurden wir um Unterstützung gebeten. Dabei stoßen wir auf immer wiederkehrende Probleme, beispielsweise dass die Polizei erst mit Verzögerungen nach den verschwundenen Menschen sucht oder sich weigert, eine Anzeige wegen Verschwindenlassens aufzunehmen. Suchende Familienangehörige werden immer wieder von staatlichen Institutionen beschwichtigt, falsch oder unzureichend informiert oder eingeschüchtert, damit sie ihre Suche einstellen. In manchen Ländern ist beispielsweise nur die Staatsanwaltschaft für die Suche zuständig. Sie sucht dann in erster Linie nach den Tätern, nicht nach den verschwundenen Personen selbst. Und dann gibt es Länder, in denen tausende Menschen in Zeiten von Diktatur, politischer Gewalt oder Krieg verschwunden sind. Oft sind Massengräber bekannt, in denen nicht-identifizierte Leichname liegen. Dann muss erst einmal aufwändig geklärt werden, wer die Toten sind. Durch die großen Fortschritte in der Forensik, etwa die Identifizierung über die DNA, ist das mittlerweile öfter als früher möglich geworden. Wenn sich der UN-Ausschuss in eine Suche einschaltet, überprüft er im Einzelfall die Maßnahmen der Behörden bei der Suche, weist auf Unzulänglichkeiten hin und macht auch Vorschläge, was noch getan werden sollte.
Der UN-Ausschuss zum Schutz vor Verschwindenlassen erarbeitet momentan internationale Leitlinien für die Suche nach Verschwundenen. Wozu dienen diese Leitlinien?
Die Leitlinien sollen eine Art Mindeststandard für die Suche nach Verschwundenen sein und die Suche verbessern. Sie konkretisieren Aspekte, die bereits in der Konvention formuliert sind, beispielsweise die sofortige Einleitung der Suche. Auch die Unabhängigkeit der verantwortlichen Institutionen und ihre Ausstattung mit den notwendigen finanziellen und technischen Ressourcen sind wichtige Aspekte. Die Leitlinien sollen aber auch die Rechte der Betroffenen stärken und sicherstellen, dass sie über die getroffenen Maßnahmen informiert und auf Wunsch auch beteiligt werden. Häufig sind es ja die Angehörigen, oder ihnen nahestehende Personen, die entscheidende Information über das Schicksal der verschwundenen Person haben.
Warum ist es wichtig, internationale Leitlinien für die Suche nach Verschwundenen zu haben? Sind sie für die Staaten bindend?
Internationale Standards sind ein Maßstab für staatliches Handeln, sie geben den Staaten und Behörden, die ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen umsetzen wollen, positive Handlungsanleitungen. Es gibt bereits eine Reihe von internationalen Standards, die auch die Opfer von Verschwindenlassen betreffen, etwa die UN-Prinzipien gegen die Straflosigkeit, die UN-Prinzipien über die Rechte von Opfern auf Entschädigung, das Minnesota-Protokoll über die Ermittlung von außergesetzlichen Hinrichtungen oder das Istanbul-Protokoll über die Dokumentation von Folter. Das sind alles keine rechtsverbindlichen Dokumente, aber sie werden regelmäßig herangezogen, wenn es um die Interpretation der verbindlichen Menschenrechtsverträge geht. Staatliches Handeln wird dann an diesen Standards gemessen, nicht nur von den jeweiligen Vertragsorganen wie dem Anti-Folter-Ausschuss oder den UN-Sonderbeauftragten etwa zu außergesetzlichen Hinrichtungen, sondern auch von nationalen und internationalen Gerichten.
Wie ist der Zeitplan für die Verabschiedung der Leitlinien?
In den letzten Monaten hat der Ausschuss gegen das Verschwindenlassen neben den eigenen Erfahrungen auch die Erkenntnisse von Organisationen und Experten gesammelt und ausgewertet, beispielsweise bei zwei internationalen Konferenzen 2017 und 2018, die wir unter anderem mit Unterstützung des Instituts organisiert haben.
Auf dieser Grundlage haben wir einen ersten Entwurf der Leitlinien formuliert, den wir bei der nächsten Ausschuss-Sitzung im November diskutieren werden. Anschließend geht der Entwurf noch einmal an alle Beteiligten, also die Verbände der Angehörigen von Verschwundenen, die Menschenrechtsorganisationen, Vertragsstaaten und letztlich alle interessierten Fachleute, zur Kommentierung. Die Leitlinien können dann auf der 16. Sitzung des Ausschusses im Frühjahr 2019 verabschiedet werden.
Zur Person:
Dr. Rainer Huhle ist Mitbegründer des Nürnberger Menschenrechtszentrums (NMRZ) und Mitherausgeber der Website des Zentrums www.menschenrechte.org. Der promovierte Politikwissenschaftler ist seit 2011 Mitglied des UN-Ausschusses gegen das Verschwindenlassen. Rainer Huhle ist Mitglied des Deutschen Institutes für Menschenrechte und war bis 2016 im Kuratorium des Instituts. Davor war er unter anderem in Kolumbien und Peru für die Vereinten Nationen und zivilgesellschaftliche Organisationen als Menschenrechtsexperte tätig.