Auch in Asien wurden die Menschenrechte entwickelt.

27. November 2019 | Von | Kategorie: Rezensionen, "Human Rights and History"

 

von Rainer Huhle

Ramcharan, Robin / Bertrand Ramcharan: Asia and the Drafting of the Universal Declaration of Human Rights, Singapur (Springer) 2019, 255 Seiten

Wie universell die Universelle Erklärung der Menschenrechte von 1948 ist, darüber wird bis heute unermüdlich gestritten. Sieht man auf die Abstimmung in der Generalversammlung der UNO am 10. Dezember, in der 48 der 56 damals in der UNO vertretenen Staaten für die Erklärung stimmten, während sich acht enthielten, scheint das Bild eindeutig. Denn mit Afghanistan, Ägypten, Äthiopien, Argentinien, Birma, Bolivien, Brasilien, Chile, China, Costa Rica, der Dominikanischen Republik, Ekuador, El Salvador, Guatemala, Haiti, Indien, Irak, Iran, Kolumbien, Kuba, Libyen, Liberia, Mexiko, Nicaragua, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Philippinen, Siam (Thailand), Syrien, der Türkei, Uruguay und Venezuela, waren 34 der 48 Ja-Stimmen aus den Teilen der Erde, die später als Dritte Welt bezeichnet wurden. Und unter dem halben Dutzend der führenden Persönlichkeiten, die die Universelle Erklärung wesentlich prägten, waren mit Charles Malik aus dem Libanon, Hernán Santa Cruz aus Chile, Hansa Mehta aus Indien und P.C. Chang aus China Asien und Lateinamerika ebenfalls stark vertreten.[1]

Dennoch gilt vielen die Erklärung als ein im Wesentlichen westlich geprägtes Dokument, die VertreterInnen der „Dritten Welt“ seien ihrerseits von der westlichen Denkart geprägt bzw. politisch abhängig gewesen. Diese Kontroversen leiden unter unscharfen Begriffen und oft unhistorischen Argumentationslinien, und oft auch unter mangelnder Faktenkenntnis. Auch die hier vorzustellende Neuerscheinung wird die Diskussion nicht beenden, aber sie kann wesentliche Information zur Versachlichung der Debatten beitragen, und zwar gerade zu der Weltregion, die in der Geschichtsschreibung der Gründungsphase des modernen Menschenrechts-Schutzsystems meist vernachlässigt wird: Asien. Bertrand und Robin Ramcharan verfolgen einen systematischen Ansatz, der ganz Asien in den Blick nimmt und die asiatischen Beiträge zur Entwicklung der Menschenrechte auch bis in die Gegenwart verfolgt.

In den ersten Kapiteln ihres Buches geben Ramcharan zunächst eine kurzen Überblick über die Entstehungsgeschichte der Universellen Menschenrechtserklärung (mit einer recht nützlichen tabellarischen Übersicht) und die gewichtigen asiatischen Stimmen, die immer auch die Universalität der Menschenrechte hervorhoben. „Asian values are universal values“, halten sie der späteren Rede von den spezifischen „asiatischen Werten“ entgegen. Ein längeres Kapitel ist dann den wichtigsten asiatischen Persönlichkeiten gewidmet, die in der Gründungsphase der Menschenrechte herausragend beteiligt waren. Kurzbiografien erhalten hier P.C.Chang aus China, Charles Malik aus dem Libanon, Hansa Mehta und Laxshmi Menon aus Indien, Carlos Romulo aus den Philippinen, Ghassan Ghani aus dem Iran, Abdul Rahman Kayali aus Syrien, Muhammed Zafrullah Khan aus Pakistan, Kemal Kural aus der Türkei, Jamil Baroody aus Saudi-Arabien (der als einziger sich bei der Abstimmung über die Universelle Erklärung 1948 der Stimme enthielt), und Mohamed Raafat aus Ägypten. Nur kurz erwähnt wird leider Shaista Ikramullah aus Pakistan, die mit den beiden Inderinnen damals eindrucksvoll die Stimme asiatischer Frauen einbrachte.

Anschließend gehen die Autoren genauer auf die inhaltlichen Beiträge aus Asien zur Gestaltung der Menschenrechtserklärung und des Schutzsystems in den Gründungsjahren ein. Wenig bekannt ist z.B., dass China im Mai 1948 einen eigenen kompletten Entwurf einer Menschenrechtserklärung vorlegte, der zwar deutlich knapper als die schließlich verabschiedete Erklärung ausfiel, aber gleichwohl die wesentlichen Freiheits- und Sozialrechte umfasste. Bereits wesentlich früher, im Januar 1947, hatte Indien einen Vorstoß in der Generalversammlung unternommen. Indien legte dort den Entwurf eines rechtsverbindlichen „General Act of the United Nations Assembly“ vor, der ebenfalls die Anerkennung wesentlicher Freiheits- und Sozialrechte einschloss. Eher anekdotisch, aber doch auch erinnernswert ist der Hinweis, dass die von Ho Chi Minh 1945 verfasste vietnamesische Unabhängigkeitserklärung wörtlich den Gleichheits- und Grundrechteanspruch der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung aufnahm.

Der erste Entwurf für die Universelle Menschenrechtserklärung stammt bekanntlich von dem kanadischen Juristen John Peters Humphrey, der damals die neugegründete „Human Rights Division“ der UNO leitete und damit auch für die Betreuung der Menschenrechtskommission verantwortlich war. Sein Entwurf stützte sich in erster Linie auf Menschenrechtsgarantien, die bereits in vielen nationalen Verfassungen in aller Welt verankert waren. Er wollte damit zeigen, dass die Menschenrechte als Idee und sogar als Rechtsnorm bereits weltweit präsent waren. Die Ramcharans greifen Humphrey’s Anliegen auf und beschreiben in einem langen Kapitel die Menschenrechtsnormen, die bereits damals in asiatischen Verfassungen formuliert waren. Sie tun das nicht nach Ländern, sondern nach Rechten, und können zeigen, dass praktisch alle später in die Universelle Erklärung eingegangenen Rechte bereits in verschiedenen asiatischen Verfassungstexten, wenn auch keineswegs immer vollständig, vorhanden waren. Als besonders ergiebig erweisen sich dabei die damaligen Verfassungen von China und Afghanistan.

Auch grundlegende Werte der Menschenrechte wie die Anerkennung der menschlichen Person als primärem Subjekt der Menschenrechte, ihrer Würde und Freiheit als Angelpunkt des Menschenrechtsschutzes, die Gleichheit aller Menschen und die Idee der Brüderlichkeit bzw. des Humanismus sehen die Ramcharans tief bei asiatischen Menschenrechtsdenkern verankert. Interessant ist dabei auch, was die Autoren zum vielberufenen „Recht auf Entwicklung“ zu sagen haben. Dieses Recht, das als Menschenrecht von der UNO 1987 in einer Erklärung formuliert und auf der Wiener Weltkonferenz 1993 bekräftigt wurde, bewegte sich ja von Anfang an im Spannungsfeld zwischen den westlichen Staaten, die es als Angriff auf die individuell verstandenen Menschenrechte sahen, und den in der UNO seit den sechziger die Mehrheit stellenden sogenannten „unterentwickelten Länder“, die es ganz oben auf die Tagesordnung stellten. Aber wie die Autoren überzeugend darlegen, war das Recht auf Entwicklung von Anfang an immer auch als individuelles Menschenrecht konzipiert gewesen, und gerade asiatische Protagonisten wie der frühere Unabhängige Experte für das Recht auf Entwicklung bei der UN-Menschenrechtskommission, der indische Wirtschaftswissenschaftler Arjun Sengupta, haben Entscheidendes zu diesem Konzept des Rechts auf Entwicklung beigetragen.

Im letzten Teil geben die Autoren dann einen Ausblick auf die Bedeutung dieser Beteiligung asiatischer AutorInnen und Staaten an der Herausarbeitung des universellen Menschenrechtsschutzes und kommen zu einem einigermaßen optimistischen Ausblick, wenn man den Blick auf die Entwicklung der jüngeren Zeit in vielen asiatischen Staaten lenkt. Aber immerhin lässt sich mit ihnen feststellen, dass die Menschenrechtsnormen in den asiatischen Staaten nicht formell demontiert worden sind.

 

[1] Zu diesen und weiteren prägenden Persönlichkeiten aus der Entstehungszeit der Erklärung siehe die Biografien unter https://www.menschenrechte.org/kategorie/verstehen/menre-geschichte/.

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